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Die Turnerin Maryana Akhrarova (m.) will in Berlin eine Medaille gewinnen. Sie ist eine von 20 ukrainischen Teilnehmenden an den Weltspielen.

© Special Olympics Ukraine

Special Olympics World Games: Auszeit vom Krieg für Team Ukraine

Einige Sportler haben das Land verlassen. Die anderen erhoffen sich von der Reise nach Berlin ein wenig Normalität. Die sportlichen Vorbereitungen waren für sie belastend.

Von Benjamin Brown

Luftalarm. Immer wieder in den vergangenen Monaten. Wettbewerbe wurden unterbrochen, Sportlerinnen und Sportler mussten in den Luftschutzbunker. So berichtet es Anastasia Volobuieva, die Sprecherin von Special Olympics Ukraine.

Der russische Angriffskrieg, der zu Beginn der Weltspiele der Special Olympics in Berlin fast 500 Tage andauert, erfordert von den Menschen in der Ukraine in ihrem Alltag nach wie vor ein hohes Maß an Flexibilität und Improvisation. Als gutes Beispiel taugen da die Berichte über die Regionalspiele in Odessa Anfang des Jahres. Auch hier Luftalarm und drohender Raketenbeschuss. Das geplante Basketballturnier muss entfallen. Die Organisatoren hatten jedoch einen Plan B: Sie ersetzten den Wettbewerb kurzerhand durch ein Wurfturnier auf den Korb.

Zu den Spielen nach Berlin wird die Delegation aus der Ukraine nun mit 20 Sportlerinnen und Sportlern anreisen, um in den Disziplinen Badminton, Basketball, Boccia, Tischtennis, Schwimmen, rhythmische Sportgymnastik und Leichtathletik anzutreten.

Es wird jedoch nicht die gesamte Mannschaft im Bus sitzen. Knapp die Hälfte des Teams musste aufgrund des Krieges innerhalb der Ukraine oder ins Ausland flüchten. Eine Athletin reist aus Schottland an – zwei Athleten leben als Kriegsflüchtlinge in Deutschland.

Der Krieg brachte den Behindertensport – wie sämtliche Facetten des ukrainischen Lebens – zwischenzeitlich zum Erliegen. Im Winter war Training aufgrund von Blackouts kaum möglich, hinzu kamen Angst und Stress, so Sprecherin Volobuieva. Die Vorbereitungen auf Berlin seien physisch und mental extrem belastend gewesen.

Gut vorbereitet fühlen sich die Ukrainerinnen und Ukrainer auf ihre Teilnahme an den Weltspielen nun dennoch. Bei einem Trainingslager Ende April in Kiew konnten sie gemeinsam trainieren – und das sehr erfolgreich, wie Special Olympics Ukraine betonte. Besonders erfreut zeigte sich der Verband vom Teamgeist und den sportlichen Leistungen – und vom Wetter. Strahlender Sonnenschein ermöglichte es der Mannschaft, auch im Freien zu trainieren – ein Hauch Normalität inmitten des Krieges, der Lust auf mehr, Lust auf Berlin machte.

„Ich möchte unbedingt eine Medaille holen und werde mein Bestes geben“, sagte die Turnerin Maryana Akhrarova (Bild oben, mitte) nach dem Trainingslager – und verriet, dass sie außerdem hofft, in Deutschland auf ein paar Freunde zu treffen. Auch Tischtennisspielerin Kateryna Hryshchenko freut sich auf die Sommerspiele: „Es ist ein besonderer Wettbewerb für besondere Menschen. Ich werde mein Bestes geben, eine Medaille für die unbezwingbare Ukraine zu gewinnen.“

Der russische Angriffskrieg hat längst auch den Sport erreicht. Während internationale Sportverbände mit der Frage ringen, wie mit Russland zukünftig umzugehen ist, haben Special Olympics International im Januar entschieden reagiert: Die 2020 an die russische Stadt Kasan vergebenen Winterspiele wurden abgesagt. Ebenso wird es keine russischen Teilnehmenden bei den Sommerspielen in Berlin geben.

Kein Musterbeispiel für Inklusion

Das ukrainische Team erhofft sich von der Reise nach Deutschland nun so etwas wie Normalität. „Es wird ein echter Urlaub“, sagt Tischtennisspielerin Hryshchenko sogar. Weg von der Angst, aber auch raus aus einem Land, das sich jetzt, aber auch schon vor dem Krieg, alles andere als ein Musterbeispiel für Inklusion präsentiert.

Der Krieg hat das ukrainische Gesundheitssystem enorm belastet – nach Angaben ukrainischer Behindertenrechts-NGOs leiden besonders Menschen mit geistiger Behinderung. Der Mangel an adäquaten Unterstützungsprogrammen wurde durch den Krieg verschärft.

Bei einer Inklusionskonferenz in Brüssel warnte die ukrainische Aktivistin Raisa Kravchenko davor, dass viele Menschen mit geistiger Behinderung, die bisher zuhause von ihren Familien gepflegt wurden, aufgrund akuter Überforderung in überfüllte und unterbesetzte Heime kommen könnten. Von offizieller Seite sei ihr gesagt worden, dass „Pflege und Unterstützung für Menschen mit geistigen Behinderungen in Kriegszeiten ‚Luxus‘“ seien, sagte Kravchenko im März dem Fernsehsender „CNN“.

So hofft Special Olympics Ukraine, dass die Weltspiele in Berlin auch den nationalen Fokus auf Inklusion richten können. Es ergebe sich die Chance, gesellschaftliche Einstellungen und Denkweisen positiv zu verändern.

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