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Langer Anlauf. Um kleine Vorteile zu erlangen, muss im Bobsport viel Zeit und Arbeit investiert werden.

© dpa

Serie Materialschlacht, Teil 5: Bob: Sogar die Po-Kontur muss passgenau sein

Beim FES in Berlin-Oberschöneweide tüfteln Ingenieure an wirklich allen Elementen, damit die Bobs so stromlinienförmig wie möglich sind.

Von David Joram

Im Sport kommt es nicht immer nur auf den Athleten an. In unserer Serie „Materialschlacht“ beschreiben wir, wie viel durch Technik und Material in verschiedenen Sportarten bestimmt wird.

Dort, wo die künftigen Erfolge entstehen, stinkt es nach Harz und Carbon, nach Chemie und Industrie. In mehrstöckigen Regalen lagern zigtausende Schrauben, dicke und dünne, längere und kürzere. An der Wand hängen Hämmer und Baupläne neben Fotos von Olympiasiegerinnen und Weltmeistern. Jamanka. Lochner. Walther. Nur drei von vielen Gesichtern einer großen Bobnation, deren Namen bekannt sind, weil in einem unscheinbaren Bürogebäude in Berlin-Oberschöneweide alles für ihren Erfolg getan wird. Dort, am Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES), schlägt das Herz des Rennschlittensports, dort wird gebastelt, getüftelt, gefeilt – um die schnellsten Bobs der Welt zu bauen.

Im zweiten Stock hat Enrico Zinn sein Büro. Er ist Entwicklungsingenieur am FES und kümmert sich täglich darum, die Bobs noch geschmeidiger zu machen. „Die Grundsatzfrage, die wir uns stellen, ist: Was bremst den Bob und wie kann man das optimieren?“, sagt Zinn. Eine einfache Frage, deren Antwort aber mit harter Arbeit verbunden ist – und die scheinbar nur minimale Resultate hervorbringt. Im Bobsport geht es um Hundertstel- und Tausendstelsekunden.

Der eigene Bob ist für die Piloten wie ein Baby

Zinn arbeitet seit zehn Jahren am FES und verantwortet die Entwicklung der Schlitten. Das bedeutet vor allem Präzisionsarbeit, die der 39-Jährige an seinen beiden Computer-Bildschirmen verrichtet. Die vom Bob-Weltverband vorgegebenen Grenzen sind eng, die Fortschritte klein. „Man muss sehr viel Arbeit investieren, um kleine Vorteile zu bekommen“, sagt Zinn, der in Berlin ein Maschinenbau-Studium abgeschlossen hat.

An der hellen Wand in Zinns Büro hängt ein Schaubild, das ein paar grundsätzliche Fragen der Bob-Physik beantwortet. Um den Luftwiderstand zu minimieren, müssen die Bobs so stromlinienförmig wie möglich sein, der Aerodynamik wegen. „Die Optimierung erfolgt am Rechner mithilfe einer Strömungssimulation“, erklärt Zinn. CFD nennt er das, „Computer Fluid Dynamics“.

Wenn Zinn und sein Kollege der Ansicht sind, die richtige Bobform ermittelt zu haben, werden die passenden Werkzeuge aus einer Kohle-Glasfaser-Mischung erstellt, um das Modell passgenau laminieren zu können.

Ein Bob besteht aus zwei Teilen, einem Vorder- und einem Hinterboot. Vorne sitzt der Pilot und steuert, hinten verkriechen sich die Anschieber. „Die haben es richtig ungemütlich, weil sie jeden Schlag während der Fahrt spüren. Gepolstert ist da nichts. Nur wer durchtrainiert ist, übersteht so eine Fahrt unbeschadet“, sagt Zinn. Durch Vorder- und Hinterboot geht die sogenannte Teilungs-Achse – ein Drehgelenk, damit der Bob in den steilen Kurven nicht umkippt.

Die Lenkung, die im Grundsatz wie eine Autolenkung funktioniert, betätigen die Piloten mittels eines Seilzugs, dessen Ende mit zwei Griffen versehen ist. „Der ist flexibel einstellbar. Grobmotoriker benötigen eher größere Lenkausschläge, die sensiblen Fahrer eher kleinere. Umso straffer der Gummizug eingestellt ist, umso schneller stellt sich der Lenker auf null“, erklärt Zinn. Die Feinabstimmung erfolgt durch viele Fahrten mit dem Grundgerät, danach wird entsprechend angepasst. Die Berliner Olympiasiegerin Mariama Jamanka sagt: „Der eigene Bob ist wie ein Baby, um das man sich kümmert.“

Beim FES kämpfen sie um jede Tausendstelsekunde

Dass Zinn und seine Kollegen durchaus wissen, welche Babys sie für ihre Athletinnen und Athleten großziehen müssen, damit jene möglichst schnell die Bahnen in aller Welt hinabsausen, verraten zwei meterlange Tafeln im sonst eher kargen Eingangsflur. Auf der einen Tafel sind die Olympiasiege aufgelistet, die „mit Unterstützung durch FES-Technologie“ herausgefahren wurden, auf der anderen die Weltmeistertitel. Die Listen sind lang. Ein paar Schritte weiter ist ein hellblaues Modell aufgebockt, das mal André Lange, der mit vier Goldmedaillen erfolgreichste Olympia-Bobpilot der Geschichte, gefahren hat und an dem Zinn häufig vorbeiläuft. Das Modell wirkt wie ein Ansporn, immer weiter zu tüfteln, obwohl ohnehin schon so viel getüftelt wird.

Ganz unten, im Keller, stehen die Ergebnisse: zwei Bobs, beide gelb gestrichen, einer für zwei Personen, der andere für vier geschaffen. Der Zweierbob ist 3,20 Meter lang, 85 Zentimeter breit und wiegt 170 Kilogramm. Geschätzte Kosten rund 50.000 bis 75.000 Euro. Die Vierer-Variante kostet 75.000 bis 100.000 Euro, ist 3,80 Meter lang, auch 85 Zentimeter breit und hat ein Gewicht von 210 Kilogramm. Ihn fahren bislang nur die Männerteams.

Ein Blick ins Fahrgestell verrät – kaum etwas. Zumindest nicht dem Laien, weil im dunklen Innenraum wenig drinsteckt. „Was wir je nach Fahrer anpassen, sind etwa die Fußstützen oder der Sitz. Bei Nico Walther haben wir mal die exakte Po-Kontur abgeformt, wie in der Formel 1“, sagt Zinn. Derzeit richten er und sein Team den Fokus in Richtung Weltmeisterschaft. Im März im kanadischen Whistler sollen die FES-Modelle dem deutschen Team erneut zu Titeln verhelfen. „Das ist eine absolute Hochgeschwindigkeitsbahn. Dort wird die Aerodynamik eine große Rolle spielen“, sagt Zinn.

Es ist davon auszugehen, dass er und die anderen FES-Ingenieure bis dahin noch um jede Tausendstelsekunde feilschen werden. Sie alle wissen: Weltmeisterliche Bobs werden nun mal in Oberschöneweide erschaffen.

Bisher erschienen: „Kufen beim Rodeln“, „Alpine Ski“, „Das Gewehr beim Biathlon“ und „Schoner und Schlittschuhe beim Eishockeytorwart“.

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