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Magnus Carlsen, bei seiner Titelverteidigung in Dubai

© Kamran Jebreili/AP/dpa

Magnus Carlsen bleibt Schach-Weltmeister: Es triumphierten Coolness, Nervenstärke und Ausdauer

Das war ein WM-Kampf mit Dramen. Denn Schach und Psyche sind nicht zu trennen. Eine unglückliche Niederlage strapaziert das Gemüt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Das war’s. Magnus Carlsen ist der alte und neue Schach-Weltmeister. Mit seinem überragenden Sieg gegen den Russen Jan Nepomnjaschtschi hat der 31-jährige Norweger erneut bewiesen, dass er eine Klasse für sich ist. Ein genialer Stratege, vor allem aber ausdauernd, nervenstark, beständig, cool.

Sein Herausforderer dagegen, „Nepo“, der ebenfalls ein brillantes Gedächtnis hat und blitzschnell kombinieren kann, wurde zum Opfer seiner selbst. Nachdem Carlsen ihn in der sechsten Partie nach knapp acht Stunden langsam und beharrlich, zäh und unerbittlich an den Rand gespielt hatte, brach „Nepo“ psychisch ein. Er zog zu schnell, fing an, Fehler zu machen, patzte wie ein Anfänger. Prompt folgten Niederlagen in den Partien acht und neun. Der Herausforderer verlor praktisch gegen sich selbst.

Über Nepo hieß es, er sei schlichtweg kollabiert

Schach und Psyche sind nicht zu trennen. Ein Sieg gibt Selbstvertrauen, je besser die Stimmung, desto besser die Züge. Eine unglückliche Niederlage indes zehrt an den Nerven, verursacht Schlaflosigkeit und Grübeleien. Warum nur, warum? Im Nachhinein ist alles so klar. Angst baut sich auf. Wer in Rückstand gerät, muss unbedingt eine der nächsten Partien gewinnen. Die Zweifel quälen und zerfressen einen. Über Nepo hieß es, er sei schlichtweg kollabiert.

Die sechste war die Schlüsselpartie. Es gab Zeitnotdramen, verpasste Chancen. Nach zuvor fünf Remis spielten beide 136 Züge lang, die längste Schachpartie der WM-Geschichte. Carlsen hatte Weiß, jeder erwartete ein erneutes Unentschieden. Alle Computerprogramme sahen die Positionen im Gleichgewicht. Doch Carlsens Stunde schlägt, wenn das Mittel- ins Endspiel übergeht. Aktuell spielte er mit König, Turm, Springer und zwei Bauern gegen König und Dame, immer komplexer wurde die Stellung.

Intuition und Kombinationsgabe kamen hinzu

Der englische Großmeister Jonathan Speelman sprach einmal vom „Carlsen effect“. „Er treibt seine Gegner in Fehler hinein. Er spielt und spielt, immer weiter, ruhig, abgebrüht und – vielleicht am wichtigsten – ohne Angst. Das macht aus ihm ein Monster und lässt viele seiner Gegner einfach schlappmachen.“ Ähnlich urteilte der ehemalige Welt- und spätere Lehrmeister Carlsens, Garri Kasparow. Carlsen sei nicht wie ein Tiger, der seine Opfer mit ein paar kräftigen Schlägen erlegt, sondern wie eine Boa constrictor, die es erwürgt.

Nepo hätte gewarnt sein müssen, und er war es sicherlich auch. Er ist ein Spitzenspieler, steht auf Platz fünf der Weltrangliste und hatte sich im stark besetzten Kandidatenturnier, auf dem Carlsens Herausforderer ermittelt worden war, durchgesetzt. Doch Carlsen demonstrierte, warum er seit acht Jahren auf dem Schachthron sitzt. Seine Siege gegen Sergej Karjakin (2016) und Fabiano Caruana (2018) wurden zwar erst im Tiebreak errungen. Doch in den Schnellpartien mit stark begrenzter Bedenkzeit triumphierte der Titelverteidiger. Zur Ausdauer und Berechnungstiefe kommen bei ihm eben auch Intuition und Kombinationsgabe.

Die Schachwelt schaute live in ihre Seelen

Der WM-Kampf in Dubai war spannend, ja packend. Millionen Schachfreunde in aller Welt verfolgten die Partien via Internet und von vielen Großmeistern kommentiert. Die Portale verzeichneten rekordverdächtige Zugriffszahlen. Es wurde gechattet und getwittert, diskutiert und analysiert. Carlsen und Nepo waren ganz allein mit sich, ihren Gedanken und Gefühlen. Aber die Schachwelt schaute live in ihre Seelen.

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