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Im DFB-Pokal zeigten die Fans ihre Unterstützung für Daniel Frahn.

© REUTERS

Update

Verein am Abgrund: Wie der Chemnitzer FC gegen rechtsextreme Fans kämpft

Dass der Chemnitzer FC insolvent ist, hat auch mit rechtsextremen Fans zu tun. Der Klub vermisst die Unterstützung der Politik.

Der Mann, der ans Saalmikrofon tritt, blickt hoch auf die Tribünen in der Messehalle. Mehr als 650 Mitglieder des Chemnitzer FC gucken ihm von dort entgegen. Dann nennt er zwei Gründe, warum er sich äußern möchte: „Ich habe bei den letzten Mitgliederversammlungen immer was gesagt.“ Und: „Ich will euch was aus meinem Herzen sagen.“

Im Herzen trägt der Mann am Mikrofon noch immer Daniel Frahn. Den Daniel Frahn, der Kapitän und Stürmer des Chemnitzer FC war und den der Klub vor zwei Wochen rausgeworfen hat.

Frahn stand beim Auswärtsspiel in Halle wegen einer Sperre nicht im Kader, dafür aber neben stadtbekannten Neonazis der „Kaotic Chemnitz“ im Fanblock. Die Gruppierung wird vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft und rief im August 2018 zu den sogenannten „Trauermärschen“ in Chemnitz auf. Was Daniel Frahn dort zu suchen hatte? „Privatsache“, sagte er. Distanzieren wollte er sich nicht. Es war auch nicht das erste Mal, dass Frahn mit einer Aktion in die rechte Richtung auffiel.

Für den Mann am Saalmikrofon geht das in Ordnung. „Ich hab gespürt, wie der ganze Verein immer noch an dem Daniel Frahn hängt“, sagt er. „Was jetzt die Presse daraus macht, weil einer auf einem Foto drauf ist, tut mir weh.“ Von den anderen Mitgliedern ruft einer „Käse“. Danach spricht keiner mehr über Frahn, es gibt in dem Moment wichtigere Dinge beim Chemnitzer FC. Denn es geht jetzt darum, ob der Verein überleben wird.

Der Drittligist ist insolvent, und seit Monaten scheint es mehr um einen chaotischen Kampf um die Macht zu gehen als um das sportliche Geschehen. Auf der einen Seite steht der Insolvenzverwalter Klaus Siemon, dem viele Chemnitzer vorwerfen, den Verein kaputtzumachen, zum Beispiel durch die geplante Schließung des Nachwuchsleistungszentrums. Er arbeitet eng mit Sportdirektor Thomas Sobotzik zusammen. Auf der anderen Seite steht ein vom Amtsgericht eingesetzter Notvorstand, der gemeinsam mit der Unterstützung vieler Fans versucht, den Verein am Leben zu halten, zum Beispiel durch die weitere Finanzierung des Zentrums.

Volle Tribünen. Bei der Mitgliederversammlung des Chemnitzer FC wurde es am Ende chaotisch.
Volle Tribünen. Bei der Mitgliederversammlung des Chemnitzer FC wurde es am Ende chaotisch.

© HärtelPRESS/imago

So hat der Notvorstand zum Beispiel die Mitgliederversammlung am vergangenen Montag organisiert, um einen neuen Aufsichtsrat wählen zu lassen. Fast fünf Stunden lang dauert die Versammlung, im letzten Moment scheitert die Wahl. Und der Chemnitzer FC hat weiterhin keine ordentliche Führung.

Immer wieder Daniel Frahn

Einige Investoren kündigen noch in der Messehalle an, ihr Engagement zu beenden. „Wir sind durch. Komplett“, sagt einer von ihnen enttäuscht. Dabei braucht der Verein dringend Geld. Seit den Ereignissen vom 9. März 2019 ist die finanzielle Situation noch schlechter als ohnehin schon.

„Der 9. März“, sagen die Redner bei der Mitgliederversammlung nur. Es ist ein bisschen wie bei „Harry Potter“, wo der Name des bösen Zauberers Voldemort immer mit „Du weißt schon wer“ umschrieben wird. So fällt es den Mitgliedern wohl leichter, über das zu reden, was dem Image des Chemnitzer FC so geschadet hat wie nichts zuvor. Und außerdem wissen ja eh alle, was gemeint ist: die Trauerfeier für den verstorbenen Neonazi Thomas Haller.

"Der 09. März". Chemnitzer Fans ehren den verstorbenen Neonazi Thomas Haller.
"Der 09. März". Chemnitzer Fans ehren den verstorbenen Neonazi Thomas Haller.

© imago

Vor dem Heimspiel gegen die VSG Altglienicke, Chemnitz spielte noch in der Regionalliga Nordost, wurde im Fanblock ein Banner gezeigt, auf dem „Ruhe in Frieden, Tommy“ in Frakturschrift stand. Außerdem hissten die Fans eine Fahne mit einem weißen Kreuz. Der Verein kooperierte. Auf der Anzeigetafel wurde ein Porträt von Haller eingeblendet und der Stadionsprecher sagte ein paar warme Worte über den Neonazi, der unter anderem die Hooligan-Gruppe „HooNaRa“ – „Hooligans Nazis Rassisten“ – gegründet hat.

Und auch in der Mannschaft gab es einen, der sich mit den Hooligans solidarisierte: Daniel Frahn. Nach einem Tor zeigte er ein Shirt mit der Aufschrift „Support your local hools“, das häufig in Neonazi-Kreisen getragen wird. Frahn entschuldigte sich später und erklärte, nichts über die Hintergründe zu dem Slogan gewusst zu haben. Da stützte ihn der Klub noch.

Frahn klagt gegen den CFC

Der 9. März sollte verheerende Folgen für den Chemnitzer FC haben. Mehrere Sponsoren stiegen aus, in Deutschland war der CFC jetzt als Naziverein bekannt. Aus Vereinskreisen ist zu hören, dass die Verantwortlichen des Klubs die Folgen der Trauerfeier unterschätzt hätten. Ein Fehler.

„Für die wirtschaftliche Situation war das ein Totalschaden“, sagt Udo Pfeifer auf der Mitgliederversammlung. Er leitet einen Getränkehandel und ist einer der Gesellschafter beim Chemnitzer FC. „Wir konnten mit keinem Sponsor mehr reden“, sagt er ins Saalmikrofon, „es kam kein Knopf mehr rein.“ Das bestätigt auch Sportdirektor Sobotzik.

Die Lage verbessert sich nur sehr langsam. Denn auch wenn der Klub nach vielen Jahren des Wegsehens mittlerweile versucht, deutlich gegen Rechtsextremismus in der Fanszene vorzugehen, gibt es immer wieder heftige Rückschläge – so wie das Verhalten des ehemaligen Kapitäns Frahn. „Das war maximal enttäuschend“, sagt Sobotzik. „Es war so, wie wenn jemand in einem familiären Umfeld den anderen hintergeht.“

Ehemaliger Kapitän. Daniel Frahn fiel mehrmals wegen Nähe zu rechtsextremen Fans auf.
Ehemaliger Kapitän. Daniel Frahn fiel mehrmals wegen Nähe zu rechtsextremen Fans auf.

© Robert Michael/dpa

Sportlich hat sich der Klub durch den Rauswurf von Frahn sehr geschadet. Immerhin war Frahn in der vergangenen Saison mit 24 Treffern Torschützenkönig in der Regionalliga Nordost. Ihm ist es zu verdanken, dass der CFC überhaupt den Aufstieg in die Dritte Liga geschafft hat. Sobotzik sah aber – auch nach Gesprächen mit der Polizei – keine andere Möglichkeit: „Ich bin nicht bereit, die Augen zuzumachen vor Dingen, die nicht richtig sind.“

Frahn war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. „Kein Kommentar“, sagte sein Berater. Mittlerweile hat der Stürmer Hausverbot beim Verein, er darf nicht mehr ins Stadion. Der „Freien Presse“ zufolge geht Frahn gegen die fristlose Kündigung vor. Beim Arbeitsgericht Chemnitz hat er Klage gegen den CFC eingereicht.

Für den Rauswurf von Frahn wurde Sobotzik aus der aktiven Fanszene angegriffen, zum Beispiel gab es Drohungen per WhatsApp. Und beim ersten Spiel nach dem Rauswurf – der knappen DFB-Pokal-Niederlage gegen den Hamburger SV – hielten Chemnitzer Fans Schilder mit Frahns Nummer 11 hoch. Bei der Mannschaftsaufstellung skandierten sie: „Daniel Frahn, Fußballgott“.

Nach dem Heimspiel gegen Magdeburg am vergangenen Wochenende gab es eine weitere Attacke auf Sobotzik. „TS + KS töten“, hatte jemand bei den Herrentoiletten in der Nähe des Fanblocks gesprayt, die Initialen gehören zu Thomas Sobotzik und dem Insolvenzverwalter Klaus Siemon. Außerdem ermittelt die Polizei wegen eines Hakenkreuz-Graffitis im Stadion.

Die Chemnitzer Oberbürgermeisterin möchte sich nicht äußern

Ansonsten erzählt Sobotzik aber nur von positiven Nachrichten aus ganz Deutschland, sogar Kollegen aus Großbritannien und der Schweiz hätten sich bei ihm gemeldet und ihn bestärkt. Es seien sogar Menschen neu in den Verein neu eingetreten – nicht aus Leidenschaft für den Chemnitzer FC, sondern um die Entscheidung des Klubs zu würdigen.

Was bislang jedoch fehlt, ist Unterstützung von Chemnitzer Politikern. „Man hat immer mit dem Finger auf uns gezeigt und gesagt: Wir sollen etwas machen“, sagt Sobotzik. „Dass sich aus der lokalen Politik aber niemand zu der Causa geäußert hat, hat mich sehr gestört.“ Einzig die AfD reagierte – und stellte sich hinter Frahn.

Manchmal geht's auch ums Sportliche. Trainer David Bergner, Pressesprecher Steffen Wunderlich und Geschäftsführer Thomas Sobotzik (von links) auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen den Hamburger SV.
Manchmal geht's auch ums Sportliche. Trainer David Bergner, Pressesprecher Steffen Wunderlich und Geschäftsführer Thomas Sobotzik (von links) auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen den Hamburger SV.

© HärtelPRESS/imago

Der Chemnitzer Sportdirektor nennt einen Grund für seinen Wunsch nach Unterstützung: „Fußball ist zwar unpolitisch und sollte es auch sein, aber der CFC ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Chemnitzer Gesellschaft. Bei so einschneidenden Ereignissen sollten alle Verantwortlichen Position beziehen.“

Das sieht zumindest die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) anders. Sie möchte sich nicht zu den Ereignissen beim CFC äußern, „weil das Thema verantwortlich beim Insolvenzverwalter und den Gremien des Vereins liegt und die Stadt konkret nicht betroffen ist“, wie ihr Sprecher auf Anfrage des Tagesspiegels ausrichten lässt.

Kathleen Kuhfuß, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Chemnitz, äußert sich dagegen auf eine Anfrage. Sie sieht ihre Partei an der Seite der „Fans und Spieler, die keine Sympathien mit Rechts haben und die einfach nur Fußball wollen". Der Rechtsextremismus sei eine große Belastung für den Klub: „Alle lebenserhaltenden Maßnahmen werden den Verein nicht retten, wenn es nicht gelingt, das Geschwür zu bekämpfen.“

Das sieht Sobotzik ähnlich. „Wenn wir eine Chance haben wollen, uns dauerhaft im Profifußball zu etablieren, dann müssen wir durch das Tal durch“, sagt er. Der Klub müsse auch aushalten, „dass einige Zuschauer in der Übergangszeit vielleicht wegbleiben.“

Fußball gespielt wird auch noch. Die Spieler des Chemnitzer FC müssen den Nebengeräuschen trotzen.
Fußball gespielt wird auch noch. Die Spieler des Chemnitzer FC müssen den Nebengeräuschen trotzen.

© Picture Point LE/imago

Es ist der Versuch, den Übergang vom Verein mit Nazi-Image zum Verein für Toleranz zu schaffen. Der Sportdirektor hofft, dadurch wieder neue Fans zu gewinnen. Ein schwieriges Projekt, denn jahrelang hat der Chemnitzer FC zu wenig gegen Rechtsextremismus unternommen. 

Kuhfuß spricht von Verbindungen zwischen dem CFC, Unternehmen und der rechtsextremen Szene, die bis in die 90er Jahre hineinreichen. „Diese wollte lange Jahre niemand sehen, auch wenn es ein offenes Geheimnis war“, sagt die Grünen-Politikerin. Sie schlägt vor, dass der Stadtrat eine Aufarbeitung initiiert.

Fußball spielt der Chemnitzer FC übrigens auch noch. Am Samstag (14 Uhr) trifft der Klub auf die zweite Mannschaft des FC Bayern München. Ein Sieg gegen den Mitaufsteiger ist wichtig für den Klassenerhalt, denn der CFC steht mit zwei Punkten aus fünf Spielen auf dem vorletzten Tabellenplatz. „Die ganzen Nebengeräusche nehmen der Mannschaft Energie“, sagt Sobotzik. Doch dass es schnell stiller wird um den Chemnitzer FC, ist nicht zu erwarten. 

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