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Testverfahren: Doping-Experten wie Fritz Sörgel (im Bild) arbeiten an Verfahren, um Doping nachzuweisen.

© dpa

Update

Studie der Humboldt Universität Berlin: Neue Details im Doping-Skandal: Anabolika an Kinder

Bei der Aufarbeitung der Doping-Vergangenheit im Westen Deutschlands sind weitere Details bekannt geworden. Schon in den 70er-Jahren sollen Anabolika an Minderjährige verabreicht worden sein. Die Veröffentlichung der Forschungen wird weiterhin behindert.

Die Zwischenberichte einer Forschergruppe der Humboldt-Universität Berlin in den vergangenen Jahren ließen bereits den Schluss zu – nun ist sicher: Im westdeutschen Spitzensport wurde spätestens seit 1970 über viele Jahre „systematisch“ gedopt. Die „Süddeutsche Zeitung“ zitiert in ihrer Samstagsausgabe aus dem Abschlussbericht der Studie. Unter dem Titel „Doping in Deutschland von 1950 bis heute aus historisch-soziologischer Sicht im Kontext ethnischer Legitimation“, legen die Autoren auf 800 Seiten dar, dass Dopig in Westdeutschland gewollt war und durch die Politik toleriert wurde.
Eng verbunden mit dem Aufbau des systematischen Dopings ist den Forschern zufolge die Gründung des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) im Jahr 1970, das dem Bundesinnenministerium untersteht. Das BISp hatte die Studie 2008 gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) in Auftrag gegeben. Nach Ansicht der Wissenschaftler sollen beim BISp die Fäden für umfangreiche Tests mit „zahlreichen leistungsfödernden Substanzen“ jahrzehntelang zusammengelaufen sein; die Autoren sprechen von Anabolika, Testosteron und auch dem Blutdopingmittel Epo. Dies soll nicht als Reaktion auf das Staatsdoping in der DDR geschehen sein, sondern aus eigener Initiative.
Bereits 2010 und 2011 legte die Forschergruppe unter der Leitung des Sporthistorikers Giselher Spitzer Zwischenberichte vor. Besonders zwei Aspekte des bereits im April diesen Jahres abgeschlossenen aber bis dato nicht veröffentlichten Abschlussberichts waren bisher nicht bekannt. Zum einen soll bereits bei Minderjährigen Doping angewandt worden sein. Zwar gab es offiziell ein Verbot der Anabolika-Einnahme für Jugendliche, doch legen Dokumente eine andere Praxis nahe: Demnach sollen bei einer Förderklasse mit 16-jährigen und einer Sportklasse mit elfjährigen Jungen Untersuchungen gemacht worden sein, um den Einfluss von Dopingmittel auf das junge Alter zu testen. Und zum anderen wurden offenbar Doping-Kontrollen verschleppt. So habe die Sportmedizin früh darauf hingewiesen, dass es zwar Wettkampfkontrollen gäbe, Anabolika allerdings nicht nachweisbar wären, so sie vor dem Wettkampf früh genug abgesetzt werden würden. Trainingskontrollen gab es so gut wie überhaupt nicht – und das blieb so bis zur Wiedervereinigung.

Warum die Studie der Öffentlichkeit bisher nicht vorliegt, habe „außerwissenschaftliche Gründe“, sagt der Leiter der Forschergruppe Giselher Spitzer gegenüber dem Tagesspiegel. Er fordert von den Auftraggebern, dass sie die Studie so schnell wie möglich öffentlich präsentieren. „Es wird vernebelt, dass es einen offiziellen Bericht gibt“, so Spitzer. Bereits in den vergangenen Jahren gab es Auseinandersetzungen zwischen den Auftraggebern BISp und DOSB sowie der Forschergruppe der Humboldt-Universität und den anderen beauftragten Wissenschaftlern von der Universität Münster. Insbesondere die Berliner pochten auf die Darstellung aller beteiligter Personen und Institutionen – das BISp allerdings berief sich auf den Datenschutz und forderte weitestgehend anonymisierte Texte. „Da sind mindestens 500:000 Euro an Steuergeldern investiert worden“, sagt Spitzer. Allein deshalb schon habe die Öffentlichkeit ein Recht an den Ergebnissen. Die Forscher könnten auf eigene Faust publizieren, doch weigern sie sich ohne den Rechtschutz des Auftraggebers. Es ist nicht ausgeschlossen, dass durch die Erkenntnisse der Forscher auch Personen belastet werden, die noch immer in einflussreichen Funktionen in den Institutionen des deutschen Sports auftauchen.

Zudem werfen auch Recherchen der „Main-Post“ und der „Märkischen Oderzeitung“ Fragen auf, wie ernsthaft die Auftraggeber an der Aufklärung der westdeutschen Doping-Vergangenheit interessiert sind. Vergangene Woche veröffentlichten die beiden Zeitungen Dokumente, die sich im Bundesarchiv aufgetan haben. Sie belegen, dass Dopingforschung mithilfe von Bundesmitteln finanziert wurde. Besonders im Vorfeld der Olympischen Spiele in München 1972 wurde Doping demnach nahezu salonfähig im deutschen Sport . Allerdings soll es viele weitere beweiskräftige Unterlagen gegeben haben – die vernichtet worden sind. Die Berliner Forschungsgruppe kritisierte bereits 2011, dass Originaldokumente der Jahre 1969 bis 1988 schon zum Zeitpunkt des erteilten Forschungsauftrags 2008 nicht mehr vorlagen. Einen „Skandal erster Ordnung“ nennt Forschungsruppenleiter Spitzer das.

Ähnlich sieht das auch Ralf Stegner, Vorsitzender der SPD in Schleswig-Holstein. Er forderte von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) Aufklärung: „Doping muss im Interesse von fairem Sport bekämpft und unterbunden werden“, sagte Stegner gegenüber „Handelsblatt online“ am Samstag. Zudem forderte er die sofortige Veröffentlichung der Studie und Transparenz über die Doping-Verfehlungen der Vergangenheit. „Das haben wir in Richtung DDR früher kritisiert und so muss es erst recht für die Bundesrepublik gelten. Herr Friedrich ist jetzt in der Pflicht“, so Stegner.

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