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Zwei Vertreter der selbst ernannten "Kanaken" in der Nationalmannschaft: Julian Draxler und Antonio Rüdiger.

© dpa

Deutsche Nationalmannschaft: Style ist wichtiger als Herkunft

In der Nationalmannschaft gab es bei der WM eine Gruppe, die sich selbst Kanaken nannte. Was das über die Stimmung im Team sagt. Eine Analyse.

Wenn in deutschen Fußballstadien die Fans von Schalke 04 beleidigt werden sollen, erklingt aus der gegnerischen Kurve immer noch verlässlich – zur Melodie von Guantanamera – das Liedchen „Ruhrpottkanaken, wir singen Ruhrpottkanaken“. Die Schalker ertragen solche Schmähungen nicht nur mit Gelassenheit, sie haben auch eine Form gefunden, ihnen wirkungsvoll zu begegnen. Sie fangen ihrerseits an zu singen: „Ruhrpottkanaken, wir sind die Ruhrpottkanaken.“

Sich die Beleidigungen scheinbar zu eigen machen und den Beleidiger damit ins Leere laufen lassen: Möglicherweise steckt das auch hinter der Geschichte, die nun vom „Spiegel“ enthüllt wurde. Demnach hat sich bei der Weltmeisterschaft in Russland eine Gruppe innerhalb der deutschen Nationalmannschaft selbst als Kanaken bezeichnet – in Abgrenzung zu den sogenannten Kartoffeln.

Es ist vor allem ein sportliches Problem

Spieler mit Migrationshintergrund auf der einen und Biodeutsche auf der anderen Seite: In Zeiten wie diesen ist das nicht ohne Brisanz. Hat Mesut Özil seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft nicht gerade damit begründet, dass er sich nicht ausreichend gegen rassistische Beleidigungen geschützt gefühlt hat?

Ja, aber Özil hat diesen Vorwurf explizit nicht gegen seine Mitspieler erhoben. Deshalb wäre es auch unredlich, aus der Geschichte mehr zu machen, als in Wirklichkeit in ihr steckt – zumal Julian Draxler aus eigenen Stücken zu den „Kanaken“ gehörte und Sami Khedira, der Sohn eines Tunesiers, zu den „Kartoffeln“. Die Bezeichnungen sind weder besonders originell noch besonders einfühlsam, aber es ging bei der Unterscheidung eben nicht um Herkunft oder Abstammung, sondern um divergierende Interessen und verschiedene Lebensstile. In den Medien war schon während der WM von der „Bling-Bling-Fraktion“ die Rede. Zumindest in diesem konkreten Fall handelte es sich also weniger um ein gesellschaftliches Problem als um ein sportliches.

Ein Team ist nicht immer homogen

Eine Fußballmannschaft ist in den seltensten Fällen eine homogene Versammlung. In einem Team treffen Alt und Jung, Dumm und Klug, Wild und Zahm aufeinander. Im besten Fall ergänzen sich die unterschiedlichen Charaktere, manchmal macht jeder sein Ding und lässt den anderen einfach in Ruhe, und im schlimmsten Fall bekriegen sich die Fraktionen untereinander.

Das Problem in Russland war nicht die Heterogenität im Kader der Nationalmannschaft; das Problem war, dass es anders als vier Jahre zuvor nicht gelungen ist, die heterogene Gruppe auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören, für das jeder Einzelne sein Ego hätte zurückstellen müssen. Das zu erreichen wäre wohl in erster Linie die Aufgabe von Bundestrainer Joachim Löw gewesen. Es ist nicht sein einziges Versäumnis geblieben.

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