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Nicht nur auf der Bahn Zeichen der neuen Generation: Asher-Smith spricht offen über Themen wie Druck, Rassismus oder Menstruation

© REUTERS

Kulturwandel bei Athleten und Verband: Nur Medaillen sind „Bullshit“ – in Großbritannien entsteht eine neue Besonnenheit

Seit Jahren sind die Briten eine der stärksten Nationen bei Olympia. Doch das Erbe der Heimspiele von 2012 hinterlässt Spuren.

Beim Rugby-Klub der westenglischen Kleinstadt Malvern wurde am Dienstag eine Mountainbikerin gefeiert. Evie Richards kam im Cross-Country-Rennen zwar nur als Siebte über die Linie, doch eine Olympia-Heldin aus der eigenen Stadt erlebt man in den Hügeln von Worcestershire nicht alle Tage. Und so kamen Dutzende zum Public-Viewing auf das Rugby-Feld und wehten voller Freude ihre Union-Jacks, um Richards’ siebten Platz zu feiern. Ein bisschen erinnerte die Szene an ganz früher, als es für die Briten meistens wirklich um die Teilnahme ging, und nicht um den Sieg. Denn Siege gab es bei Olympia ja sowieso kaum.

Jene Zeiten sind längst vorbei. Zwanzig Jahre gezielte Förderung um die Heimspiele 2012 haben aus der ehemals grauen Maus Großbritannien eine olympische Großmacht gemacht. Nach Jahren, wo sie mit insgesamt fünf oder zehn Goldmedaillen zufrieden waren, stehen die Briten seit 2008 konstant unter den ersten vier im Medaillenspiegel. 173 Medaillen haben sie bei den jüngsten drei Sommerspielen insgesamt gewonnen. Und auch in diesem Jahr scheint sich der Trend fortzusetzen.

„Magic Monday“

Mit vier Goldmedaillen in den ersten vier Tagen lieferte „Team GB“ seinen besten Start bei den Olympischen Spielen in der modernen Ära. Drei davon kamen sogar am selben Tag, den die britische Presse schnell „magischen Montag“ taufte. Nachdem Adam Peaty zum ersten britischen Schwimmer wurde, der einen olympischen Titel erfolgreich verteidigte, folgten weitere Erfolge im Radsport und Synchronspringen. Am Wochenende könnte es weitergehen, denn im 100-Meter-Lauf der Frauen gehört Dina Asher-Smith zu den Titelfavoriten. Mit bisher 27 Medaillen insgesamt sind die Briten auf Kurs, ihren Rekord von 67 in Rio noch einmal zu brechen.

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Dabei sollte es gerade in Tokio eben nicht nur um die Anzahl der Titel gehen. Vor den Spielen war in den Führungsetagen davon die Rede, dass man den Erfolg in Zukunft „holistischer“ definieren will. Anders als in den Vorjahren setzt sich Großbritannien 2021 nur ein sehr grobes Ziel für den Medaillenspiegel – unter anderem, um den Athleten nach der schwierigen Vorbereitung den Druck zu nehmen. „Die Art und Weise, wie wir den Erfolg messen, hat sich seit Rio entwickelt. Medaillen sind wichtig, aber wir wissen, dass wir unseren Horizont erweitern müssen“, sagte Sally Munday, die Geschäftsführerin von UK Sport Anfang Juli.

Das könnte auch als eine Reaktion auf langsam wachsende Kritik gesehen werden. Nicht nur die verheerenden Dopingvorwürfe im Radsport haben in den jüngsten Jahren für Ärger gesorgt: Vielerorts wurde auch die ganze Förderungsstrategie hinterfragt. Mit gezielter Finanzierung habe man zwar jede Menge Medaillen gewinnen können, aber reicht das auch?

Kulturwandel bei den Athleten

„Inspire a Generation“ lautete das Motto der Londoner Spiele 2012, doch nun bemängeln viele die wenig nachhaltige Förderung und den ausbleibenden Boom im Amateursport. „Neun Jahre später sieht man, dass die Goldmedaillen Bullshit sind“, schrieb vor einer Woche der „Guardian“.

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Auch bei den einzelnen Athleten scheint in der Generation nach 2012 ein deutlichen Kulturwandel stattgefunden zu haben. Bradley Wiggins, eine Ikone der Londoner Spielen, sprach zuletzt mehrfach über die geistige und mentale Bürde des Erfolgs bei den heimischen Spielen. Durch Athleten wie Simone Biles oder Naomi Osaka rücken solche Fragen generell immer mehr in den Vordergrund, und bei den Briten ist es nicht anders. Der im Pool allmächtige Peaty erinnerte nach seinem Sieg sofort daran, dass er eben keine Maschine, sondern ein Mensch sei. Er sprach von seinem jungen Kind und von dem Druck, nach jahrelanger Vorbereitung, im wichtigsten Moment liefern zu müssen.

Auch der Synchronspringer Tom Daley, der schon mit vierzehn Olympia-Teilnehmer wurde, kennt diesen Druck bestens. Als er am Montag beim vierten Versuch endlich die Goldmedaille um den Hals hatte, weinte der heute 27-Jährige, und widmete seinen Erfolg eloquent der LGBT-Gemeinschaft. „Ich bin wahnsinnig stolz, sagen zu können, dass ich ein schwuler Mann und ein Olympia-Sieger bin“, sagte er.

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Eine ähnliche Vorbildrolle nimmt auch die Sprinterin Asher-Smith an. 2012 war sie nur als freiwillige Helferin im Einsatz, ihre Karriere baute sie im Schatten der damaligen Stars wie Jessica Ennis-Hill und Mo Farah auf. Doch heute gilt sie nicht nur auf der Bahn als Fackelträgerin der neuen Generation. In Interviews sowie in ihrer eigenen Zeitungskolumne spricht sie offen und ausgewogen über Themen wie Druck, Rassismus oder Menstruation, und ist auch deshalb zum britischen Aushängeschild in Tokio geworden.

Das wird sie auch bleiben, selbst wenn es am Samstag nicht für die Goldmedaille reicht. Denn so langsam ändert sich die sportliche Kultur auf der Insel. Weg vom Medaillen- und Flaggenwahn des letzten Jahrzehnts, und hin zu einer neuen Besonnenheit.

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