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Emre Can (rechts) gibt Halt. Auch dem neuen deutschen Kapitän Joshua Kimmich.

© REUTERS/WOLFGANG RATTAY

Der erste Gewinner des Neustarts in der Nationalelf: Emre Can fordert die Platzhirsche des FC Bayern heraus

Im Länderspiel gegen Belgien zeigt sich erneut, dass Joshua Kimmich und Leon Goretzka nicht die ideale Besetzung für die Sechserposition sind. Erst mit dem Dortmunder Can wird es besser.

Emre Can ließ den Ersten stehen, auch den Zweiten, und selbst der Dritte konnte ihn nicht stoppen. Dann war er verschwunden. Der deutsche Fußball-Nationalspieler trug bereits Zivil, schwarze Jacke, schwarze Hose und auf dem Kopf eine schwarze Wollmütze, und alle Versuche der Journalisten, ihm ein paar Worte zu entlocken, ließ er ins Leere laufen. „Heute nicht“, sagte der Dortmunder Mittelfeldspieler, der, zumindest auf deutscher Seite, der Mann des Abends gewesen war.

Vorgesehen war er für diese Rolle nicht. Denn anders als am Wochenende, beim 2:0-Sieg gegen Peru, saß Can gegen Belgien nur auf der Bank. Doch schon nach 30 Minuten wurde er von Bundestrainer Hansi Flick aufs Feld geschickt, gemeinsam mit dem Länderspieldebütanten Felix Nmecha. Weil die deutsche Nationalmannschaft bis dahin über den Rasen getaumelt war, wie eine deutsche Nationalmannschaft schon lange nicht mehr über den Rasen getaumelt ist.

„Danach hat sehr viel mehr gegriffen“, sagte Mittelstürmer Niclas Füllkrug. Der kausale Zusammenhang mit Cans Einwechslung war offenkundig. Can gab der Mannschaft Halt, er sorgte für Balance und schuf eine Stabilität, auf deren Basis die Deutschen fortan auch in der Offensive gefährlicher wurden. „Wir haben viel mehr Zweikämpfe gewonnen. Damit steht und fällt alles“, sagte Füllkrug.

Auch Nmecha hatte daran seinen Anteil. Er war schon in den ersten drei Minuten präsenter, als es Florian Wirtz in den dreißig Minuten bis zu seiner Auswechslung gewesen war. Neben dem Leverkusener musste auch der angeschlagene Leon Goretzka vom Feld, der zuvor mit Joshua Kimmich die Doppelsechs gebildet hatte.

Er war der aggressive Leader, den wir gebraucht haben.

Bundestrainer Hansi Flick über Emre Can

Die beiden Bayern sind für Flick, den Bundestrainer mit Bayern-Vergangenheit, immer noch so etwas wie die natürliche Besetzung fürs zentrale Mittelfeld. Beim 2:3 gegen die Belgier aber waren sie nicht die Lösung, sondern das Problem. Und das nicht zum ersten Mal.

Kimmich und Goretzka denken das Spiel vor allem nach vorne. Sie verfügen über einen ausgeprägten Sinn, gestaltend tätig zu werden, und ignorieren immer wieder das eigentlich unerlässliche Gespür für Gefahr. „Beide haben enorme Qualitäten“, sagte Flick. Das bestreitet niemand. Aber möglicherweise sind es nicht die, die seine Mannschaft auf dieser Position benötigt.

Am Dienstag benötigte sie jemanden wie Emre Can, der sich als das perfekte Gegenmodell zur eher künstlerisch veranlagten Doppelsechs Kimmich/Goretzka herausstellte. Can erledigte seinen defensiven Job, nicht nur maximal uneitel; er erledigte ihn auch mit großer Lust.

„Ich habe versucht, das zu tun, was ich am besten kann: in Zweikämpfen aktiv und präsent zu sein, um der Mannschaft zu helfen“, sagte der Mittelfeldspieler bei der ARD. Innenverteidiger Thilo Kehrer lobte, dass Can die Tugenden eingebracht habe, die es brauche, die nötige Zweikampfhärte: „Es ist wichtig, sich zu behaupten.“

Flick vermisste die Geilheit auf den Ball

Genau dieser Behauptungswille fehlte dem Team zu Beginn des Spiels. „Wir wollten die Deutschen überraschen, sie in den ersten Minuten schocken“, sagte Domenico Tedesco, der deutsche Nationaltrainer der Belgier. Der Schock hätte kaum größer sein können.

Flick vermisste in dieser Phase „die Geilheit auf den Ball“. Die entwickelte seine Mannschaft erst, als Can auf dem Feld stand. „Man muss sagen, dass er nach seiner Einwechslung gezeigt hat, was für eine defensive Qualität er hat“, erklärte der Bundestrainer. „Er war, wenn man so will, der aggressive Leader, den wir gebraucht haben. Er hat sehr viele Zweikämpfe gewonnen und die Mannschaft auch ein bisschen wachgerüttelt.“

So ist Emre Can zum ersten Gewinner des Neustarts nach der verkorksten WM geworden. Zu den Länderspielen gegen Peru und Belgien war er zum ersten Mal überhaupt in der Amtszeit von Hansi Flick nominiert worden. Sein Comeback nach knapp zwei Jahren war keine spektakuläre Nachricht. Aber gerade, weil der 29-Jährige es nicht auf Spektakel anlegt, tut er der Mannschaft gut.

Schon gegen Peru war der Auftritt nach der Pause ohne Can deutlich schwächer, als er es vor der Pause mit ihm gewesen war. Das Spiel gegen Belgien nährte den Verdacht, dass auch da womöglich bereits ein Zusammenhang bestanden hat.

Da Kimmich, zumal als Kapitän, seinen Geltungsdrang nur schwer zügeln kann, hilft es ihm, einen Spieler an seiner Seite zu haben, der im Zweifel defensiv denkt. „Das Wechselspiel hat gut funktioniert, das hat mir gefallen“, sagte Flick über die Kombination Kimmich/Can. „Weil einfach eine Verantwortung da war in der Defensive.“

Ob das Spiel nicht gezeigt habe, dass die Nationalmannschaft einen klaren Sechser brauche, ist der Bundestrainer nach der Niederlage gegen Belgien gefragt worden. „Das ist so“, antwortete er.

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