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Symbolfigur. Yoshinori Sakai entzündete am Am 10. Oktober 1964 das olympische Feuer. Er war am Tag des Atombombenabwurfes in Hiroshima geboren worden.

© Imago

Olympia 2020 in Tokio: Sechs Jahre vor den Spielen: Japan blüht noch nicht

Vor 50 Jahren halfen die Olympischen Spiele dem Land dabei, sich von den Folgen des Krieges zu erholen. 2020 kommt Olympia wieder nach Tokio – von Aufbruchsstimmung nach dem Tsunami ist allerdings nichts zu spüren.

Am 10. Oktober 1964 war Yoshinori Sakai ein junger Mann, der mit seinen 19 Jahren schon mehr in Bewegung gebracht hatte als viele in einem ganzen Leben. Im neu gebauten Tokioter Nationalstadion zündete er das olympische Feuer. Eine teilweise noch gekränkte und traumatisierte Nation fand zurück zu ihrem Stolz. Japan veranstaltete seine ersten Olympischen Spiele, 19 Jahre nachdem es durch US-amerikanische Luftangriffe und Atombomben fast völlig zerstört worden war.

Und es sah beeindruckend dabei aus. Eine Woche vor dem Aufflammen des olympischen Feuers war am Bahnhof „Tokyo Station“ der neue Hochgeschwindigkeitszug eingeweiht worden: ein futuristisch designter Schlauch, 200 Stundenkilometer schnell, Weltrekord. Der Shinkansen schoss über brandneue Gleise im ganzen Land, ähnlich neu wie die Luxushotels in Tokio, die edlen Geschäfte. Die Spiele von Tokio, die vor 50 Jahren begannen, übertrugen durch neue Satellitentechnologie auch erstmals TV-Bilder nach Übersee. Es waren außerdem die ersten Olympischen Spiele in Asien.

Und Yoshinori Sakai war auch nicht durch Zufall der Fackelträger. Der vielversprechende Mittelstreckenläufer, der zwei Jahre später bei den Asienspielen in Bangkok zwei Medaillen gewinnen sollte, war am 6. August 1945 in Hiroshima geboren – an jenem Tag, als dort die erste Atombombe auf eine Stadt fiel und Hunderttausende tötete. Sakai personifizierte die gewollte Botschaft: Japan war wieder da, das Land hatte sich erholt.

Das größte Sportereignis der Welt soll erneut Symbol des Wiederaufstiegs sein

In sechs Jahren kommen die Spiele zum zweiten Mal nach Tokio, und das größte Sportereignis der Welt soll sich erneut als Symbol des Wiederaufstiegs verstehen. Nach dem 11. März 2011, als durch ein Erdbeben und einen Tsunami an der Ostküste sowie einen atomaren Reaktorunfall in Fukushima 20 000 Menschen starben und 300 000 evakuiert werden mussten, warten weite Teile des Landes noch dreieinhalb Jahre später auf Normalität. Viele der Orte wurden von über 20 Meter hohen Wellen weggespült, andere mussten wegen radioaktiver Strahlung verlassen werden. Viele Gegenden sind bis heute nicht wiederzuerkennen.

„Tokyo 2020“, das hatten die Bewerber versprochen, werde die Wende bringen. Wie vor 50 Jahren soll dann ein widerstandsfähiges, trotziges Japan blühen. Als Tokio im September 2013 das Austragungsrecht gewann, hatte es aber nicht nur mit dieser Hoffnung überzeugt. Neben den Mitbewerbern Istanbul und Madrid galt die japanische Hauptstadt auch als die billigere und kompaktere Variante: Weil die meisten Spielstätten schon standen, müsste nicht allzu viel neu gebaut werden. Und da sich 85 Prozent der Wettkämpfe in einem Acht-Kilometer-Radius vom Olympischen Dorf abspielen sollen, wären die Wege kurz, die olympische Stimmung umso stärker.

Aber bisher zeigen sich nicht so viele Parallelen zwischen 1964 und 2020, wie es den Organisatoren wohl lieb wäre. Japans Wirtschaft stottert nach einem kurzen Aufschwung schon wieder. So etwas wie Aufbruchstimmung, für die Japans Nachkriegszeit steht, kennen junge Japaner von heute eher aus Geschichtsbüchern. Optimistisch in die Zukunft blicken sie nicht. Und auch von den Spielen 2020, deren Austragung die meisten Japaner zwar unterstützen, gab es zuletzt nicht viel Gutes zu hören.

Das Nationalstadion, in dem Yoshinori Sakai einst die Spiele einläutete, hätte für einen Umbau längst abgerissen sein sollen, ist es aber noch nicht. Eine Zugstrecke, die den Flughafen Haneda direkt mit dem Zentrum verbinden soll, wird wohl nicht bis 2020 fertig. Zudem stellte sich heraus, dass es Japan an Bauarbeitern mangelt, was die Preise in die Höhe treiben wird. Tokio ist vielleicht doch nicht die „sichere, günstige Alternative“ zu den politisch und finanziell als riskant geltenden Mitbewerbern Istanbul und Madrid.

Dieser Tage sind die Spiele 2020 eher ein Thema für die Weitsichtigen

Auch das Versprechen der „Spiele des Wiederaufbaus“, das Japans NOK-Präsident Tsunekazu Takeda in Anspielung auf 1964 mehrmals machte, scheint nicht richtig glaubwürdig. Gerade weil Tokio mit kurzen Wegen während der Spiele warb, werden in den von der Katastrophe von 2011 betroffenen Gegenden im Nordosten nur ein paar Fußballspiele stattfinden – und das auch noch in der ohnehin gut erholten Millionenstadt Sendai. In Fukushima wird sich nichts Olympisches abspielen. Dort sorgt man sich vielmehr weiterhin um die Rücksiedlung in die evakuierten Gebiete. An Wiederaufbau ist noch gar nicht zu denken.

Sportlich will Tokio es 2020 dagegen nicht nur so gut machen wie schon 1964, sondern noch deutlich besser. Vor 50 Jahren holte Japan 29 Medaillen, belegte einen gefeierten Platz drei in der Nationenwertung. Diesmal erwartet die Regierung 70 bis 80 Medaillen und will dafür ein dem Bildungsministerium untergeordnetes Quasi-Sportministerium einrichten. Realistisch scheint aber auch das kaum: 2012 in London stellte Japan seinen neuen Medaillenrekord auf – inklusive sieben goldener waren es insgesamt 38. Wie in acht Jahren später doppelt so viele Medaillen gewonnen werden sollen, hat sich bisher auch kein Offizieller getraut zu erklären.

Dieser Tage sind die Spiele von 2020 sowieso selbst in Japan eher ein Thema für die Weitsichtigen. Zuletzt beschäftigte 1964 wieder mehr: Im vergangenen Monat starb zuerst Yoshinori Sakai, der Fackelträger, an Hirnblutungen. Letzte Woche feierte dann der Schnellzug Shinkansen seinen 50. Geburtstag. Unrealistische Ziele für 2020 wurden so zur Randnotiz. Die Erinnerung an die gute alte Zeit scheint eine willkommene Ablenkung zu sein, wobei sie die Unterschiede zu 2020 einmal mehr hervorhebt.

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