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Die Berliner Schiedsrichter wollen nicht mehr Opfer von Gewalt sein.

© picture alliance/dpa

Update

Streik der Schiedsrichter: Berliner Fußball-Verband sagt fast 1500 Spiele am Wochenende ab

Im Berliner Amateurfußball werden am Wochenende keine Spiele stattfinden. Der BFV kritisiert die streikenden Schiedsrichter. Der DFB will sich nicht äußern.

Von Johannes Nedo

So etwas hat es in der 100-jährigen Geschichte des Berliner Fußball-Verbands (BFV) noch nicht gegeben. An diesem Wochenende werden auf den Berliner Amateur-Fußballplätzen keine Punktspiele stattfinden. Der BFV sagte am Freitagnachmittag alle Spiele von Freitag bis Sonntag unterhalb der Oberliga ab, also fast 1500 Spiele. In der Mitteilung des Verbands heißt es: „Damit ruht an diesem Wochenende der gesamte Spielbetrieb des Erwachsenen- und Jugendbereiches im Berliner Amateurfußball.“ 

Grund für die komplette Absage ist der Streik der Berliner Schiedsrichter. Der Schiedsrichterausschuss hatte am Freitagvormittag das BFV-Präsidium darüber informiert, dass die Schiedsrichter in einen Ausstand treten und von ihren Spielen abgesetzt werden. Dies bestätigte Berlins Schiedsrichter-Chef Jörg Wehling dem Tagesspiegel.

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„Wir müssen ein deutliches Zeichen setzen gegen die Gewalt“, sagt Wehling. „Denn die Gewalt auf den Plätzen ist gegenüber der Vorsaison gestiegen. Bereits nach wenigen Spieltagen gab es 109 Vorfälle von Gewalt und Diskriminierung. In 53 Fällen waren Schiedsrichter die Opfer. Das sind alarmierende Zahlen, hier ist Handlungsbedarf gefordert und ein deutliches Stopp-Zeichen zu setzen.“ Der Schiedsrichter-Beirat hat dies am Donnerstagabend mit deutlicher Mehrheit beschlossen.

Das BFV-Präsidium hob diesen Beschluss formal am Freitag zwar mehrheitlich wieder auf. Aus organisatorischen Gründen wurden die Spiele dennoch abgesagt. Durch das eigenmächtige Handeln des Schiedsrichterausschusses seien bereits Spekulationen, Informationen und Absprachen innerhalb der Vereine erfolgt, die nur schwer zu korrigieren seien. „Daher hält es das Präsidium für geboten, ein mögliches Chaos zu vermeiden und aus organisatorischen Gründen alle Spiele abzusagen“, hieß es in der Mitteilung.

Wehling versteht den Streik vor allem auch als ein Signal an die Vereine und den Landesverband. „Wir hatten uns bemüht, gemeinsam mit dem BFV ein Zeichen zu setzen. Leider ist das gescheitert.“ BFV-Präsident Bernd Schultz hatte signalisiert, eine Absetzung des Spieltags mitzutragen, wenn die Mehrheit des Präsidiums sich dafür aussprechen sollte. Weil die Mehrheit jedoch dagegen war, wurde der Antrag der Schiedsrichter abgelehnt.

„Dafür handeln wir jetzt“, betont Wehling. „Wir brauchen einen Neustart.“ Die Schiedsrichter hätten mit Workshops, Bannern und anderen Aktionen zuletzt einiges versucht. „Es ist auch viel Sensibilisierung da, aber auf den Plätzen sieht es dann anders aus“, sagt Wehling.

Der BFV sieht noch nicht alle Präventionsmittel ausgeschöpft

Unter anderem hatten sie gefordert, dass die Ordner die Schiedsrichter besser schützen müssen, dass es eine klare Regelung für Feldverweise gegen Team-Offizielle gibt, dass das Sportgericht professionalisiert werden muss, dass Vereine ohne Schiedsrichter schärfer sanktioniert werden müssen und dass es verpflichtende Regelschulungen für die Ersten Mannschaften sowie die A- bis C-Junioren geben muss.

Das BFV-Präsidium beriet in einer Telefonkonferenz am Freitagmittag über den Streik und teilte mit: „In der Konsequenz kritisiert die deutliche Mehrheit des Präsidiums das eigenmächtige Vorgehen des Berliner Schiedsrichterausschusses.“ BFV-Präsident Schultz sagte: „In meiner langjährigen Amtszeit war es noch nie notwendig, dass das Präsidium eine Entscheidung eines Ausschusses außer Kraft setzen muss.“ Er äußerte Verständnis für die Schiedsrichter: „Die zunehmende Gewaltbereitschaft gegenüber Schiedsrichtern sehe auch ich mit großer Sorge.“ Andererseits betonte er: „Gleichzeitig kann ein Ausstand von Schiedsrichtern immer nur die letzte Konsequenz sein. Aus meiner Sicht sind noch nicht alle Möglichkeiten der Präventionsarbeit und die enge Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedsvereinen ausgeschöpft worden.“

Der DFB verwies auf Tagesspiegel-Anfrage lediglich auf den BFV: „Der Spielbetrieb fällt in den Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Regional- und Landesverbände. Daher möchten wir Sie bitten, sich an den Berliner Fußball-Verband zu wenden.“ Die Schiedsrichter hätten sich über eine unterstützende Erklärung des DFB sicher gefreut.

Im September wurde ein Schiedsrichter in der Berlin-Liga attackiert

Der bisher letzte schwerwiegende Fall in Berlin ereignete sich am 22. September im Spiel der Berlin-Liga zwischen dem BSV Al-Dersimspor und dem Frohnauer SC. Nach insgesamt vier Platzverweisen gegen Al-Dersimspor, drei davon in der Schlussphase, wurde Schiedsrichter Stefan Paffrath von einem bereits früh ausgewechselten Spieler im Kabinentrakt attackiert.

Daraufhin beschloss der Berliner Verbandsschiedsrichterausschuss, bis zur Sportgerichtsverhandlung keine Schiedsrichter zu Spielen von Al-Dersimspor zu schicken – und der Verein wurde vorläufig suspendiert. Schließlich fällte das Sportgericht jedoch ein mildes Urteil, Al-Dersimspor nicht endgültig zu suspendieren – stattdessen muss der Klub lediglich einige Auflagen erfüllen. Auch weil die Spieler sich entschuldigt hatten. Der Spieler, der den Schiedsrichter attackiert hatte, wurde bis Ende 2020 gesperrt.

Generell häuften sich zuletzt die Vorfälle vor allem in den höheren Berliner Amateurligen. So wurde im Oktober 2018 auch das Landesliga-Spitzenspiel zwischen dem Kreuzberger Verein Hilalspor und dem FC Brandenburg 03 in der Halbzeitpause vom Schiedsrichter abgebrochen. Nach einer verbalen Entgleisung eines Hilalspor-Spielers sah dieser die Rote Karte. Der Spieler soll den Schiedsrichter nach dem Pausenpfiff erneut verbal attackiert und bedroht haben. Daraufhin brach der Schiedsrichter die Partie ab.

Auch im Saarland streikten die Schiedsrichter

Berlin ist dabei in Deutschland kein Einzelfall. Immer wieder gibt es Schlagzeilen über Attacken auf Schiedsrichter. Besonders krass war ein Angriff während eines Kreisliga-Spiels im Juni in Duisburg, beim Duell zwischen dem TuS Asterlagen und dem Büdericher SV. Ein Asterlager Spieler hatte nach einer Roten Karte den Schiedsrichter Samet Alpaydin an den Hals geschlagen und ihn getreten. Der Schiedsrichter rettete sich in den Heizungsraum des Klubheims und schloss sich dort ein. Auch der Schiedsrichter-Assistent Tobias Koch wurde von einem Teambetreuer in den Rücken getreten, als er deshalb hinfiel, wurde er am Boden liegend erneut getreten. Der Spieler wurde für fünfeinhalb Jahre und der Betreuer für sieben Jahre gesperrt, der TuS Asterlagen musste eine Strafe in Höhe von 750 Euro zahlen.

Im August wurde im Saarland ein Schiedsrichter nach einem C-Jugend-Spiel in Merzig-Brotdorf zusammengeschlagen. Hinzu kamen noch weitere Spielabbrüche an dem selben Spieltag wegen tätlicher Angriffe von Spielern auf Schiedsrichter. Daraufhin streikten Mitte September die saarländischen Schiedsrichter im Amateur-Bereich – auch sie wollten ein Zeichen gegen die zunehmende Gewalt setzen. Der Saarländische Fußball-Verband unterstützte die Aktion und sagte alle Spiele ab. Vor wenigen Tagen wurde der Schiedsrichter Oliver Thome, der den Streik initiiert hatte, jedoch von seinem Kreisschiedsrichterausschuss bis Februar 2020 gesperrt. Der Verband begründet dies damit, dass Thome mit seinem Aufruf gegen die Schiedsrichterordnung verstoßen hätte.

Die Berliner Schiedsrichter haben nun auch für die 100-Jahr-Feier des BFV am 2. November angekündigt, dort ein Signal setzen zu wollen. Konkreter wurden sie dazu bislang nicht. Die Schiedsrichter beklagen besonders, dass ihnen der Nachwuchs ausgehen werde, wenn die Gewalt gegen sie nicht aufhört. Mittlerweile gebe es in Berlin nur noch etwa 1100 Schiedsrichter für eben mindestens 1500 Spiele. Diese Zahlen bereiten auch BFV-Präsident Schultz Sorgen: „Wir müssen diesen Rücklauf stoppen. Dafür gibt es auch neue Ansätze.“ Die Berliner Schiedsrichter warten jedenfalls sehnsüchtig auf Fortschritte.

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