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Lief gut. Elisabeth Seitz turnte nahezu fehlerfrei.

© Pressefoto Baumann/Imago

Stimmung bei der Turn-WM: Sieger ist die Sportstadt Stuttgart

Bis auf ein paar Ausfälle ist die Stimmung bei den Turn-Weltmeisterschaften in Stuttgart fantastisch. Das liegt auch am Austragungsort.

Wenn knapp achttausend Zuschauer gleichzeitig die Luft anhalten, kann das verdammt laut sein. Jedenfalls für diejenige, die an der Reihe ist und komplizierteste Akrobatik auf einem zehn Zentimeter schmalen Balken aufführen muss. Jede Unkonzentriertheit kann das Publikum zum Stöhnen bringen und – viel schlimmer noch – die Olympia-Qualifikation für die komplette Mannschaft gefährden. Kein Wunder, dass Emelie Petz, gerade einmal 16 Jahre alt, großes Herzklopfen bei ihrem ersten Wettkampftag dieser Turn-Weltmeisterschaften in Stuttgart hatte. Und der Puls war offenbar zu stark.

Petz stürzte bei einer Übung von dem an diesem Tag viel zu schmalen Schwebebalken. Schon kurz zuvor war sie vom Stufenbarren gekracht. Dabei hatte ihre erfahrene Teamkollegin Kim Bui mit ihr zusammen noch Atemübungen zur Beruhigung gemacht. Mit traurigen Augen saß Petz nach ihren Übungen auf dem Stuhl und wartete auf ihre Wertung. Sie sei wahnsinnig nervös gewesen, sagte sie. „Aber das Team hat es gerockt.“

Tatsächlich haben sich die Deutschen trotz der Wackler ihres jungen Teenagers für Olympia in Tokio qualifiziert. Die deutsche Auswahl belegte Platz neun. Allerdings verpasste sie das Team-Finale der besten acht Mannschaften bei der Heim-WM hauchdünn. Am Ende der Qualifikations-Wettkämpfe fehlte dem Quintett um Seitz nur die Winzigkeit von 0,034 Punkten auf den Achten Italien.

Dass Bundestrainerin Ulla Koch am Freitag zwar ein paar Fehler bedauerte, insgesamt aber zufrieden war, lag besonders an der erfahrenen Elisabeth Seitz. Sie turnte nahezu fehlerfrei und am Sprung gelang ihr ein extrem schwieriges Element optimal, der Jurtschenko mit Doppelschraube.

Überhaupt war der erste Wettkampftag der Turn-WM bis auf wenige Ausnahmen gelungen. So hätte einer der Publikumsanheizer auf den Schuss Sexismus verzichten können, als er meinte, dass die „deutschen Mädels heiß“ seien und nach einer Kunstpause ergänzte: „In jeglicher Hinsicht.“ Auch hatte es der Hallensprecher etwas übertrieben, als er die 7500 Zuschauer aufforderte, den Gangnam Style sowie den Twist auf der Tribüne nachzutanzen.

Fußball zieht die Stuttgarter Massen an

Zumal der Zirkus nicht nötig gewesen wäre. Es ist schließlich bekannt, dass sich die Schwaben auch so sehr für Sport begeistern können. Als Nachweis dafür gilt die bis heute legendäre Leichtathletik- WM im Jahr 1993 sowie 2006 das wohl stimmungsvollste Spiel um Platz drei bei einer Fußball-WM. Selbst für den inzwischen zweitklassigen Fußballklub VfB Stuttgart ist die Begeisterung ungebrochen. Am Freitag zum Beispiel verlor der VfB in einem furchtbaren Fußballspiel bei furchtbarem Wetter gegen Wehen- Wiesbaden 1:2. Für die meisten Menschen ist solch ein Spiel so reizvoll wie eine Wurzelbehandlung. In der Stuttgarter Arena hatten sich aber knapp 50.000 Zuschauer versammelt.

Groß ist auch das Interesse am Turnen in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Als „Wimbledon des Turnens“ bezeichnete Olympiasieger Fabian Hambüchen den Austragungsort. Das ist nicht überzogen. Bereits zum dritten Mal findet eine Turn-WM in Stuttgart statt, in diesem Jahr werden insgesamt 100.000 Zuschauer erwartet. Stimmung dürfte auch garantiert sein, wenn am Sonntag die deutschen Männer starten. Zwar sind die Erfolgsaussichten der deutschen Turner schlecht wie lange nicht. Doch wenn es einen Ort gibt, an dem das Zuschauerinteresse nicht vom sportlichen Erfolg abhängig ist, dann ist das der Stuttgarter Stadtbezirk Bad Cannstatt.

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