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Timo Bernhard beim Überqueren der Ziellinie in Le Mans.

© AFP

Le Mans: Porsche holt den nächsten Sieg

Wieder erlebt Toyota beim 24-Stunden-Klassiker von Le Mans ein technisches Debakel. Und erneut profitiert Porsche von den Pannen des Konkurrenten.

Von Sabine Beikler

Was für ein spannendes 24-Stunden-Rennen in Le Mans: Nach einer unglaublichen Aufholjagd hat Porsche mit Timo Bernhard, Earl Bamber und Brendon Hartley zum dritten Mal hintereinander den Gesamtsieg eingefahren. Dramatische Szenen dagegen bei Toyota, die mit drei Fahrzeugen in der Königsklasse LMP1 angetreten waren. Zwei Toyota-Fahrzeuge schieden im Verlauf des Rennens aus, das dritte landete abgeschlagen auf dem neunten Platz. Und erstmals fuhren auch zwei Wagen der für Werkteams nicht zugelassenen LMP2-Klasse auf das Podium. In der GT-Klasse mit Profi-Teams siegen Aston Martin vor Ford und Chevrolet. Auch Hollywood-Schauspieler Patrick Dempsey freute sich: Sein Team von „Dempsey Proton Racing“ kam bei den GT-Amateuren auf den sechsten Platz.

Als Timo Bernhard das Siegerauto um 15 Uhr am Sonntag über die Ziellinie fährt, hat er Tränen in den Augen. Es war schon immer sein großes Ziel, mit Porsche in Le Mans zu gewinnen, nachdem er noch als Audi-Pilot 2010 den Sieg in Le Mans einfuhr. „Gibt es ein schlimmeres Rennen als in Le Mans“, schüttelt Bernhards Mutter am Sonntagvormittag den Kopf. Der Porsche mit der Nummer 2 von Bernhard, Bamber und Hartley hat sich von Platz 55 nach der mehr als einstündigen Reparatur am Samstagabend auf Platz fünf vorgekämpft. Eine wahnsinnige Aufholjagd beginnt.

Um kurz nach elf am Sonntagvormittag erscheint der VW-Vorstandsvorsitzende und frühere Porsche-Chef Matthias Müller in der Porsche Hospitality. Und drei Minuten später starren Gäste und Porsche-Leute ungläubig auf den Monitor: Der seit Stunden führende Porsche Nummer 1 mit André Lotterer am Volant fährt langsamer, schleicht um die Kurve, kriecht im Schritttempo und steht nach ein paar Minuten still. Lotterer, der nach dem Ausstieg von Audi aus der WEC (World Endurance Championship) in diesem Jahr zu Porsche gewechselt ist, sitzt im Auto und schüttelt den Kopf. Er steigt aus. Und der Porsche steht.

Die Aufholjagd des zweiten Porsche geht indes weiter. Um kurz vor 12 ist Porsche Nummer 2 an zweiter Position. Das sagt bei einem Langstreckenrennen und drei Stunden vor Rennende aber noch nichts aus: Erfolg und Niederlagen liegen sehr nah beieinander. Und eine Stunde vor dem Zieleinlauf um 15 Uhr hat Timo Bernhard den bis dato führenden LMP2 von Jackie Chan DC Racing überholt und übernimmt von da an die Führung.

Für die meisten Rennfahrer ist die 13,6 Kilometer lange Strecke das weltweit anspruchsvollste Rennen. Zwei Drittel des Kurses verlaufen über Landstraßen mit vielen Spurrillen. Die Wagen erreichen auf der sechs Kilometer langen Hunaudières-Geraden Spitzengeschwindigkeiten bis zu 340 km/h, dann geht es mit 60 km/h in die Haarnadelkurven geht.

Timo Bernhard, der 2010 noch mit Audi den Gesamtsieg in Le Mans einfuhr, startete in diesem Jahr das elfte Mal an der Sarthe. „Le Mans ist Stress, eine einzige Herausforderung. Die Autos sind brutal schnell“, sagte der erfahrene, 36-jährige Porsche-Werksfahrer vor dem Rennen. „Vor allem nachts musst du bei dir sein. Du hast einen noch engeren Tunnelblick als tagsüber. Da kommt einem vieles noch schneller vor.“ Auch die Geschwindigkeiten der langsameren Autos müssen die Fahrer genau einkalkulieren. 60 Autos mit 180 Fahrern gingen dieses Jahr an den Start. Le Mans gehört zur WEC, in der LMP1-Fahrzeuge, fast alle mit Hybridantrieb, private LMP2-Boliden sowie hart umkämpfte seriennahe GT-Klassen gegeneinander antreten.

Le Mans ist Zeltplatzromantik und Motorsport mit sattem Sound

Eine ganze Le-Mans-Woche beinhaltet technische Abnahme, Trainingseinheiten, Qualifying und die legendäre Fahrerparade am Freitagabend in der Innenstadt. Le Mans ist auch ein Mythos für Fans. Jedes Jahr kommen mehr als 200 000 Zuschauer in die 140 000 Einwohner zählende Stadt, viele bleiben eine Woche und zelten auf den Campingplätzen. Billig ist das Rennspektakel nicht: Eine Woche kostet ab 600 Euro, Verpflegung nicht eingerechnet. Le Mans ist Zeltplatzromantik und Motorsport mit sattem Sound.

Die Massen schieben sich über das Gelände, verteilen sich auf den Tribünen, wo einige sogar Hängematten aufgespannt haben und besuchen Aussichtspunkte an der Strecke. Viele britische Fans kommen regelmäßig nach Le Mans, sitzen vor ihren Zelten, trinken Bier, grillen und singen lautstark. Das gesamte Gelände ist ein riesiges Volksfest mit Riesenrad, Fressbuden, Weinausschänken, Irish Pubs, Fanartikeln und einem Laden des Sponsors Rolex mit Uhren von einigen tausend Euro bis 70 000 Euro. Das Merchandising ist für Hersteller und Veranstalter ACO (Automobile Club de’l Ouest) eine Goldgrube: BMW, Aston Martin, Ford, Corvette, Ferrari, Porsche und andere verkaufen T-Shirts, Käppis, Taschen oder Tassen. Schlangen bilden sich vor einem Formel-1-Simulator von AMG. Und im offiziellen ACO-Fanshop ist in diesem Jahr der Renner ein französischsprachiger Comic über Steve McQueen und seinen Besuchen in Le Mans für 32 Euro. Nach den Terroranschlägen in Paris, Nizza, Berlin und Manchester sind die Sicherheitsvorkehrungen in Le Mans deutlich erhöht worden: Taschenkontrollen, Betonpoller vor vielen Eingängen und mit Maschinengewehren patrouillierende Streifen sowohl an der Strecke als auch in der Innenstadt von Le Mans.

Zum 85. Mal wurde in Le Mans das legendäre 24-Stunden-Rennen ausgetragen. Laut ACO gab es knapp 260 000 Zuschauer. Doch welche Hersteller 2018 starten, ist noch offen. Wie geht es weiter in der Königsklasse LMP1? Nach dem Ausstieg von Audi sind Porsche und Toyota die einzig dort verbliebenen Hersteller, die mit den 1000 PS starken Fahrzeugen in der WEC fahren. Mit nur zwei Fahrzeugen ist jedoch der WM-Status gefährdet. Und ein potenzieller dritter Hersteller hat sich noch nicht geäußert, ob er einsteigt: Peugeot. Der Einstieg wäre frühestens 2020. Aber wird Porsche noch bis 2020 warten? Und bleibt Toyota nach der Niederlage 2016 und in diesem Jahr in Le Mans dabei? Porsche erwartet, dass sich Peugeot demnächst über seine Pläne äußert. Und bei Porsche wollen die Vorstände auch bald beraten.

Porsche fährt mit zwei, Toyota mit drei LMP1-Boliden in der WEC. Motorsport auf diesem hohen Leistungsniveau ist teuer: Pro Auto rechnen die Hersteller in einer Saison mit neun internationalen Rennen mit Kosten in Höhe von 150 bis 200 Millionen. Nach dem neuen Regelwerk der ACO ab 2020, das am Freitag in Le Mans vorgestellt wurde, könnten sich diese Kosten um rund zehn Prozent minimieren, da die maximale Teamstärke pro Fahrzeug von bisher 65 auf 50 reduziert wird. Für Lacher und Unverständnis bei den Ingenieuren sorgte aber eine weitere Neuerung, mit der die ACO innovativ sein will: Vorgeschrieben sind künftig Plug-In-Hybridlösungen. Das bedeutet, dass die LMP1-Boliden nach jedem Boxenstopp einen Kilometer elektrisch fahren müssen. Auch die Zieldurchfahrt soll elektrisch erfolgen. Das dürfte wenig Anreiz für andere Hersteller sein in die WEC einzusteigen – dann vielleicht doch gleich in das „Original“, die Formel E.

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