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Leonardo Bonucci hat eine überraschende letzte Station in seiner Profikarriere gewählt.

© imago/Matthias Koch/IMAGO/Sebastian Räppold/Matthias Koch

Leonardo Bonucci beim 1. FC Union: „Papa, warum haben die denn euch gefeiert, wenn ihr doch verloren habt?”

Leonardo Bonucci ist einer der besten Verteidiger seiner Zeit. Inzwischen ist er aber in die Jahre gekommen. Schafft er es noch, dem 1. FC Union Stabilität zu verleihen?

Bei der ersten Frage auf Italienisch strahlte Leonardo Bonucci vor Erleichterung. „Endlich!“, sagte der 36-Jährige, der sich bis dahin mit seinem guten, aber etwas gezerrten Englisch noch schwergetan hatte. Bei seinem ersten Mediengespräch als Spieler des 1. FC Union konnte man dem Italiener anmerken, dass es ihn Kraft kostet, sich eloquent und ausführlich in der Sprache von Shakespeare auszudrücken. Doch er kämpfte sich durch und setzte dabei vor allem und immer wieder auf ein englisches Wort: „Crazy.“

Es ist eben auch alles ganz schön verrückt, was in den vergangenen Wochen und Monaten mit Leonardo Bonucci passiert ist. Eigentlich ist er einer der größten Abwehrspieler seiner Generation, eine Vereinslegende des großen Juventus, der erst vor zwei Jahren Italien zum EM-Titel geschossen hat. Und plötzlich findet er sich in dem kleinen Presseraum des Stadions an der Alten Försterei wieder und soll erklären, warum er ausgerechnet in Köpenick seine Karriere beenden will. „Ich weiß, es ist eine verrückte Entscheidung“, sagte Bonucci am Dienstag.

Eigentlich hatte er sich das alles ganz anders vorgestellt. Anfang des Sommers freute sich Bonucci noch auf ein weiteres Jahr bei Juventus, doch dann erfuhr er, dass er in den Plänen von Trainer Max Allegri keine Rolle spielte und deshalb keinen neuen Vertrag bekommen würde. Nach dreizehn erfolgreichen Jahren war Schluss bei Juventus, zu allem Überfluss gab es auch ein hässliches Wortgefecht und eine juristische Klage gegen seinen früheren Arbeitgeber. Darüber wollte Bonucci am Dienstag aber nicht sprechen. „Juve ist mein Leben“, sagte er etwas traurig. „Aber jetzt bin ich hier bei Union.“

Das ist er tatsächlich, obwohl man sich immer noch die Augen reiben muss, wenn er am Trainingsplatz im Köpenicker Wald für Selfies posiert. Trotz Angeboten von Lazio Rom und aus Saudi-Arabien entschied sich Bonucci am Ende nach Gesprächen mit Unions Technischem Direktor Michael Parensen für den wohl unwahrscheinlichsten Partner.

Es war keine einfache Entscheidung, denn es ist eine große Veränderung in meinem Leben und meiner Karriere.

Leonardo Bonucci, Verteidiger des 1. FC Union

„Es war keine einfache Entscheidung, denn es ist eine große Veränderung in meinem Leben und meiner Karriere. Die Sprache ist sehr schwer und ich musste auch meine Familie in Italien zurücklassen. Doch nach zwanzig Jahren in Italien wollte ich eben aus meiner Komfortzone raus“, so der Verteidiger. Auch mit Blick auf eine spätere Tätigkeit als Trainer sei es für ihn wichtig gewesen, eine neue Kultur und neue Trainingsmethoden kennenzulernen.

Und es ist tatsächlich ganz viel anders in Köpenick. Da ist die bedingungslose Unterstützung der Union-Fans, von der Bonucci schwärmte. „Das habe ich nicht oft in Italien erlebt, der Support ist schon verrückt“, sagte er. „Meine Söhne waren für das Spiel gegen Hoffenheim in Berlin und sie haben mich nachher gefragt: ´Papa, warum haben die denn euch gefeiert, wenn ihr doch verloren habt?’”

Auch taktisch muss er sich umstellen. Wegen des hohen Verteidigens müsse man im deutschen Fußball viel mehr Platz abdecken, so der Italiener. Gerade gegen schnelle Gegenspieler wie Andrej Kramaric oder Victor Boniface sei das nicht einfach, zumal er noch Rückstände aus der verkürzten Vorbereitung hat. Nach einem guten Debüt gegen Real Madrid hatte Bonucci beim 0:2 gegen Hoffenheim noch einige Probleme. Die Anlaufschwierigkeiten will er aber schnellstmöglich hinter sich lassen: „Es ist gut, dass ich mit dem Trainer auf Italienisch sprechen kann. Und dass wir hier so hart trainieren, ist auch gut für mich. Ich wusste, dass es drei oder vier Wochen dauern würde, aber jetzt sind wir in der vierten Woche, also ich sollte bald topfit sein.“

Schließlich hat er noch große Ziele. Im Vereinsfußball wird dies zwar die letzte Saison seiner Karriere sein, aber bei der EM 2024 in Deutschland will Bonucci im kommenden Sommer noch einmal auf der höchsten Ebene spielen. Er habe schon mit dem Nationaltrainer Luciano Spalletti gesprochen und brauche für eine Nominierung vor allem Spielzeit. Ob zentral oder rechts in der Dreierkette, Bonucci traut sich alles zu und will in der mit Robin Knoche, Diogo Leite und Danilho Doekhi schon gut besetzten Abwehr zum Stammspieler werden.

„Bei Union wollten sie, dass ich meine Erfahrung und meine Art zu verteidigen mitbringe“, sagte er. Gerade auch in der Champions League dürfte das von unschätzbarem Wert sein. Denn wie er gegen Madrid schon gezeigt hat, ist Bonucci mit seinen bisher 85 Einsätzen in diesem Wettbewerb zu Hause. Mit Juventus erreichte er sogar zweimal das Finale.

Sein erstes Endspiel hat er 2015 im Berliner Olympiastadion bestritten, wo er mit Union nächste Woche im zweiten Gruppenspiel gegen Braga auflaufen wird. Als Bonucci und Juventus damals gegen Barcelona verloren, war der 1. FC Union gerade Siebter geworden in der zweiten Liga. Die Innenverteidiger hießen damals Roberto Puncec und Michael Parensen. Es ist halt crazy, wie die Fußball-Welt sich manchmal dreht.

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