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Gestanden: In einer ARD-Dokumentation sprach Johannes Dürr über den eigenen Dopingmissbrauch

© dpa

Der Fall Johannes Dürr: Nicht Opfer, sondern geständiger Dopingtäter

Johannes Dürr ist kein Opfer des Dopingsystems. Er hat die Möglichkeiten vielmehr ausgereizt. Ein Kommentar

Im letzten Absatz des Tagesspiegel-Artikels über den überführten Dopingsünder Johannes Dürr stellt der Autor die Frage: „Ist der Protagonist nun Opfer oder Täter?“ und liefert zugleich die Antwort: „Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen.“

Einspruch. Die Antwort ist allumfassend eindeutig: Johannes Dürr ist nicht Opfer, er ist ein geständiger Dopingtäter. Dürr hat vorsätzlich Dopingmittel genutzt und somit betrogen, um seine Leistung zu steigern.

Vorsatz ist das Wesensmerkmal von Doping. Durch Verbot und Ächtung von Dopingmitteln soll der sportliche Betrug verhindert werden. Dürr hat sich mit List und Finten über Verbot und Ächtung hinweggesetzt – ganz so, wie er es heute mit eigenen Worten beschreibt.

Johannes Dürr: "Wir haben es in Kauf genommen"

Sollen ihn etwa seine Ausreden entschuldigen? „Jeder hat quasi auf eigene Faust ein bisschen ausprobiert, wo man zu dieser Zeit schon immer ins andere Zimmer geschaut hat: Aha, neue Tablette, was ist das? Interessant, aha, brauche ich das auch?“, sagte Dürr. Nach seinem 18. Lebensjahr habe er Infusionen bekommen. Was genau ihm gegeben wurde, wisse er nicht: „Wir haben uns alle dabei nicht wohlgefühlt. Aber wir haben es in Kauf genommen.“

Und schließlich ließ sich Dürr für insgesamt 5000 Euro in Münchner Hotels am Flughafen oder Innenstadt, in einem Motel auf der Raststätte Irschenberg an der A8 oder auf einem Parkplatz bei seinem Hotel in Oberhof das Blut manipulieren. Oder sollen ihn seine Motive („Was soll ich denn tun ohne meinen Sport?“, „Ich hatte wahnsinnige Angst vor dem Nichts.“) entschuldigen?

Ein um seine eigene Illusion betrogener Betrüger? Liegt darin Dürrs Opfer-Sein? Nein. Selbstmitleid macht ihn nicht zum Opfer. Und ganz grundsätzlich: Allein Eigenverantwortung bewahrt jeden Athleten davor, Opfer der Sport-Verhältnisse zu werden. Einen anderen Weg gibt es nicht.

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Genau das macht Sport aus, weil mal der eine, mal der andere gewinnt. Mit diesem Wettbewerb, mit Sieg und Niederlagen und den Mechanismen des durch-kommerzialisierten Systems umgehen zu lernen, ist das Einmaleins. Sport ist so bereichernd und euphorisierend wie entbehrungsreich und niederschmetternd. Das erleben zigtausende Sportler so. Und warum sollte ein Sportler irgendeinen Anspruch darauf haben, für sein Talent und seinen Fleiß anders „entschädigt“ zu werden als durch enorme Lebenserfahrung, persönliche Genugtuung und durch die eine oder andere Medaille?

Wohin soll es führen, wenn alles erlaubt sein soll?

Weil er gedopt hat? Wer dopt und das mit dem Druck erklärt, unter dem er steht, versteht sich vermutlich als Opfer. Das macht es aber nicht wahrer. Athleten müssen nur die Größe haben zu sagen, dass sie das nicht mitmachen. Erst wenn sie Trainern, Funktionären und Ärzten abverlangen, sportliche Leistungen mit intelligenten und geistreichen Trainingsmethodiken zu steigern und die sporttypischen Gebote von Fairness und Sauberkeit zu achten, können sie sicher sein, hinlänglich respektiert zu werden.

Johannes Dürr hat gedopt, weil es möglich war. Er hat die Möglichkeiten wahrlich ausgereizt. Wohin soll es führen, wenn alles erlaubt sein soll, um Leistungssport so erfolgreich wie möglich durchzustehen?

Wenn die Athleten „Glück“ haben, sagt ihnen ein Arzt, wie sie am besten dopen. Wenn sie noch weniger Glück haben, sagt es ihnen ihr Trainer: Im Zweifel etwas mehr davon, schließlich machen es alle so und auch das nicht erst seit heute. Und dann treffen ehrgeizige Sportler auf geltungssüchtige Spitzensportfunktionäre, die ein ineffektives Kontrollsystem auf die Beine stellen und Antidoping-Statuten formulieren, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen. Diesem System muss, darf und sollte niemand zum Opfer fallen wollen.

Die Autorin ist u.a. ehemalige Deutsche Vizemeisterin im 200-Meter-Sprint und Gründerin zweiter Anti-Doping-Initiativen.

Claudia Lepping

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