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Strahlemann. Marcel Kittel gewann am Donnerstag die zwölfte Etappe der Tour de France – es war bereits der fünfte deutsche Etappensieg in diesem Jahr.

© dpa

Deutsche Erfolge bei der 100. Tour de France: Marcel Kittel und Co: Jan Ullrichs Erben

Deutsche Radprofis beeindrucken bei der 100. Tour de France und haben nach zwölf Etappen bereits fünf Tagessiege eingefahren. Dabei beschwören die siegreichen Sprinter Marcel Kittel und André Greipel sowie Zeitfahrspezialist ihre Redlichkeit.

Zum 100. Jubiläum wird die Tour de France zur Deutschlandtour. Zwar wird im Fernsehen nur in Spartenkanälen umfangreicher von dem Ereignis berichtet. Ungeachtet dieser schmalen Präsenz haben sich drei der zehn deutschen Tourteilnehmer schon als Etappensieger hervorgetan und dabei mehr als 40 Prozent der bislang zu vergebenen Tagessiege geholt. Dreimal Marcel Kittel (Argos) und je einmal André Greipel (Lotto) und Tony Martin (Omega) lautet die Bilanz nach der zwölften Etappe. Diese hatte in Marcel Kittel erneut einen deutschen Sieger, es war der dritte deutsche Erfolg in Folge.

Die Siegesserie ist nicht einmal überraschend, weder bei den Sprintern noch bei Martin. „Alles andere als ein Sieg wäre eine Enttäuschung“, hatte der Zeitfahrspezialist selbstbewusst erzählt, als er im Schatten der fast 1000-jährigen Benediktiner-Abtei auf Mont Saint Michel darauf hoffte, dass seine Bestzeit auch den Spätnachmittag überdauern möge. Nur Chris Froome, der aktuelle Überflieger, der unlängst noch wegen seiner überirdisch anmutenden Tretkraft ins Zwielicht rückte, kam dann in seine Nähe.

Martin hat sein Talent in harter Arbeit auf diese Teildisziplin ausgerichtet. Der 28-Jährige legte an Muskelmasse zu, um allein gegen Wind und Zeit mehr Kraft auf die Pedale bringen zu können. Dabei schwerer geworden, büßte er Kletterfähigkeit ein. Einen Coup wie noch 2009, als er Zweiter auf dem gefürchteten Mont Ventoux wurde, hält sein sportlicher Leiter Brian Holm derzeit für so gut wie ausgeschlossen. Auch Martin hat erzählt, dass er erst einige Kilo abnehmen muss, um in diesen Regionen wieder punkten zu können. Wundersam würde der Polizist aus Thüringen nur, wenn er Zeitfahrkönig bliebe und gleichzeitig Kletterkönig würde.

Mit Masse kommen auch die bulligen Sprinter zu ihren Erfolgen. Als derzeit explosivster Mann im Flachen hat sich Kittel herauskristallisiert. Wenig nach steht ihm Greipel. Dem gebürtigen Rostocker kommt zudem entgegen, über den stärksten Sprintzug zu verfügen. Als Reaktion darauf hat Mark Cavendishs Patron Patrick Lefevere prompt dessen einstigen Anfahrer Mark Renshaw verpflichtet. „Wenn man große Investments wie das von Mark Cavendish tätigt, will man auch sicherstellen, dass die Erfolge kommen. Und wenn Herr Greipel hier jeden Tag rumtönt, er hätte den stärksten Zug der Welt, dann wollen wir das Gleiche haben“, sagte der Omega-Teamchef.

Lefeveres Mittsaison-Shopping zeigt, wie sehr das Cavendish-Lager der Aufstieg Greipels wurmt, und dass Erfolge im Sprint Frucht einer Mannschaftsleistung sind. Ohne von ihren Teamkameraden in gute Position gebracht zu werden, hätten weder Greipel noch die Argos-Männer Kittel und Degenkolb eine Endkampfchance.

Interessant ist, dass das deutsche Erfolgsquartett auf dem Boden der früheren DDR geboren wurde – und trotz des Aufwachsens von Martin in Hessen und Degenkolb in Bayern – auch ostdeutsche Leistungssportförderung in ihnen steckt. Dieser haften mitunter aufgrund der Doping-Historie der DDR-Sportförderung oder auch wegen der dubiosen Blutbestrahlungsaffäre im Erfurter Olympiastützpunkt Zweifel an. Greipel wurde von Peter Sager für den Radsport gewonnen, dem Entdecker des überführten Dopingsünders Jan Ullrich. Kittel, Martin und Degenkolb gehören zum Erfurter Olympiastützpunkt. Martin und Greipel fuhren zudem in dem, wie längst klar ist, von Doping geprägten Telekom-Rennstall. In dessen Nachwuchsabteilung waren auch ostdeutsche Trainingswissenschaftler (etwa Thomas Schediwie) tätig.

Gleichzeitig muss man konstatieren, dass sich das Quartett zumindest verbal stark gegen Doping engagiert. Es ist nicht nur wie etwa Chris Froome gut darin, auf Dopingfragen eloquente Antworten zu geben. Kittel, Martin und Degenkolb haben auch eine Initiative für eine schärfere Antidopinggesetzgebung in Deutschland gestartet. Greipel schloss sich an. Damit sind die Athleten gedanklich weiter als die Sportpolitiker dieses Landes. Man kann die Muskelmänner sogar als Triebkraft dafür sehen, dass in einem möglicherweise veränderten Umfeld eines Tages ein Klettertalent aus Deutschland um Rundfahrtsiege mitfahren und dabei auf den Gebrauch von Pharma-Produkten verzichten kann. Triebkraft sind sie freilich nur, wenn die verbale Antidopingposition vom Trainingshandeln auch gedeckt ist.

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