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Da waren sie auf ihrem Karrierehöhepunkt. Schürrle (Nummer 9) und Höwedes (4) während der WM 2014.

© Imago/MIS

Update

Ex-Nationalspieler beschweren sich über Druck im Fußball: Kritik aus der Komfortzone

André Schürrle und Benedikt Höwedes kritisieren ein System, von dem sie bis heute profitieren. Das ist auch scheinheilig. Ein Kommentar.

Im Urlaub, erzählte Benedikt Höwedes in einem Interview mit dem Spiegel, wie "krass" es ihn im Urlaub erfüllt habe, den Sohnemann hautnah zu erleben. Ein Ferienerlebnis, das der nun ehemaligen Fußballprofi sicher mit Millionen von Männern teilt. Denn die Fraktion der Vertreter dieses Elternteils, die sich dafür entschieden, ihre volle Konzentration vorwiegend dem Arbeitgeber und nicht den Kindern zu schenken, ist auch in aufgeklärten Zeiten immer noch groß. Einer muss eben das Geld verdienen, heißt es oft. Elternzeit ist daher bei Männern im Regelfall auf zwei Alibi-Monate beschränkt.

Bei Benedikt Höwedes ist das nun anders, er wird richtig viel Zeit für seinen Sohn haben. Mit erst 32 Jahren hat er seine Karriere als Fußballprofi beendet, genauso wie kurz vorher sein Kollege aus der deutschen Weltmeistermannschaft von 2014, André Schürrle. Beide haben den Moment des eher frühen Abtritts von der großen Profibühne genutzt, um noch mal nachzutreten. Von wegen wie unmenschlich die Branche doch geworden sei, und wie groß der Druck heutzutage doch sei.

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Die Kritik ist schon in Ordnung, kann aber auch differenziert betrachtet werden, wenn sie von Menschen kommt, die von dem System profitiert haben. Sicher war die professionelle Fußballbranche auch vor rund einem Jahrzehnt, also zum Karrierebeginn der heutigen Fußballmillionäre Höwedes und Schürrle, kein Ponyhof. Sie wussten also, worauf sie sich einlassen. Und dann kommt der Abtritt der beiden schon lange Ex-Nationalspieler nicht eben zu ihrem jeweiligen Karrierehöhepunkt.

Sie sind da nicht so ehrlich wie Sandro Wagner, der nun mit 32 Jahren sein Karriereende verkündete und sich nun erst einmal ein Jahr der Familie widmen möchte.

Wohin bitte hätte ein André Schürrle, gescheitert bei Borussia Dortmund und auch in Russland und dann wieder in Dortmund nicht zurückgewollt, noch gehen sollen? Inmitten der Pandemie-Krise, die den Fußball auch noch heftiger erwischen wird. Da gibt es nicht mal ein Plätzchen in der Major League Soccer (MLS) in den USA für einen wie Schürrle oder Höwedes, der zuletzt zwei Jahre lang bei Lokomotive Moskaus eher unbeachtet von der hiesigen Öffentlichkeit sein Geld verdient.

Keiner weiß in der Branche, wie es genau weitergehen wird. So viel Geld wie bisher wird es bald auch nicht mehr zu verdienen geben. Schürrle und Höwedes haben also auch einen günstigen Zeitpunkt ausgewählt zum Abgang von einer Bühne, die bröckelt

Nicht alle heißen eben Messi oder Ronaldo.

Dass sie in jungen Jahren vom Platz gehen - geschenkt. Insgesamt werden die Karrieren von Profisportlern eher länger, auf dem Höhepunkt einer Karriere treten die wenigsten Sportlerinnen oder Sportler ab. Siehe Messi (33 Jahre), siehe Cristiano Ronaldo (35), beide seit Jahren immer auf den ersten beiden Plätzen bei der Wahl des Weltfußballers.

Dass der Druck in der Branche, besonders im Profifußball mitunter unmenschlich ist, sollte trotzdem immer wieder und weiter betrachtet werden. Höwedes uns Schürrle sind sicher nur die Spitze des Eisberges, die Quote derer, die mit dem Fußballgeschäft weniger gut leben konnten und früher und ohne auch finanziellen Erfolg aufhören mussten, ist viel, viel größer.

Insofern wirkt es immer ein wenig seltsam, wenn es Menschen bei ihrem Abgang ein System kritisieren, von dem sie kräftig profitiert haben. Insofern hat Höwedes eben einen Luxus, um den ihn Millionen Eltern beneiden müssen: Sie können es sich schlichtweg nicht leisten, mit Anfang 30 nicht mehr zu arbeiten. 

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