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Verwaist. Parasport-Vereine verzeichnen in der Pandemie großen Mitgliederschwund – von 15 Prozent im Schnitt ist die Rede.

© Imago/Mika Volkmann

Parasport - 15 Prozent Mitgliederschwund bei den Klubs: „Von manchen hören wir gar nichts“

Die Krise trifft den Parasport besonders hart – in Berlin beklagen die Vereine extrem viele Austritte.

Knapp acht Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung leben in Deutschland. Das ist fast jeder Zehnte. Nur etwa die Hälfte von ihnen treibt Sport. Bald könnten es noch weniger Menschen sein. „Unsere Landesverbände und Vereine prognostizieren einen Mitgliederverlust von bis zu 15 Prozent, damit leidet der Behindertensport überproportional an den Folgen der Pandemie“, sagt der Präsident des Deutschen Behindertensportverband (DBS), Friedhelm Julius Beucher.

Im sonstigen Breitensport liegen die Austritte etwa bei fünf Prozent. Dabei sei es eine „gesamtgesellschaftlichen Aufgabe“, flächendeckend Sportangebote für Menschen mit Behinderung „nicht nur zu erhalten, sondern auszubauen“.

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Weshalb trifft Corona den Parasport so hart? Mehr als die Hälfte aller Mitglieder des DSB ist über 60 Jahre alt. „Einige Sportler mit Behinderung gehören also zur gesundheitlichen Risikogruppe“, sagt Beucher. Für das hohe Durchschnittsalter gibt es eine Erklärung. Seine Wurzeln hat der deutsche Behindertensport im Versehrtensport.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es vor allem darum, Kriegsversehrte durch Sport wieder fit für die Arbeit zu bekommen. Spaß und Wettbewerb standen im Schatten der medizinischen Regeneration. Ein weiteres Problem: Auch wenn wenn die Indiviualsierung auch vor dem Parasport nicht halt macht, sind viele Parasportler stärker auf feste Sportstätten angewiesen. Sie können nicht so einfach im Wald joggen gehen, wenn die Halle gesperrt ist.

„Wir versuchen gerade so viel wie möglich online anzubieten“, sagt Christoph Pisarz. Er leitet die Rollstuhlsportabteilung vom Berliner Sportverein Pfeffersport, dem größten Inklusionsverein Deutschlands. Zu den normalen Trainingszeiten wird gemeinsam vor der Kamera Sport gemacht und „die Wasserflasche wird zur Hantel“.

Flexibilität und kreative Lösungen sind gerade wichtig. Für viele Mitglieder sei der Sport auch eine Möglichkeit, Freunde zu sehen. „Wir sind mehr als nur ein Sportverein“, sagt Pisarz. Auch er spricht von einer sozial-gesellschaftlichen Verantwortung. „Von manchen Mitgliedern hören wir Monate lang gar nichts, bevor sie plötzlich wieder da sind“, erzählt er. Viele Menschen mit Behinderung müssten sich aufgrund von Vorerkrankungen oder Covid-19-Ausbrüchen in ihren Wohngemeinschaften besonders isolieren.

Vor Corona hatte Pfeffersport etwa 4500 Mitglieder. Seitdem gab es ungefähr 80 Austritte pro Monat. Die meisten waren altersbedingt; neue Mitglieder von der langen Warteliste werden momentan nicht aufgenommen. Pfeffersport komme also noch ganz gut durch diese Zeit. Wie viele Mitglieder eine Behinderung haben, wisse Pisarz nicht, und er will es auch gar nicht so genau wissen. Die Inklusion gelte bei Pfeffersport ohnehin für alle Bereiche.

Ein anderes großes Problem droht in Vergessenheit zu geraten, wenn alle Sportler*innen von zu Hause aus trainieren: die Sportstätten. Gerade in Berlin ist die Zahl der Hallen und Plätze stark begrenzt – besonders wenn sie barrierefrei sein sollen. Zunehmend werden zwar barrierefreie Sportstätten gebaut, gedeckt und ungedeckt, aber „jeder notwendige Schritt muss noch immer hart erstritten werden“, sagt Beucher.

Noch bleibt die Hoffnung, dass der Mitgliederschwund gebremst werden kann

Außerdem werde bei Barrierefreiheit meist nur an den Zugang für Menschen im Rollstuhl gedacht, blinde oder gehörlose Menschen seien weiterhin außen vor.

Insgesamt geht die Entwicklung des deutschen Parasports aber stetig nach oben: Er wird professioneller, findet medial mehr Beachtung und immer mehr Regelsportvereine bieten Sport für Menschen mit Behinderung an. Das zeigen auch die Mitgliederzahlen des DBS: Fast 600 000 Mitglieder zählte der DSB 2020, fast doppelt so viele wie vor 20 Jahren.

Um in Zukunft noch mehr Menschen zu erreichen, veröffentliche der DBS im Februar online einen Parasportarten-Finder, der Menschen mit einer Behinderung dabei helfen soll, ein passendes Sportangebot in der Nähe zu finden. Der neue Finder ergänzt das Handbuch Behindertensport, dass Ende 2020 neu aufgelegt und aktualisiert wurde. Allerdings nützt das alles erst, wenn die Hallen wieder aufmachen – und dann ist da natürlich die Hoffnung, dass der Mitgliederschwund am Ende nicht zu arg ausfällt.

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Luca Füllgraf

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