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Beim Paris-Marathon ist die Nahrungsabgabe flächendeckend sichergestellt.

© AFP

Kolumne: Ich - Ironman (14): Langsam laufen lernen

Unser Autor will Anfang Juli am deutschen Ironman in Frankfurt teilnehmen. Gegen den Rat der Experten läuft er dafür zur Vorbereitung den Marathon in Paris. Er bekommt prompt die Quittung und verzettelt sich im Dixiklo.

Noch nie zuvor habe ich beim Klogang die Zeit mit meiner Uhr gestoppt. Überhaupt habe ich bisher noch nie in einem Wettkampf eine Toilettenpause ersten Grades eingelegt. Vielleicht ist diese neue, befreiende Erfahrung der größte triathlonspezifische Zugewinn eines Rennens, von dem mir alle Kenner abgeraten haben. Wenn ich schon unbedingt einen Marathon in meine Ironman-Vorbereitung einbauen wolle, dann solle ich ihn um Himmels Willen langsam angehen. Lieber 3:45 Stunden als 3:00 Stunden laufen, so haben es mir meine neuen Freunde aus der Ironman-Welt einhellig geraten. Das simuliere schon mal das Marathon-Tempo im Ironman-Wettbewerb und verkürze zudem die Regenerationszeit. Umso schneller und härter könne ich weiter trainieren.

Ich hatte also Zeit in Paris. Alle wollte ich sie nach dem Startschuss laufen lassen, nicht mitgerissen werden vom Schwarm der Verbissenen aus der Drei-Stunden-Fraktion. Mich mental schon einmal daran gewöhnen, wie es ist, wenn das Feld einen gleich zu Beginn nach hinten durchreicht – eben ganz so, wie ich es beim Schwimmstart des Ironman erwarte.

Was soll am langsamen Laufen schwer sein, frage ich mich, als ich auf dem ersten Kilometer die Champs Elysées hinuntertrabe. Die Sonne scheint, knallblau ist der Himmel. Kostümierte Spaßbolde und Menschen mit unsagbarem Laufstil lasse ich ungerührt an mir vorbeiziehen, sogar Frauen. Euer Ziel ist nicht mein Ziel, denke ich entspannt. Bis in quietschoranje ein Trupp Holländer passieren will. Wie von allein, ohne dass ich es ändern könnte, passt sich mein Tempo an.

Nach zehn Kilometern, am Anfang des Parks Bois de Vincennes, schaue ich auf meine Uhr und merke, dass der Tulpenturbo ziemlichen Käse produziert hat. Mit 46 Minuten und 40 Sekunden bin ich deutlich zu schnell angegangen. Was tun? Als ich kurz nach der Verpflegungsstelle diverse zum Defilee aufgereihte Dixiklos erblicke, habe ich eine zeitschindende Strafbank gefunden. Da wohl niemand einen Ironman finishen kann, ohne mindestens einmal das stille Örtchen besucht zu haben, entscheide ich mich spontan, den Toilettengang mit Zeitdruck zu üben. Wer weiß schon, welche Tücken unter Wettkampfbedingungen im Dixiklo lauern? Ich würde wetten, dass der eine oder andere Eisenmann haltungshalber den Plastikthron schon mit einem fiesen Krampf verlassen hat.

Meine Premiere dauert sportliche 45 Sekunden und endet zum Glück ohne böse muskuläre Überraschungen. Diesen persönlichen Rekord gilt es an meinem Ironman-Tag zu schlagen. Sich kleine Zwischenziele wie dieses zu setzen, sei in einem großen Wettkampf wichtig, hat mir Laufpapst Achim Achilles eingepredigt.

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Während die Gelegenheiten zur Nahrungsabgabe in Paris flächendeckend sichergestellt ist, enttäuscht das Aufnahmeangebot. Außer Bananen und Orangen gibt es allein Vogesenwasser. Bis auf eine Ausnahme war es das: Bevor die Strecke bei Kilometer 28 durch den Tunnel führt, in dem Lady Di ums Leben kam, schenkt ein knickeriger Sponsor in drittelvollen Bechern noch seine schlumpffarbene Plörre aus. Mein letzter Marathon hatte mich mit Powergels verwöhnt und beflügelt, hier Fehlanzeige.

Ich frage mich, ob das der Grund dafür ist, dass meine Oberschenkel trotz Schongang schon überraschend müde sind. Vielleicht liegt es aber gerade an dem gebremsten Tempo, am ungewohnten Bewegungsablauf, bei dem meine Waden kaum ins Spiel kommen, bei dem meine Oberschenkel den Vortrieb fast allein übernehmen. „Langsam zu laufen, muss man auch üben“, hat mir mal Utraläufer Hajo Palm verraten, für den es das Größte ist, lebensfeindliche Wüsten im Laufschritt zu durchqueren. Ich bilde mir ein, ihn in diesem Augenblick zu verstehen. Vielleicht ist aber auch allein das Touristenprogramm vom Vortag schuld.

Als es nach 32 Kilometern in den von leichten Damen geschätzten Park Bois de Boulogne geht, sind meine Beine schwer wie Blei. Mir wird klar, dass ich schon jetzt keinen einzigen der Experten-Ratschläge mehr werde erfüllen können: Ich bin an den Start gegangen, auch wenn der Marathon eigentlich kein gutes Ironman-Training ist. Den Lauf langsam anzugehen und das Tempo zum Ende hin ein wenig zu steigern, habe ich verhunzt. Ich kann nicht mehr schneller und frage mich, wie sich das Gegenteil von Steigerungslauf nennt und ob am Ende nicht mal wieder die Holländer an allem schuld sind.

Als ich nach drei Stunden und 28 Minuten endlich das Ziel erreiche, von einer Dame eine goldene Medaille umgehängt bekomme und meine Gedanken sich lösen, spüre ich plötzlich ein Brennen auf Höhe der Gürtellinie. Diskret sehe ich nach und erschrecke über eine langgezogene, angeschwollene Schürfwunde. Es sieht fast aus, als hätte mich der Oberarzt nach einem Kaiserschnitt gerade wieder zusammengenäht. Erst verdächtige ich das Startnummernband, das ich mir ganz Triathlet um die Hüfte gespannt habe. Allerdings etwas nördlicher. Dann fällt mir der Besuch des Dixiklos wieder ein. Offenbar haben sich beim hektischen Anziehen Unterhose und Laufhose gesundheitsgefährdend verkantet. Das muss ich noch mal üben.

Arne Bensiek ist Autor des Tagesspiegel. Jeden Donnerstag erscheint seine Kolumne „Ich – Ironman“ auf www.tagesspiegel.de/ironman.

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