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Zug um Zug. Finnia Wunram (l.) schwamm erfolgreich durchs südkoreanische Wasser.

© Mark Schiefelbein/dpa

Warum Wellbrock, Wunram & Co. feiern dürfen: Mit Ellenbogeneinsatz zur besten Nation

Die Freiwasserschwimmer sind robuster geworden. Das zahlte sich für die Deutschen bei der Weltmeisterschaft in Südkorea aus.

Finnia Wunram drückte Suri an ihren Bauch. Das Plüschtier haben alle Medaillen-Gewinner bei den Freiwasserwettbewerben in Yeosu in Südkorea bekommen: diesen kleinen blauen Otter mit grüner Badehose. Über 25 Kilometer war Wunram am Freitag nach mehr als fünf Stunden zu Silber geschwommen und heimste – anders als vor zwei Jahren bei der WM in Ungarn – eine Medaille ein. Mit der Mixed-Staffel etwa landete Wunram 2017 auf dem achten und letzten Platz, für sie war das ein besonders dramatisches Rennen: Gleich zu Beginn kassierte sie heftige Schläge auf den Kopf, nach ihren 1,25 Kilometern musste die damals 21-Jährige völlig entkräftet aus dem Wasser gezogen werden. Sie kollabierte und brauchte zehn Minuten, um wieder auf die Beine zu kommen. Aber damals stellte Bundestrainer Stefan Lurz auch fest: „Sie hat sich durchgebissen. Andere wären gleich rausgegangen.“

Durchbeißen – das ist so ein Motto bei den Freiwasserschwimmern, denn in den vergangenen zwei Jahren ist in dieser Hinsicht viel passiert. Nach der Nullnummer von 2017 steht die Freiwasser-Sparte nun plötzlich mit fünf Medaillen da, Platz eins in der Nationenwertung. Gleich zwei Goldmedaillen hat der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) in dieser Woche bejubeln können: Florian Wellbrock (zehn Kilometer) und die Mixed-Staffel gewannen ihre Rennen, Rob Muffels holte Bronze (zehn Kilometer) und Leonie Beck freute sich über einen geteilten dritten Platz (über fünf Kilometer). Und dann kam Wunrams Silber im längsten Rennen der WM. Dass auf einmal so viel gejubelt werden kann, hat viel mit dem Durchbeißen zu tun. Und dass man aus Fehlern gelernt hat.

Mit einem Wutausbruch hatte Stefan Lurz, Bruder des 2015 zurückgetreten Rekordsiegers Thomas Lurz, 2017 die WM verlassen. Sein Schützling Leonie Beck etwa, die sich als Beckenathletin auch im Freiwasser versuchte, hatte sich für seinen Geschmack in der Vorbereitung zu selten ins offene Gewässer begeben. „Ein bisschen durchs Becken tingeln, dann hier tingeln und dann mal eben eine Medaille holen, das funktioniert einfach nicht“, sagte Lurz. Was man auf das gesamte Konzept im deutschen Freiwasserschwimmen übertragen konnte. Nach dem WM-Desaster vom Balaton haben sie beim DSV vieles hinterfragt. „Wir haben dann zusammen Trainingslager gemacht, vor allem aber mehr Wettkämpfe besucht, auch internationale, um Wettkampfhärte und Erfahrungen zu sammeln“, sagte Lurz nun in Yeosu dem ZDF. Das war die größte Erkenntnis: Dass sie das Durchbeißen richtig trainieren müssen.

Anders als im Becken wird im Freiwasser gerangelt und gestoßen, bei Wenden und im Endspurt entscheidet dann schon mal die Robustheit. Die Nerven zu behalten, die Orientierung nicht zu verlieren, wenn die Gegner einen unter Wasser ziehen. „Das ist das Problem im Vorfeld der WM 2017 gewesen: Dass wir versucht haben, das im im Becken zu üben“, sagte Lurz nun. Mit zwei oder drei Mann auf einer Bahn zu schwimmen sei allerdings kein Vergleich zu den 30 oder 40 Athleten, die zum Beispiel bei einer WM an manchen Stellen im Wasser aufeinander treffen. Also absolvierten die deutschen Freiwasserschwimmer in diesem Jahr diverse internationale Wettkämpfe, nahmen Reisestrapazen in Kauf. „Die Jungs und Mädels haben geübt, die Ellenbogen ein bisschen auszufahren, sich durchzusetzen, sich nicht unterkriegen zu lassen“, sagte Lurz.

Wellbrock hat Selbstbewusstsein ins Team gebracht

Und diese Erfahrungen haben sich nun ausgezahlt. Im Rennen über zehn Kilometer entschied erst der Schlussspurt über die Medaillen, in dem sich Florian Wellbrock einer Attacke von Frankreichs Marc-Antoine Olivier erwehren musste. Olivier schwamm über seine Hüfte, „das hat ganz schön Kraft gekostet“, berichtete Wellbrock später, doch für das schnellere Finish reichte es bei ihm doch. In der Mixed-Staffel setzte sich Freiwasser-Spezialist Rob Muffels auf den letzten Metern gegen den 1500-Meter-Olympiasieger Gregorio Paltrinieri aus Italien durch und bei Leonie Beck entschied über fünf Kilometer erst das Fotofinish über eine Medaille. Es sind enge Rennen gewesen, in denen selbst nach zehn Kilometern manchmal nur Sekundenbruchteile die Athleten von Medaillen trennten.

Ein entscheidender Faktor für die erstaunliche Ausbeute war für den Bundestrainer aber auch einer: Florian Wellbrock. „Er hat Selbstbewusstsein ins Team gebracht“, sagte Lurz, „wir haben einen neuen Leader gefunden, der Druck aus dem Team nimmt.“ Die überzeugenden Auftritte des 21-Jährigen, der auch über 800 und 1500 Meter im Becken große Medaillenchancen hat, machten auch den Kollegen und Kolleginnen Mut. Er und Beck bringen als gelernte Hallenschwimmer enorme Grundgeschwindigkeiten mit, sie können Rennen gleich zum Start schnell angehen. Muffels und Wunram sind schon immer Freiwasser-Verliebte mit großen Kämpferqualitäten. Alle vier haben durch die guten Ergebnisse nun Startplätze für die Olympischen Spiele im kommenden Jahr ergattert, wo nur über die zehn Kilometer Medaillen vergeben werden. „Ich bin positiver Dinge für Tokio 2020“, sagte Stefan Lurz noch und freute sich über diese Weltmeisterschaft: „Das war eine Wahnsinns-Woche.“

Saskia Aleythe

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