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Im Blickpunkt: Clemens Tönnies steht nach seinen diskriminierenden Aussagen weiterhin unter Druck.

© Guido Kirchner/dpa

Antirassismus-Expertin über den Fall Tönnies: „Man kann nicht zwischen wirklichen und unwirklichen Rassisten unterscheiden“

Im Interview spricht Simone Rafael über den Beschluss des Schalker Ehrenrats, die Antirassismus-Arbeit des Vereins und den Umgang mit Alltagsrassismus.

Simone Rafael, 45, ist Leiterin des Digital-Teams bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus wendet.

Frau Rafael, der Ehrenrat des FC Schalke 04 ist nach mehrstündiger Tagung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Rassismus-Vorwürfe gegen Clemens Tönnies unbegründet seien. Ist der Ehrenrat eines Vereins denn ein geeignetes Gremium, um über solche Fragen zu entscheiden?
Das ist ja ein Gremium, das sich auch mit ethischen Einstellungen des Vereins auseinandersetzt. Insofern würde das schon passen. Aber wenn man sich die Aussage von Herrn Tönnies anschaut, dann weiß ich nicht, wie man zu der Schlussfolgerung kommen kann, dass das nicht rassistisch ist – es sei denn, man setzt sich nicht damit auseinander, was Rassismus eigentlich ist.

Das Gremium hat zwar keinen Rassismus gesehen, aber einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot, das im Leitbild verankert ist. Wo liegt der Unterschied?
Ich wundere mich schon die ganze Zeit, wie man zu einer solchen Einschätzung kommen kann. Tatsächlich ist das ja kein Ausschlusskriterium: Die Aussage ist nicht entweder diskriminierend oder rassistisch, sondern sie ist diskriminierend, weil sie rassistisch ist. Wenn man die rassistischen Elemente aus der Aussage herausfiltern würde, bleibt eigentlich auch nichts Diskriminierendes mehr übrig. Das hat der Ehrenrat offensichtlich anders gesehen, und da würde mich eine längere Begründung tatsächlich auch inhaltlich interessieren. Die habe ich aber bisher leider nicht gefunden.

Es gibt Stimmen, wonach man Tönnies‘ Aussagen nicht überbewerten solle, weil das ja bloß gestriges Stammtisch-Gefasel sei und man ansonsten „den wirklichen Rassismus“ verharmlose.
Ehrlich gesagt schockieren mich solche Kommentare. Es ist doch kein Argument zu sagen: Man sollte Rassismus nicht mehr als Rassismus benennen, weil man dann noch mehr Dinge als Rassismus benennen müsste, die vielleicht auch von größeren Teilen der Bevölkerung geteilt werden. Das finde ich verheerend. Man kann nicht zwischen wirklichen und unwirklichen Rassisten unterscheiden. Man muss eher unterscheiden zwischen Alltagsrassismus und organisierten Rechtsextremen, die daraus auch Gewalt folgen lassen.

Sehen Sie ein Problem in Deutschland, Rassismus – gerade Alltagsrassismus – auch als solchen zu benennen?
Jetzt haben wir ja das klassische Beispiel dafür, dass zwar grundsätzlich ein gesellschaftlicher Konsens herrscht, dass Rassismus eine schlechte Einstellung ist und sich mit unseren demokratischen Grundprinzipien nicht vereinbaren lässt. Aber natürlich sind rassistische Bilder in Köpfen von Menschen nach wie vor verbreitet.

An dem aktuellen Fall sieht man schön, dass es auch ein bisschen darauf ankommt, wer Rassismus äußert: 2015 hatten wir einen ganz ähnlich gelagerten Fall, als Björn Höcke, der AfD-Hardliner, vom „afrikanischen Reproduktionstypen“ gesprochen und dabei eigentlich keine wirklich andere Grundaussage getroffen hat. Das wurde damals brüsk von allen demokratischen Politikern und Meinungsmachern zurückgewiesen. Aber damals hatte man jemanden, den man leicht außerhalb des eigenen Konsenses stellen konnte. Da fällt das natürlich leichter. Wenn es aber jemand ist, den man eigentlich für einen ganz guten Typen hält, dann lässt man das viel leichter als „Altherren-Gespräch“ durchgehen.

Simone Rafael ist studierte Publizistin und Kunsthistorikerin.
Simone Rafael ist studierte Publizistin und Kunsthistorikerin.

© Amadeu Antonio Stiftung

Tönnies hat seine Aussage als „gedankenlos“ bezeichnet.
Dieses abwertende Bild davon, wie Menschen in Afrika sind, wie sie leben, und dass man jetzt mal als weißer Mann erklären muss, wie es richtig geht, entwickelt man sicherlich nicht spontan. Das gehört dann schon zu dem Set aus Vorurteilen, das in den eigenen Einstellungen sitzt. Interessant ist aber auch, sich über seine Wahrnehmung so wenig Gedanken zu machen. Schalke ist ja ein Verein, in dem engagierte Fans und Menschen aus dem Verein seit vielen Jahren gute Antirassismus-Arbeit machen, gerade wenn es um Rassismus im Stadion geht. Aber ganz offenbar reicht es manchmal eben nicht, nur mit den Fans im Stadion zu arbeiten, sondern der Verein müsste das auch mit dem Vorstand machen.

Werten Sie denn Tönnies‘ Ankündigung, sein Amt drei Monate lang ruhen zu lassen, als ein aufrichtiges Schuldeingeständnis?
Nein. Er hat sich zwar entschuldigt, aber inhaltlich nichts von dem zurückgenommen, was er gesagt hat. Wenn er sagt, dass er über sich erschrocken sei, meint das wohl eher, dass er über die Aufmerksamkeit erschrocken ist. Und zu sagen, man lässt sein Amt ruhen, um dann aber wieder zurückzukommen, bedeutet ja nicht, dass man Verantwortung übernimmt für das, was man da in die Welt gesetzt hat. Das ist einfach der Versuch, ein bisschen Gras über die Sache wachsen zu lassen.

Was könnte Tönnies denn konkret tun, um zu zeigen, dass es ihm ernst ist?
Eine ernst gemeinte Entschuldigung, die auch inhaltlich darauf eingeht, dass er sich mit seiner Aussage auseinandergesetzt hat und warum das nicht in Ordnung ist, wäre ein erster wichtiger Schritt. Aber eine so lapidar ausgesprochene Entschuldigung wie bisher, macht es sehr schwierig, das im Nachhinein glaubhaft zu vermitteln.

Leonard Brandbeck

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