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Sport: Skispringen: Der Zeitgeist springt mit

Manchmal erkennt man den Wert einer Veranstaltung am Detail. Das mag sich Martin Schmitt gedacht haben, als er im vergangenen Jahr bei der Vierschanzentournee die sanitären Anlagen auf der Innsbrucker Berg-Isel-Schanze etwas genauer untersuchte.

Manchmal erkennt man den Wert einer Veranstaltung am Detail. Das mag sich Martin Schmitt gedacht haben, als er im vergangenen Jahr bei der Vierschanzentournee die sanitären Anlagen auf der Innsbrucker Berg-Isel-Schanze etwas genauer untersuchte. Unter die Klobrillen hat er wohl nicht gesehen, dennoch haben die Aborte bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterlassen. "Es gab zwei Toilettenhäuschen, aber kein Waschbecken", erinnert sich Martin Schmitt. Was Deutschlands prominentester Skispringer damit sagen wollte: "Die Rahmenbedingungen stimmen nicht."

Mag sein, dass die Anzahl der Toilettenhäuschen an den Schanzentischen noch nicht in befriedigender Anzahl vorhanden sind. Mag auch sein, dass die Rahmenbedingungen noch nicht optimal sind. Aber eines lässt sich spätestens seit der vergangenen Saison auch feststellen: Die Sportart Skispringen hat es in die Reihe der großen Zuschauersportarten geschafft. "Formel eins des Winters" hat der Fernsehsender RTL den Wettbewerb der Luftpiloten hochtrabend genannt. Wenn die Skispringer den Schanzentisch verlassen, springt inzwischen auch der Zeitgeist mit. "Wir haben zehn bis 15 Interviewwünsche pro Woche für Martin Schmitt", berichtet Robert Schiffmann, von der Marketing-Agentur Weirather, Wenzel und Partner, die Deutschlands besten Skispringer unter Vertrag hat. 1999 gewann Martin Schmitt die Wahl zu Deutschlands Sportler des Jahres, das deutsche Skisprung-Nationalteam wurde zur Mannschaft des Jahres gewählt. Wenn Schmitt öffentlichkeitswirksam bei den Fußballern des FC Bayern mittrainiert, verdoppelt sich sofort die ohnehin hohe Zahl junger Mädchen hinter dem Metallzaun an der Säbener Straße. Wie aber entwickelt eine Sportart einen derartigen Popularitätsschub? Marketing-Experte Schiffmann sagt: "Es sind zwei Faktoren: Martin Schmitt und RTL."

48,5 Millionen Mark bezahlt der private Fernsehsender RTL für die dreijährigen Übertragungsrechte der Springen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. "Die Sportart passt zu unserem Event-Konzept", erklärt RTL-Sprecher Matthias Bolhöfer, "und sie liegt gut in der sportarmen Zeit nach Weihnachten." Seit dem Neujahrsspringen von Garmisch-Partenkirchen 1999 überträgt der private Fernsehsender das Skispringen, das in den Jahren zuvor bei ARD und ZDF gesendet wurde. Im Schnitt sahen 8,06 Millionen Zuschauer diese erste Übertragung. "Wir sind sehr zufrieden mit den Quoten", sagt Bolhöfer. Millionen von Fernsehzuschauern ließen ihren Fernseher sogar bei der Skiflug-Weltmeisterschaft von Vikersund eingeschaltet, als RTL-Moderator Günther Jauch vor laufender Kamera im Wetterchaos einen Schneemann baute. "Wir behaupten nicht, dass wir den Boom ausgelöst haben", sagt Bolhöfer, "die Sportart war schon immer attraktiv." Aber der Privatsender verstärkte durch sein Engagement einen schon vorhandenen Trend. Nun steigen vermehrt Sponsoren in das Geschäft mit dem Skispringen ein. Martin Schmitt konnte die Zahl seiner persönlichen Geldgeber auf vier (Milka, Telegate, S.Oliver und RTL) erhöhen. Der RTL-Sprecher weiß aber auch, wie sehr die Sportart von Sven Hannawald und Martin Schmitt abhängig ist. "Das ist doch in jeder Sportart so."

Mit den Sprüngen von Martin Schmitt steht und fällt das Skispringen in Deutschland. "Früher gab es auch Jens Weißflog oder Dieter Thoma, aber die haben nicht so einen Boom ausgelöst", sagt Marketing-Fachmann Schiffmann. Sein Branchenkollege vom Internationalen Skiverband FIS, Christian Knauth, schwärmt sogar: "Wenn es Martin Schmitt nicht gäbe, müsste man ihn erfinden." Es ist die Persönlichkeit des Teenie-Stars, die sich so gut vermarkten lässt. Seine Agentur lässt gerade das Image von Martin Schmitt neu analysieren, weshalb Schiffmann nicht zu viel über seinen prominentesten Klienten verraten mag. "Er spricht eine jugendliche Zielgruppe an, ist smart und intelligent." Für diese Aussage braucht es allerdings keine teure Analyse, es reicht, wenn man sich einmal an eine Sprungschanze stellt, über die Martin Schmitt gesegelt kommt. "Martin", kreischen dann einige hundert Mädchen.

"Das ist schon ein tolles Gefühl, seinen Namen aus 25 000 Kehlen zu hören", sagte Martin Schmitt in der Zeitschrift "GQ". Längst ist ein Skispringer auch für Männerzeitschriften interessant. Im Interview mit "GQ" musste der 22-jährige Junggeselle auch über die Frage nachdenken: Was ist schöner, 200 Meter weit fliegen oder Sex? Wer auf solche Fragen eine Antwort findet, der hat den Schritt zum Popidol geschafft. Schmitt sagte: "Hmmm ... beides".

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