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Schadlos gehalten. Boris Herrmann hat die 3000-Meilen-Strecke nach Guadeloupe ohne größere Probleme gemeistert. Als ihm das Wetter zum Problem wurde, hat er mit seinem Sonderweg das Beste draus gemacht.

© Jean-Marie Liot

Route du Rhum: Grund und Verzweiflung

Solosegler Alex Thomson verspielt seinen ersten großen Sieg, Boris Herrmann liegt auf dem fünften Rang

Es ist der Albtraum jedes Seemanns. Das Krachen, wenn man auf ein Riff prallt, das berstende Geräusch zersplitternder Teile des Rumpfs. Und das Entsetzen, dass Alex Thomson in der Nacht zu Freitag gepackt haben dürfte, als er um kurz vor zwei Uhr auf die Felsen der Grande Terre Insel auflief, war gewiss groß. Von einem Moment auf den anderen sah er seine Träume zerplatzen, sein Schiff beschädigt, sich selbst um die Früchte harter Arbeit gebracht, und das so kurz vor dem Ziel.

Wie es zu der Havarie kam, blieb zunächst unklar. Der britische Segelstar sollte sich erst bei seiner Ankunft in Guadeloupe am späten Nachmittag europäischer Zeit äußern. Mit über 150 Meilen lag er in Führung, als er sich dem Ziel Port-á-Pitre näherte, uneinholbar für seine französischen Kontrahenten, die sich auf den Rängen zwei bis vier ein Kräfte zehrendes Rennen um die verbleibenden Podiumsplätze liefern. Es sollte der erste große Sieg für Thomson werden, den „ewigen Zweiten“, der in seiner langen Hochseekarriere bei wichtigen Rennen oft vorzeitig ausschied, weil er seinem Boot zuviel abverlangt hatte. Erst beim dritten Vendée-Globe-Versuch kam er heil ins Ziel. 2010 wurde er bei diesem Soloklassiker dritter, vier Jahre später sogar zweiter.

Allein nach Westen

Ins Rennen der Route du Rhum ging er als einer der Favoriten. Sein von Hugo Boss finanziertes Boot gilt als ausgesprochen schnell, die Foils sind für Vorwindkurse besonders gut geeignet und sollten sich auf der größtenteils von Passatwinden geprägten Transatlantik-Strecke bezahlt machen. Nach einem gemächlichen Start in der bretonischen Hafenstadt St. Malo, ging Thomsons markante schwarz-silberne Yacht zunächst im Feld von 123 Teilnehmern unter. An die Spitze der Klasse der Open-60-Racer setzten sich ein alter Rivale, Vincent Riou mit seiner orange-farbenen PRB, sowie Jérémie Beyou mit der nagelneuen Charal. An dritter Position folgte der Neuling in dieser Klasse, der deutsche Boris Herrmann.

Als es aus dem Ärmelkanal auf den Atlantik ging, zeigte sich Thomsons Hang zu ungewöhnlichen Entscheidungen. Er setzte sich als Einziger nach Nordwesten ab, während die übrigen Einhandsegler den kürzesten Weg über die Biskaya und nach Süden suchten. Doch Thomsons Strategie sollte sich in dem Sturm, der von Westen her anrückte, bald auszahlen. Er kam am besten mit den harschen Bedingungen zurecht, gewann Meilen um Meilen und übernahm die Führung. Auf Höhe der Kanarischen Inseln ging es darum, möglichst übergangslos zu den Passatwinden durchzudringen, eine Hochdruckzone mit schwachen Winden versperrte den Weg. Doch auch hier erwies sich Thomson als Herr der Lage, verteidigte seinen zusammengeschmolzenen Vorsprung und preschte in den nun angenehmeren Bedingungen der so genannten „Barfuß-Route“ davon, Richtung Karibik. Paul Meilhat (SMA), der die Verfolgergruppe mittlerweile anführte, konnte nicht folgen.

Um den Erfolg gebracht. Weil der führende Alex Thomson kurz vor dem Ziel mit einem Riff kollidiert, wird ihm eine Zeitstrafe von 24 Stunden gegeben.
Um den Erfolg gebracht. Weil der führende Alex Thomson kurz vor dem Ziel mit einem Riff kollidiert, wird ihm eine Zeitstrafe von 24 Stunden gegeben.

© LOIC VENANCE / AFP

Obwohl es in der vergangenen Woche gut lief für den Briten und er nur kleinere technische Probleme zu bewältigen hatte, klagte er über Müdigkeit. Es sei erstaunlich, meinte der 44-Jährige am Mittwoch, wie viel ein Körper trotz Schlafmangels leisten könne.

Ob es zu gut lief? So gut, dass Thomson nach den physischen Anstrengungen der stürmischen ersten Novemberwoche die Zügel ein wenig schleifen ließ. Übermannte ihn der Schlaf?

"In diesem Sport geht es um Details, und im allerletzten Moment habe ich ein Detail nicht im Griff gehabt", erklärt Thomson später. Sein Kursverlauf zeigt, dass er ungebremst mit etwa 19 Knoten auf die der Insel vorgelagerten Felsen gehämmert sein muss. Er habe unter Deck geschlafen und den Alarm überhört, der ihn habe rechtzeitig wecken sollen, sagt er. Da der schwenkbare Kiel weit zur Seite geneigt gewesen sein muss, schrammte der Rumpf über die Steine, wie die Kratzspuren an der schwarzen Hülle später zeigen sollten.

"Ich habe mich selbst disqualifiziert"

Irgendwie schaffte es Thomson, sich aus der misslichen Lage zu befreien. Schnell nahm er Druck aus dem Boot, in dem er die Segel löste, warf die Maschine an und gewann offenes Wasser. Die Schäden dürften beträchtlich sein. Wasser drang in die Bugsektion der Hugo Boss, wie sie von einem Kollisionsschott zurückgehalten wurden, auch die Kielaufhängung soll in Mitleidenschaft gezogen sein, ebenso eines der beiden Auftriebsschwerter und der Bugspriet.

Thomson setzte seine Fahrt fort, die ihn noch 50 Meilen um die Insel herumführen sollte. Grund zur Eile bestand nicht. Die Verfolger waren weit weg. Um kurz nach acht Uhr überquerte er die Ziellinie in Point-á-Pitre. Mit elf Tagen, 23 Stunden und elf Minuten hätte er eine neue Bestzeit für Einrumpfboote bei der Route du Rhum aufgestellt. Doch da er die Maschine benutzt hat, wird ihm eine Zeitstrafe von 24 Stunden aufgebrummt. Noch bevor diese offiziell verkündet wird, sagt er, dass Paul Meilhat ein "würdiger Sieger" sein werde. Vor allem von sich selbst sei er enttäuscht, da er sich durch seinen Fehler "selbst disqualifiziert" fühle. Er hätte sich dieselbe Zeitstrafe gegeben. "Ich finde nicht", sagt er schließlich, "dass ich das Rennen nach diesem Vorfall gewinnen sollte."

Auf den Kopf gestellt. Lalou Roucayrol sitzt auf dem Rumpf seines gekenterten Trimarans "Arkema", der tausend Meilen östlich von Guadeloupe im Atlantik treibt.
Auf den Kopf gestellt. Lalou Roucayrol sitzt auf dem Rumpf seines gekenterten Trimarans "Arkema", der tausend Meilen östlich von Guadeloupe im Atlantik treibt.

© AFP

Der 36-jährige Meilhat, der nach einer bravourösen Leistung nun die Spitzengruppe anführt, braucht zehn Stunden ins Ziel. Er segelt mit einem älteren Boot, das keine Foils hat. Dieser Nachteil konnte sich zunächst nicht auswirken, weil die Foils bei dem stürmischen Auftakt ihr Potenzial ohnehin nicht entfalteten. Und schließlich, in der Passatzone, abermals nicht. Jedenfalls fiel Vincent Riou zurück, dessen PRB zwar älteren Datums ist, aber jüngst mit hypermodernen, verstellbaren Foils nachgerüstet wurde.

Meilhat hat wie Yann Eliès, dem dritten im Bunde der Verfolger, viel Erfahrung in der Solitaire-du-Figaro-Serie gesammelt. Diese Tour-de-France auf dem Wasser bringt regelmäßig Top-Segler hervor, die wenig Mühe haben, für große Sponsoren anzutreten. Eliès, dreimaliger Figaro-Sieger, ist denn auch mit der Yacht seines Freundes und Förderers Jean-Pierre Dick unterwegs und hat dessen Geldgeber an sich gebunden (St. Michel). Er ist Meilhat dicht auf den Fersen.

Boris Herrmann kann nach einem tapferen Rennen mit dem fünften Platz zufrieden sein. Doch durch Thomsons Zeitstrafe könnte neuer Ehrgeiz in ihm erwachen. Schafft er es bis morgen Mittag ins Ziel, würde er sich um einen Platz verbessern.

Denn dass er Vincent Riou auch noch einholt, ist zweifelhaft. Zwar hofft der Wahlhamburger darauf, dass ihm im Windschatten von Guadeloupe eine letzte Gelegenheit geboten wird und er von den technischen Problemen profitiert, die der 46-jährige Vendée-Globe-Gewinner bislang verschweigt, doch müsste er immerhin 80 Meilen wettmachen. Unabhängig davon hat Herrmann das Beste aus seiner Situation gemacht, in die er schon ziemlich früh durch ein hartnäckiges Flautenloch geraten war. Während seine unmittelbaren Konkurrenten auf geheimnisvollen Windstrichen davonzuzogen, sah er sich plötzlich ans Ende des Felde versetzt. Aus der Not erwuchs die Idee, sein Glück mit einer westlichen Route zu suchen. Und die Strategie ging auf. Zwar konnte er den ersten Platz nicht halten, auf dem das Tracking-Programm ihn zwischenzeitlich führte, doch fand er nach hunderten von Meilen immerhin wieder Anschluss an das Führungsquartett.

Eines Nachts schlang sich der riesige Spinnacker in einer unfreiwilligen Halse um das Vorstag und Herrmann sah sich schon mit seinen schlimmsten Befürchtungen konfrontiert: Mitten in einer Bö in den Mast klettern und das leichte Tuch freischneiden zu müssen. Ihm gelang es dann doch, die Aktion zu vermeiden, indem er die voluminöse Blase durch Segelmanöver freibekam, doch kostete ihn auch das wertvolle Meilen.

Ein folgenschweres Missgeschick ereilte den Franzosen Lalou Roucayrol. Dessen Trimaran kenterte in einer Gewitterbö. Er befand sich tausend Meilen östlich von Guadeloupe. Zwei Tage musste er in dem Rumpf ausharren, bevor ein Schiff ihn erreichte und abbarg. So ist die Route du Rhum abermals ihrem Ruf gerecht geworden, eine der schwierigsten Solo-Regatten der Welt zu sein.

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