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Lise Petersen, 16, tritt am Freitag bei den Paralympics im Speerwerfen an. Ihre Mutter Wencke Petersen,44, hofft zu Hause in Schleswig Holstein, dass das ZDF ihren Wettkampf ab 12.26 Uhr deutscher Zeit überträgt.

© Mika Volkmann/Imago

Wencke Petersen über den Paralympics-Start ihrer Tochter: „Lise lebt gerade ihren Traum“

Wencke Petersen, Mutter der jüngsten deutschen Paralympics-Teilnehmerin, über den Erfolg ihrer Tochter und die eigenen Tränen der Freude.

Lise Petersen ist 16 Jahre alt, sportbegeistert und die jüngste deutsche Teilnehmerin bei den Paralympics in Tokio. Sie wurde ohne linken Unterarm geboren. An diesem Freitag tritt sie im Speerwerfen an – doch schon vorher berichteten viele Medien über sie. Ein Bild von ihr ziert das Cover der jüngsten Ausgabe der Paralympics Zeitung. Was macht das mit einem, wenn die eigene Tochter auf einmal so viel Aufmerksamkeit bekommt und Tausende Kilometer entfernt um sportliche Erfolge kämpft? Das haben wir Wencke Petersen, Lises Mutter, gefragt. Wir erreichten sie zu Hause im ländlichen Schleswig-Holstein.

Frau Petersen, die Paralympics in Tokio finden größtenteils in der deutschen Nacht statt. Leiden Sie eigentlich schon unter Schlafmangel?

Nee, bei mir geht das noch. Lise hat da wahrscheinlich größere Probleme mit der Zeitumstellung.

Sind Sie eigentlich noch überrascht, Ihre Tochter im Fernsehen oder auf Zeitungscovern zu sehen?

Natürlich, auf jeden Fall. Das ist ungewohnt, dass sie so viel Aufmerksamkeit bekommt. Auch im Behindertensport ist das eher ungewöhnlich.

Wie fühlt sich das denn an, wenn man das eigene Kind im Fernsehen oder in der Zeitung sieht?

Das macht einen unheimlich stolz. Wir freuen uns total mit ihr. Sie lebt gerade ihren Traum.

Können Sie diesen Stolz näher beschreiben, vielleicht sogar mit etwas anderem vergleichen?

Wenn man Mutter eines Kindes mit Behinderung ist, hat man ja schon viele Emotionen durchlebt. Sei es bei der Geburt. Das war kein Schock, sondern eher ein „Huch“ oder ein „Hoppla“. Denn sie konnte ja alles machen, auch als Baby schon. Nachher, im Kindergartenalter etwa, kamen dann eher die ersten Stolpersteine. Zum Beispiel dass andere Kinder Lise daran aufgezogen haben, dass sie eine Behinderung hat. Und da spielt der ganze Stolz jetzt einfach mit rein. Es ist unbeschreiblich. Diesen Weg mit begleitet zu haben, von Anfang an, und dann zu sehen, dass sie ihrem Traum so nahe ist. Ich sitze hier und da kommen schon mal die Tränen … Ich kann es gar nicht beschreiben. Ich glaube, mir fehlen die Worte.

Das ist vollkommen okay.

Das sind positive Emotionen. Es ist ja nicht so, dass ich hier sitze und vor Trauer weine, im Gegenteil. Es sind einfach Freudentränen.

Was sagt Lise Ihnen über diese Aufmerksamkeit?

Für sie ist das immer noch unbegreiflich.

Ist sie genervt von so manchen Medienmenschen?

Von einigen, ja. Aber da haben wir gesagt: Die soll sie einfach links liegen lassen. Einige meinen, die Naivität einer 16-Jährigen ausnutzen zu können. Die haben aber wohl nicht mit ihrer Stärke gerechnet. Letztendlich ist Lise sich auch bewusst um die Aufmerksamkeit, die sie auf sich zieht.

Wann meldet sich Lise das erste Mal nach einem Wettkampf bei Ihnen?

Bei vielen Wettkämpfen ist ja mindestens einer von uns mit dabei, bei den regionalen Wettkämpfen sowieso. Sie braucht immer noch ihren Fahrer. Bei den Wettkämpfen in Leverkusen versucht auch immer einer mitzukommen. Da hat man eigentlich sofort den Austausch dann. Sie springt uns in die Arme oder wir ihr – oder eben auch nicht, dann, wenn es bei ihr nicht hingehauen hat. Aber auch diese negativen Emotionen müssen wir aushalten.

Wencke Petersen freut sich schon auf die Heimkehr ihrer Tochter Lise.
Wencke Petersen freut sich schon auf die Heimkehr ihrer Tochter Lise.

© promo

Wie hält man denn als Elternteil diese Emotionen aus?

Das ist Familienleben, das gehört dazu. Auch im Alltag hat man vieles, das man aushalten kann und muss. Wenn man zusammenhält, dann schafft man das auch.

Vermissen Sie eigentlich Ihre Tochter jetzt, wo Sie am anderen Ende der Welt ist?

Die ganze Familie vermisst sie. Wir, die Eltern, ihre beiden Schwestern, die Hunde. Heute Morgen war die Live-Schalte im Fernsehen, da saßen die Hunde vor dem Fernseher und hörten ihre Stimme. Das ist schon … (seufzt) Sie ist jetzt fünf Wochen weg. So lange waren wir noch nie voneinander getrennt. Erst am fünften September, nach ihren Wettkämpfen, sehe ich sie wieder.

Haben Sie etwas geplant für ihre Wiederankunft?

Ja, aber das erzählen wir jetzt noch nicht. Das bleibt ein Geheimnis.

Damit musste ich rechnen. Wie oft sprechen Sie denn gerade mit Ihrer Tochter?

Täglich zu telefonieren ist schwierig, weil sie ein volles Programm hat und auch unser Alltag weitergehen muss. Aber wenn sie Zeit hat, dann telefonieren wir auch mal eine Stunde. Aber ansonsten geht alles ganz gut über WhatsApp, Instagram, Snapchat. Da ist ja vieles möglich.

Es gibt ein sehr berührendes Video auf der Facebook-Seite vom Deutschen Behindertensportverband, das aufgezeichnet wurde, als Lise erfährt, dass sie für die Paralympics in Japan nominiert ist und mitfahren wird. Schauen Sie sich dieses Video manchmal immer noch an?

Ja, klar. Das ist einfach irre. Wir haben diesen Moment festgehalten, um ihn auch immer wieder anschauen zu können. Um immer wieder zu sagen: Es ist auch wirklich passiert, sie ist wirklich drauf auf der Liste. Es war überhaupt nicht vorhergesehen, dass sie jetzt schon mit nach Japan fliegt. Geplant war, dass wir einen Bus chartern und alle zusammen 2024 nach Paris fahren. Familie, Freunde, undsoweiter.

Das Video ist recht kurz. Wissen Sie noch, was danach passiert ist?

Danach stand ihr Telefon nicht mehr still. Ihres nicht und unseres nicht. Sie hat gleich mit Merle Menje und Nele Moos telefoniert. Weil die sich so gefreut haben, dass sie alle drei zusammen nominiert sind. Die passen vom Alter her zusammen und sind auch im Dorf zusammen untergebracht.

Welche Bedeutung hat der Sport in Ihrer Familie?

Eine sehr große Bedeutung. Ich fahre jeden Tag eine von meinen Töchtern zum Training, manchmal auch zwei. Die spielen Handball. Die Große, die ist 17, spielt hochklassig Handball, die Kleine auch, die ist 13. Lise spielt auch noch Handball nebenbei. Da sind vor allem die Wochenenden immer schön durchgetaktet.

Ist der Sport dann auch Thema am Abendbrottisch?

Natürlich. Das ist auch schön am Wochenende, auch dann, wenn die drei dann an unterschiedlichen Orten gespielt haben, und wir abends wieder zusammenkommen. Manchmal läuft dann noch Handball im Fernsehen, wenn etwa die SG Flensburg Handewitt spielt.

Das klingt sehr schön, was Sie da beschreiben, aber auch logistisch sehr aufwendig. Stresst Sie das manchmal?

Auf jeden Fall. Das muss durchgetaktet sein, wer, wann, wo hinfährt oder wer sie hinbringt und wieder abholt. Natürlich hat man auch Fahrgemeinschaften, mit einer anderen Mutter zum Beispiel, aber es bleibt eine Herausforderung. Aber man will denen das auch ermöglichen, denn letzten Endes ist das ja auch ein so kurzer Zeitraum, in dem man die Kinder begleitet. Und wenn man ihnen so viel Gutes mitgegeben hat auf den Weg, dann hat sich das auch gelohnt.

Lise tritt an diesem Freitag in der zweiten Wettkampfwoche an. Ist da eine Viewing-Party geplant?

Es ist ein bisschen ungewiss. Wir werden jedenfalls mit ein paar Leuten zusammensitzen und hoffen, dass wir einen Live-Stream erwischen, wo Speerwerfen gezeigt wird. Viele Sportler, die endlich Aufmerksamkeit hätten kriegen können durch Zuschauer und eine Übertragung, leiden da auch drunter. Jetzt ist das alles im Unklaren – das ist schade.

Worauf freuen Sie sich denn noch?

Allgemein die Leichtathleten, da brennen wir für. Und die Ballsportarten: Dadurch, dass wir Handball-Fans sind, sind wir auch Ballsportfans. Basketball. Goalball. Auch aufs Bahnradfahren, das war super spannend. Und auch die Schwimm-Wettkämpfe schauen wir gerne.

Steht denn der Plan für Paris jetzt noch?

Der steht auf jeden Fall noch. Lise hat jetzt Blut geleckt – das wird ihr niemand mehr nehmen können. Da denke ich schon, dass der Plan auch umgesetzt wird.

Dieses Interview ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier. Alle aktuellen Entscheidungen und Entwicklungen lesen Sie in unserem Paralympics Blog.

Max Fluder

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