zum Hauptinhalt
Die beiden Behindertensportler Mathias Mester (l.) und Niko Kappel am Flughafen von Frankfurt am Main vor dem Abflug der deutschen Paralympics-Mannschaft nach Rio de Janeiro.

© dpa

Kleinwüchsiger Paralympics-Speerwerfer: Mathias Mester: "Wenn die mich ausbuhen, heizt mich das an"

Sein Speer ist fast doppelt so groß wie er selbst: Der kleinwüchsige Athlet Mathias Mester über kurze Arme und weite Würfe.

Von Ronja Ringelstein

Herr Mester, Ihr Wurfgerät ist fast doppelt so groß wie Sie. Wie schwierig ist das?

Es sieht natürlich cool aus, wenn ein 1,42-Meter großer Mann mit einem 2,30 Meter langen Speer über 40 Meter wirft. Mir wurde immer gesagt, dass ich einen sehr schnellen Arm habe. Man muss beim Wurf gut auf die Technik achten. Ich baue eine Spannung wie eine Kette von den Beinen her auf, der Arm zieht dann hinterher. Die Körperspannung muss sich also in den langen Arm übertragen. Das ist wie eine Peitsche, die von unten nach oben schnellt. Und dann muss man den optimalen Winkel treffen.

Welche Nachteile hat man als Kleinwüchsiger im Speerwurf?

Na ja. Die Reichweite ist eben eine andere, der Arm ist kürzer. Aber Kumpels von mir haben das Mal probiert, meinten ‚Ach 600 Gramm, das Ding werf‘ ich 50 Meter‘, aber ohne Technik kommen auch Zwei-Meter-Typen nicht über 30 Meter. Mein Teamkollege Heinrich (Popow) hat‘s auch probiert. Der hat sich das Ding gegen den Hinterkopf gehauen.

Heinrich Popow ist ja bekanntlich mehr der Läufer. (Geht am Montag 23:40 MEZ im 100-Meter-Finale an den Start)

Ich hätte aber auch mal Bock auf Sprint. Aber nur die 100-Meter. Für die 200 hätte ich nicht genug Puste. Geschweige denn 400. Aber leider haben Ärzte festgestellt, dass wir Kleinwüchsigen das aus gesundheitlichen Gründen nicht dürfen. Aber in einem Rennen gegen Heinrich bin ich ihm schon fast davon gerannt (lacht).

In London 2012 reichte es im Speerwurf nur für Platz sieben. Sie waren gesundheitlich angeschlagen. Wie fit sind Sie jetzt?

Ich fühle mich viel besser als damals in London. Ich hab mir aber leider beim Training letztes Jahr den rechten Außenminiskus gerissen. Ich musste operiert werden, deshalb konnte ich nicht zur WM in Doha. Aber mein Arzt hat mich fit gemacht. Mittlerweile bestreite ich Wettkämpfe schmerzlos.

Sie waren schon Weltmeister, Europameister und Silbermedaillengewinner im Kugelstoßen 2008. Was ist das Ziel für Rio?

Speerwurf ist 2012 paralympisch geworden, seitdem hab ich mich da drauf voll konzentriert. Und da will ich an meine Bestleistung, diese Saison 41,05 Meter, heranwerfen. Dann bin ich für mich zufrieden. Was das vom Medaillenplatz her für mich bedeutet, ist nicht klar. Wir haben ein sehr enges Feld, es gibt fünf, die über 40 Meter werfen können. Da ist die Tagesform entscheidend. Natürlich hofft man auf eine Medaille. Aber ich rechne nicht mit ihr – es sind meine dritten Spiele, man wird erfahrener. Ich weiß, dass es schwer wird.

Sie haben den Verein gewechselt, sind inzwischen in Kaiserslautern. Ihre Trainerin Steffi Nerius betreut sie noch hier in Rio. Warum?

Ich hatte gute acht Jahre mit Steffi, aber ich wohne und arbeite Köln und wollte nicht mehr nach Leverkusen eiern. Deshalb hab ich Kaiserslautern gewechselt. In Köln hab ich zwei Trainer gefunden. Steffi ist für dieses Jahr noch meine Bundestrainerin, aber wir haben uns auseinander dividiert.

Sie trainiert auch Ihren Kollegen, Weitsprung-Medaillen-Hoffnung Markus Rehm.

Dadurch dass Markus Rehm da trainiert, war der Fokus sehr auf ihm. Das hat mich genervt. Es drehte sich letztlich alles um Markus. Ich will mich auf mich fokussieren. Aber Steffi und ich haben immer noch ein freundschaftliches Verhältnis.

Die Paralympics in Rio hatten erst sehr schlechte Ticket-Verkaufszahlen. Wie nehmen Sie die Stimmung hier wahr?

Ich war im Stadion, als Niko Kappel das erste deutsche Gold gewonnen hat, aber ich fand es sehr schade, wie wenig Leute da waren. Der untere Rang war voll, sonst war nix los. Dafür hat Niko uns dann halt besser beim Anfeuern gehört. Als Athlet wünscht man sich aber natürlich mehr Stimmung. Man sagt, es sind jetzt 1,7 Millionen Tickets verkauft – aber ich frage mich, wo die Leute sind.

Es ist auch immer wieder von unfairen Fans die Rede. Buh-Rufe gab es auch bei Olympia schon viele. Glauben Sie, das wird jetzt anders?

Wenn die mich ausbuhen, heizt mich das an. Das würde mich innerlich so aufregen, dass ich das Ding bis nach Deutschland werfe. Dann erst recht. Aber Buh-Rufe sind ab einem gewissen Punkt respektlos. Ich glaube aber nicht, dass sie weniger buhen, weil wir hier bei den Paralympics sind. Die halten halt zu ihren Leuten.

London galten als die erfolgreichsten Olympischen und Paralympischen Spiele – es war eine riesige Party. Wie ist es jetzt in Rio?

Nach Olympia kommen die richtigen Spiele. Und wir haben das große Glück, dass alles schon einmal durchlaufen wurde. Ich finde es hier nicht so schlimm, wie es immer hieß. Es soll ja zum Beispiel viel im olympischen Dorf geklaut worden sein, von den Putzkräften. Aber die haben sie ausgetauscht und kontrollieren jetzt besser, wenn die rausgehen werden sie durchgescannt. Aber an London kommt nichts ran – obwohl ich da keine Medaille gewonnen habe. Das ist nicht zu toppen: Weder von der Atmosphäre, noch von der Organisation her. Aber sie bemühen sich hier schon.

Immer wieder gibt es die Diskussion, dass die Paralympics viel weniger Aufmerksamkeit bekommen, als Olympia. Wird es besser?

Ja. Die Welt schaut jetzt auf uns, das Land schaut auf uns. Und ich hoffe, dass da die eine oder andere Barriere fällt. Trotzdem wird über uns schon weniger berichtet als über Olympia. Aber ich merke, dass das Interesse groß ist und viele Leute es schade finden, dass man so wenig von uns sieht. Es wird besser – wenn auch langsam.

Mathias Mester und Kugelstoßen-Gold-Gewinner Niko Kappel starten im Speerwerfen-Finale (Klasse F41)  um 16 Uhr MEZ.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false