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Unsere Autorin an historischer Stelle, dort wo in ihrem Geburtsjahr Olympische Spiele stattfanden.

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Kolumne „Meine Paralympics“: Wo die Paralympischen Winterspiele ihren Anfang nahmen

1984 und 1988 gab es gleich zweimal Paralympics in Österreich. Sie fanden jeweils in Innsbruck statt. Unsere Kolumnistin begibt sich auf Spurensuche in Tirol.

In Tirol fällt man derzeit weich. Es schneit so stark, dass einige Autofahrer:innen im Treiben der weißen Flocken jetzt lernen, wie Schneeketten an den Autoreifen anzubringen sind. Endlich wieder mal so richtig Winter! Den lernten 1984 und 1988 auch die Teilnehmer:innen der damaligen ersten beiden „Weltspiele der Behinderten“ in der Region Innsbruck kennen.

Auf dem privaten Snowboardtrip ins Tiroler Skigebiet Axamer Lizum während der Berliner Winterferien holt mich nun die Sportgeschichte ein. Wenige Minuten mit dem Skibus entfernt in Mutters fanden damals die alpinen Wettbewerbe statt. Und einen kurzen Autoausflug entfernt haben dereinst auf der Hochebene in Seefeld/Leutasch die nordischen Skisportler um Medaillen gerungen – dort, wo sich unsere Wintersporturlaubergruppe gerade gegen starken Gegenwind in der Loipe stemmte.

Unten in Innsbruck würdigte der einstige österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim die Athlet:innen bei der Eröffnungsfeier im Januar 1988 als „eindrucksvolles Beispiel für die Bewältigung der Schwierigkeiten des Lebens“. Entdeckt habe ich diesen sporthistorischen Ausflug in die Para-Geschichte in einem österreichischem Youtube-Film.

Zumindest diese symbolische Verbeugung vor den Sportler:innen ist seitdem unverändert. In anderen Bereichen haben sich Welten getan. Ich hätte nie gedacht, dass ich Paralympics mal so skeptisch entgegenblicken würde. Unter Coronabedingungen, unter Menschenrechtsaspekten kann einem das Blut in den Adern gefrieren.

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Der ehemalige deutsche Skirennläufer Felix Neureuther hat in seiner Olympia-Fernsehreportage am Dienstagabend eine Uigurin unter Tränen davon erzählen lassen, wie chinesische Polizisten Angehörige der muslimischen Minderheit vergewaltigten, den drei Frauen anschließend die Elektroschockstäbe in die Vagina schoben und sich am Leiden pervers ergötzten. Ich schreibe das so drastisch auf, weil ich das im Kopf haben werde, wenn ich die Paralympics aus Respekt vor den Athlet:innen und ihren Teams schauen werde.

In meinem Hotel in Götzens kann auf Nachfrage jede:r was mit Paralympics anfangen, noch Jahrzehnte nach den früheren Spiele hier in der Region. Die nette irischstämmige Hotelmitarbeiterin Aisling Hughes und ihr australischer Mann haben Freunde und Bekannte in der olympischen und paralympischen Sportszene, wie die australische Para-Kanu-Trainerin Andrea Wood.

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Wintersport-Athleten hatten ihr nach den Spielen in Sotschi 2014 berichtet, wie befremdlich es gewesen sei, als an der Tür geklopft wurde, sie isoliert abgeholt wurden zu Bluttests und Wettbewerben, alles sei stark beschränkt gewesen. „Und die Leute haben jetzt Respekt vor dem Kunstschnee in China“, sagt Aisling Hughes beim Talk am Frühstücksbuffet. Kunstschnee sei viel verletzungsträchtiger, sagt sie, und mir kommen die Stürze der Monoskifahrer:innen auf den Holperpisten von Sotschi in den Sinn, ich habe das Dröhnen der Rettungshubschrauber noch in Erinnerung.

Wie immer wird auch in Peking 2022, wenn das Paralympische Feuer erst einmal brennt, dennoch großartiger Sport zu sehen sein. Die staubigen Hügel in den schneelosen Bergen sind derart mit Kunstweiß besprüht, dass zumindest überall dort, wohin sich die Übertragungskameras drehen, Schnee zu sehen sein soll, um den Schein zu wahren.

Trotz allem wird auch in Peking toller, paralympischer Sport zu sehen sein

Das Team Deutschland Paralympics mit neun Athletinnen und neun Athleten wird sich laut deutschem Behindertensportverband am 25. Februar auf den Weg nach Peking zu den Paralympischen Winterspielen vom 4. bis 13. März machen. Es ist ein junges Team, begleitet von fünf Guides in der Sportart Para Ski nordisch sowie einer Begleitläuferin im Para Ski alpin. Damit ist die Mannschaft etwas kleiner als in Pyeongchang 2018 (20 Teilnehmer:innen) und etwas größer als in Sotschi 2014 (13).

Mit dabei sind neben den Trainer:innen, auch Ärzt:innen und Betreuer:innen, so dass zur deutschen Paralympics-Delegation in der Summe 63 Personen gehören. Insgesamt sollen bei den zweiten Paralympics in Peking nach den Sommerspielen 2008 nun 736 Sportler:innen aus rund 50 Nationen in sechs Sportarten und bei 78 Entscheidungen um Medaillen und Bestleistungen kämpfen. Deutsche Athlet:innen werden in den Sportarten Para Ski alpin, Para Biathlon und Para Langlauf vertreten sein sowie nach 2014 zum zweiten Mal auch im Para Snowboard.

Ski und Rodel gut - nicht nur für unsere Autorin.
Ski und Rodel gut - nicht nur für unsere Autorin.

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Das Team Deutschland Winter-Paralympics ist im Umbruch, sieben Athletinnen und Athleten sind 22 Jahre oder jünger und gleich neun Teilnehmer:innen fiebern ihrer Paralympics-Premiere entgegen – also die Hälfte der Mannschaft. Drei Athlet:innen werden in China ihr Paralympics-Debüt im Banked Slalom und im Snowboard Cross geben. Die erfahrenste Athletin ist Para-Ski-alpin-Fahrerin Andrea Rothfuss, die ihre fünften Paralympics bestreiten wird. Andrea Eskau, die sechsfache Medaillengewinnerin von 2018, müsse ihre Teilnahme schweren Herzens aufgrund anhaltender körperlicher Beschwerden absagen.

Auch in Innsbruck und Umgebung werden einige Menschen die Spiele von Peking 2022 im Internet und im Fernsehen neugierig verfolgen. Nicole Ellinger vom Alp Art Hotel Götzens, in dem die Autorin gerade diese Zeilen tippt, erinnert sich beeindruckt an das südkoreanische Skiteam der Sportler mit Behinderungen, das sie 2021 im eigenen Haus unterbrachte. Dass diese es mit der Olympiastelzenbahn hoch zur früheren Olympia-Damenabfahrt schafften, beeindruckt mich selbst zutiefst. Das ist allein für sehende und stehende Snowboarder:innen ein Abenteuer, viele Treppen, steile Piste.

In China gibt es keine gleichwertigen Voraussetzungen für gerechte Spiele

So, wie mich der junge Gerhard Pscheider in der alten Paralympics-Dokumentation von 1988 anrührte. Als der damalige Erfolgssportler mit seinem Vorläufer Peter Erlsbacher im Film erzählte, dass ihm vor ein paar Jahren bei einem Skiunfall die Sehnerven beschädigt wurden und wie er seitdem ohne Sicht nach den Rufen und nach Bauchgefühl die Schwünge fährt. Der doppelarmversehrte nordische Sportler Horst Morokutti erzählte 1988 bewegend davon, wie seine sportlichen Erfolge ihm dabei helfen, an Selbstbewusstsein zu gewinnen.

Die Zeit scheint stehen geblieben, wenn die Athlet:innen schon damals darüber mit Blick auf die eigene Lage hierzulande klagen, dass die USA und Kanada Behindertensport derart fördern, dass die Konkurrenz ganzjährig trainieren könne und nicht arbeiten gehen müsse.

Gleichwertige Voraussetzungen für gerechte Spiele kann es auch in China 2022 allein schon wegen der Coronapandemie nicht geben. Mögen alle Beteiligten aber trotz aller Herausforderungen so weich fallen wie ich selbst gerade hier auf der Piste.

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