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Stefan Ustorf wurde als Profi sechs Mal Deutscher Meister mit den Eisbären, für die er noch als Sportdirektor und Scout arbeitete.

© imago images/Zink

Stefan Ustorf über die Coronakrise im Eishockey und im Sport: „Wir sind in einer katastrophalen Situation“

Ex-Nationalspieler Stefan Ustorf plädiert dafür, Olympia zu verschieben. Und er spricht über die Krisensituation im Eishockey und seine Sorgen um die Jugend.

Stefan Ustorf, wenn Sie am Sonntag in der Berliner Arena sind, wird die Ihnen gewidmete Trikottafel mit der Nummer 14 auf Halbmast baumeln und nicht unter der Hallendecke. Der Oberrang ist ja abgesperrt. Wie wird sich das anfühlen?
Nach Berlin zu kommen, ist für mich immer schön, gerade in die Halle, in der ich so viel Zeit verbracht habe. Menschen in den Gängen zu treffen, mit denen du so lange zusammengearbeitet hast – auf die freue ich mich. Sportlich ist es ist ein Spiel wie jedes andere, auch wenn mein Trikot nun etwas tiefer hängt.

Was allein an der Krise liegt und nicht an den Eisbären: Dort waren Sie im erfolgreichsten Teil der Klubgeschichte eine der Ikonen. Nicht umsonst wird Ihre Rückennummer in Berlin nicht mehr vergeben.
Ich habe acht Jahre gespielt, habe gut sechs Jahre in der Organisation gearbeitet und lange mit meiner Familie in Berlin gelebt, Berlin ist ein Stück Heimat für mich.

Sie haben ein Stück alter Berliner Eishockeyphilosophie mit nach Nürnberg genommen. Kürzlich haben Sie mit einigen jungen Spielern langfristige Verträge ausgehandelt und gesagt, dass Sie auf personelle Konstanz setzen, so wie die Eisbären das in den Hochzeiten mit Ihnen gemacht haben. Ist das ein Erfolgsrezept?
Ich habe es so durchgemacht in Berlin. Aber es ist auch so, dass ich andernorts so etwas beobachtet habe. In der NHL zum Bespiel. Dort halten die Pittsburgh Penguins ihren Kern an Spielern seit Jahren zusammen. Ich glaube daran, dass man so etwas aufbauen kann. Wenn ich kann, möchte ich den Kern meiner Mannschaft ein paar Jahre zusammenhalten. Vor allem, weil ich in der Lage war, gute junge Ausländer zu holen. Gregor McLeod ist 23, Nicholas Welsh ist 24.

Wenn ich solche Spieler längerfristig binden kann, ist das eine Investition für die Zukunft. Aber ich weiß auch, dass wir in Nürnberg finanziell nicht mit den ganz Großen mithalten können. Aber da wollen wir ja hin und dafür ist sportlicher Erfolg wichtig.

Was das Finanzielle betrifft ist es zur Zeit ja für alle Klubs in der Deutschen Eishockey-Liga nicht so einfach. Ohne Zuschauende ist das mit der Einnahmensituation sehr schwierig, oder?
Das ist eine katastrophale Situation. Nicht nur im Eishockey. Ich habe immer ein schlechtes Gefühl bei dem Thema, sicherlich rede ich viel über Eishockey, weil es das ist, was ich mache. Aber ich will mich nicht beklagen. Denn was ist zum Beispiel mit Restaurant- oder Barbesitzern?

Die Leute, die in der Mercedes-Benz-Arena die Tribünen auf- und abbauen, hatten seit zwei Jahren keine richtige Veranstaltung mehr. Die Krise trifft ja jeden. Ich kann mich da eben finanziell nicht zu weit mit meiner Organisation aus dem Fenster hängen, wenn ich nicht weiß, ob ich nächstes Jahr wieder Geisterspiele habe. Ich werde keinen Cent ausgeben, den ich nicht habe.

Stefan Ustorf (48) ist seit 2021 Sportdirektor bei den Nürnberg Ice Tigers.
Stefan Ustorf (48) ist seit 2021 Sportdirektor bei den Nürnberg Ice Tigers.

© imago images/Andreas Gora

Den Eishockeyklubs sind wieder Staatshilfen in Aussicht gestellt worden...
Darauf hoffen wir natürlich alle. Aber so lange ich die nicht auf dem Konto habe, gebe ich die nicht aus.

Sie sagen, dass die Krise die Gesellschaft hart trifft. Wo ist das besonders der Fall?
Die Mentalität der Jugend macht mir Sorgen. Die Kinder, die jetzt in das Alter kommen, in dem sie ihre soziale Kompetenz unter normalen Umständen entwickeln würden und das jetzt nicht können und dürfen. Wie kümmern wir uns um die? Wie geben wir denen die Möglichkeit, sich für die Zukunft zu wappnen? Was bedeutet eine Schulschließung, was macht die allgemeine Entfremdung mit den Menschen?

Ich bin jetzt seit fast einem Jahr in Nürnberg und habe fast nur Geisterspiele erlebt. Ich kenne die Fans nicht. Ich weiß nicht, was das für Leute sind, die zu uns kommen. Das ist schwierig. Und wenn ich mir jetzt vorstelle, ich bin zehn Jahre alt und mir wird alles weggenommen, auch die Möglichkeit, sich so ein Spiel bei uns anzuschauen? Da muss man sich nicht wundern, dass sich das Leben für viele Menschen nur noch in sozialen Netzwerken abspielt.

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Wie groß könnten denn die Probleme für den Sport werden, wenn die Jugend weder aktiv noch als Zuschauer im Stadion an den Sport herangeführt wird?
Wenn das noch Jahre so weitergeht, dann gehen viele Sportligen in Deutschland verloren. Davon bin ich fest überzeigt. Dann gibt es keine DEL oder DEL2 mehr. Oder nur noch auf Sparflamme. Wir haben zwei Jahre verloren, um unseren Sport an die Massen zu bringen. Auch nach den Lockerungen im Sommer sind die Leute nicht in die Stadien geströmt –sie sind vorsichtig geworden. Bis sich das wieder normalisiert, müssen wir verantwortungsbewusst mit unserem Sport umgehen und sehen, dass keiner auf der Strecke bleibt und unsere Prioritäten anders setzen.

Welche Prioritäten meinen Sie?
Zum Beispiel jetzt in der DEL auf den Auf- oder Abstieg zu pochen, macht keinen Sinn. Die halbe DEL2 kämpft ums Überleben. Wir müssen uns wirklich mal hinsetzen und überlegen, was wichtig ist. Wir wollen doch keine Standorte verlieren.

Die Krise trifft das deutsche Eishockey was die Nationalmannschaft betrifft zu einem ungünstigen Zeitpunkt, wie sehen Sie das als ehemaliger Nationalspieler?
Die Nationalmannschaft ist so gut wie nie, wir haben so viele gute junge Spieler wie nie. Das ist extrem traurig, dass es nun so aussieht. Die U-18-WM wurde vergangenes Jahr abgesagt, die U-20-WM jetzt abgebrochen. Da gehen viele Träume für die Jungs flöten.

Aber das heißt ja trotzdem nicht, dass wir in der jetzigen Situation alles durchdrücken müssen so wie die Olympischen Spiele in Peking. Finanziell und gesellschaftlich gesehen, ist das extrem unverantwortlich, so ein Milliardenprojekt auf die Beine zu stellen. Während überall Leute am Existenzminimum kratzen, wird gesagt: Olympia müssen wir jetzt machen. Nein, das müssen wir nicht. Die Spiele machen so keinen Sinn. Sie sollten verschoben werden.

Was macht denn Sinn?
Wir müssen sehen, dass wir unsere Prioritäten anders setzen und gemeinsam durch diese Krise kommen.

Aber es wird trotzdem einen Meister geben in der DEL. Werden das wieder die Eisbären sein?
Meinen Sie, dass es einen Meister geben wird in diesem Jahr? Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will ja nicht nur Pessimismus verbreiten. Ich bin nicht nur unzufrieden. In Nürnberg läuft es sportlich gesehen trotz der Umstände gut. Wir sind auf dem richtigen Weg. Und auch mir geht es gut. Nürnberg ist eine wunderschöne Stadt.

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