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Rennen ohne Wind. Beim Ocean Race Europe schlägt die Stunde der Taktiker.

© AFP

Ocean Race Europe im Segeln: Deutsches Team gewinnt letzte Etappe

Der Auftakt für die Kampagne des Offshore Team Germany ist gelungen. Es konnte sie sich in den tückischen Bedingungen des Mittelmeers durchsetzen. 

Der Golf von Genua hat schon manche, die sich als Sieger eines anstrengenden Segelrennens wähnten, bitter enttäuscht. Denn er ist berüchtigt dafür, wenig Wind zu kennen. 

So ist es auch auf den letzten Metern der dritten Etappe des Ocean Race Europe. Mühsam schleppt sich eine weiße Yacht mit schwarzen Segeln am Donnerstagvormittag dem Ziel entgegen. Rot-goldene Ringe auf dem dunklen Tuch machen ihre Herkunft kenntlich. Sie ist allein auf weiter Flur. Doch wenn ihre Verfolger auch weit zurückliegen, kann der vierköpfigen Crew um Steuermann Robert Stanjek so wenig Wind nicht gefallen. 

Mit Flauten und geringen Windstärken haben die Teilnehmer auf dieser Etappe vom spanischen Alicante durchs Ligurische Meer nach Genua von Anfang an zu kämpfen. Darunter auch das Offshore Team Germany (OTG), das diesen europäischen Prolog des im nächsten Jahr startenden Hochseeklassikers um die Welt dafür nutzen will, sich mit ihrer Imoca-Yacht vertraut zu machen und Erfahrungen zu sammeln. Für den 40-jährigen Stanjek ist es die erste Bewährungsprobe als Skipper in der für ihn relativ neuen Disziplin des Hochseesegelns.

Sie ist bestanden, als seine „Einstein“ als erste ihrer Klasse um 11.40 Uhr die Ziellinie quert, während die Verfolger noch 25 Meilen Wegstrecke vor sich haben. Damit führt das deutsche Team die Wertung der Imoca-Teilnehmer nach drei Etappen und einem Hafenrennen mit einem Punkt an vor Linkedout um den französischen Skipper Thomas Ruyant. 

Brillante Strategie und technischer Vorteil

Zwischenzeitlich hatte der Abstand bei dieser letzten Hochseeetappe sogar 80 Meilen betragen, was sich einer Mischung aus brillanter Strategie und technischem Vorteil verdankte. Obwohl die „Einstein“ unter ihrem damaligen Namen „Accione“ bereits für das Vendée Globe 2012 gebaut wurde und bislang nicht mit Foils ausgerüstet ist, kamen ihr die schwachwindigen Bedingungen sehr zugute.

Schon am Start lief sie mit ihrem konventionellen Profil mehr Höhe, kreuzte sich effizient zur ersten Bahnmarke und war auf und davon. Die vier Konkurrenten konnten das Potenzial ihrer Tragflächenschwerter bei Geschwindigkeiten um zwölf Knoten nicht ausschöpfen. Und weil die „Einstein“ mit ihren Steckschwertern viel weniger Widerstand im Wasser erzeugt, außerdem im oberen Teil des Großsegels mehr Fläche einsetzen kann, segelte sie fortan ihr eigenes Rennen.

[Mehr Segeln bei Tagesspiegel Plus: Wie zwei Deutsche bei Olympia das Segel-Traumduo bezwingen wollen.]

Zumal der Kurs nach Genua gespickt war mit Hochdruckbrücken, durch die sich einen Weg zu bahnen ohnehin äußerst trickreich ist. Taktiker Benjamin Dutreux entschied, die Balearen nördlich zu umfahren, eine Option, der bis auf die niederländische VO65-Yacht „Childhood“ niemand sonst folgte.

Schon bei Ibiza blieb der Rest des Feldes zum ersten Mal in der Flaute hängen und wich weit nach Südosten aus, während Stanjek, Dutreux, Annie Lush und Phillip Kasüske langsam aber beharrlich der Ideallinie folgten. 

Die niederländische Childhood-Yacht.
Die niederländische Childhood-Yacht.

© AFP

Das vierköpfige Team ist Außenseiter in diesem Vorbereitungsrennen. Aber was macht das schon, wenn sich ohnehin alles neu sortiert?

Nach dem Ausstieg des Titelsponsors Volvo (von 2001 bis 2018) sucht das Ocean Race, das erstmals 1973 als WhitbreadRound The World Race gestartet worden ist, nach einem neuen Format.

Da man den bewährten 65-Fuß-Racern der Volvo-Ära nicht so viel zutraut wie den sich rasant weiterentwickelnden Speedmonstern der Imoca-Klasse, gehen bei dieser Ausgabe beide Typen an den Start. Die größeren VO65-Boote werden von vielköpfigen, überwiegend sehr jungen Mannschaften aus Frankreich, Polen, den Niederlanden, Österreich, Mexiko, Portugal und Litauen bedient, während die für Einhandrennen konzipierten ,Open60s‘ vier Segler an Bord haben dürfen.

Welche Herausforderung das mit sich bringt, war beim Start zur zweiten Etappe in Cascais, Portugal, zu erleben. Dort rammte das amerikanische Team von „11th Hour“ ein ankerndes Anglerboot, weil die Segler es aus der Deckung ihres Cockpits zu spät entdeckten. Der Schaden war gering, doch sind Imoca-Yachten für Manöver auf engstem Raum nicht unbedingt geeignet. 

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Bei wenig Wind muss man schnell reagieren, manchmal auf eine bloße Ahnung hin. Das fiel Stanjek und seinen Mitstreitern auf ihrem viel weniger abgekapselten Boot offenbar leichter als der Konkurrenz. Schon auf der ersten Etappe von Lorient nach Portugal, als die Bedingungen wie geschaffen waren für die Foiler, konnte sich OTG immer wieder an das Feld herankämpfen. Am Ende fehlten im Flautenkrimi vor der Ziellinie von Cascais nur wenige Sekunden, und es wäre Dritter geworden. 

Von da an hat sich OTG ständig verbessert. Wurde auf dem Trip nach Alicante Zweiter und nun schließlich Erster. Dass keine Foils zu haben, nicht unbedingt ein Nachteil ist, hat Dutreux beim Vendée Globe bewiesen, wo der 31-Jährige mit einem ähnlich rückständigen Gefährt lange in der Spitzengruppe blieb. 

Für die Kampagne von Team-Manager Jens Kuphal aus Berlin ist der Erfolg nicht nur ein Beleg der eigenen Leistungsfähigkeit. Er ist auch bitter nötig, um Finanzpartner an Land zu ziehen, die dem OTG Rückhalt und Ressourcen liefern. Das erklärte Vorbild für die eigene Ambition ist immerhin die Illbruck, die das Volvo Ocean Race 2002 gewann. Seither hat sich kein deutsches Team mehr der Herausforderung gestellt.

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