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Der Berg ruft. Für Jogger können die steile Steigungen zur Qual werden.

© Valentin Flauraud/dpa

Kolumne "Losgelaufen": Der grausame Berg im Norden Berlins

Nicht jeder Läufer nimmt die Warnung vor dem Nordberliner Zugspitzlauf ernst. Dass dies ein Fehler ist, bekam auch unser Kolumnist zu spüren.

Es kann niemand sagen, dass die Veranstalter nicht versucht hätten, mich zu warnen. „Der Berg diskutiert nicht. Niemand kann mit ihm verhandeln. Er lässt sich nicht überreden und schon gar nicht überlisten.“ Das Schild am Eingang der Familienfarm Lübars, wo vor ein paar Tagen der Nordberliner Zugspitzlauf startete, war eigentlich eindeutig. „Der Berg ist hart, vielleicht auch grausam.“

Eigentlich. Vielleicht. Aber das gilt doch nicht für mich! Ich komme aus dem Allgäu, in die Alpen ist es nicht weit. Berge sind Teil meiner DNA. Zumal ich mich bei meinem Wandertrip in Schottland mit 16-Kilo-Rucksack bestens vorbereitet habe – und dies auch öffentlich kundgetan hatte: „Acht Kilometer und 120 Höhenmeter. Ohne Gepäck. Lockere Nummer!“

Die Worte der vorherigen Kolumne, heute klingen sie wie Hohn. Doch von vorn: Der Nordberliner Zugspitzlauf gehört zu den eher familiären Läufen in der Szene. Kleines Starterfeld, geringe Gebühr und gemütliches Ambiente auf der Familienfarm in Lübars. Endlich also die Chance auf meinen ersten Sieg. Es ist der längste Tag des Jahres, die Sonne leuchtet rot hinter den Hochhäusern des Märkischen Viertels, auf der Familienfarm wird gegrillt. Ich denke an die Spareribs mit Kartoffeln, die es mittags in der Kantine gab. Sonderlich aufgeregt bin ich nicht. Ich bin mir meiner Sache heute sehr sicher.

Kurze Einlaufrunde, dann fällt der Startschuss und wir jagen los. Der Weg ist schmal und staubig, also besser ein kleiner Sprint. Nach 300 Meter beginnt der erste Aufstieg, vor mir sind etwa zehn Läufer. Jetzt kommt meine Stärke, denke ich. Seit jeher habe ich für Berlins Hügel nur Verachtung übrig. Das bisschen begrünter Trümmerschutt. Mit ein paar schnellen Schritten überhole ich weitere Läufer und bin schon fast oben. Nur noch drei oder vier Läufer sind vor mir. Lockere Nummer!

Auf dem Berg kommen die ersten Zweifel

Oben angekommen, bekomme ich zum ersten Mal Zweifel. Was auf der Karte nach einer flachen Zick-Zack-Streckenführung auf dem 83,5 Meter hohen Plateau ausgesehen hat, entpuppt sich als Berg- und Talfahrt über eine löchrige Wiese. Kein Meter ist eben. Es geht bergab, dann die Wiese hinauf, nur damit man dann wieder nach unten und wieder nach oben rennen kann. Es ist reinster Masochismus. Vorsichtshalber nehme ich etwas Tempo heraus. Doch zu spät.

Das Laktat will gar nicht mehr aus den Beinen, die schwerer und schwerer werden. Die untergehende Sonne hat längst ihre Romantik verloren und knallt erbarmungslos. Als ich das dritte Mal die verfluchte Wiese hinaufkeuche, beginnt die Seite zu stechen. Was folgt, ist eine einzige Schmach. Ich werde überholt. Von Frauen, von Senioren, von Kindern. Immer langsamer komme ich voran. In der zweiten Runde muss ich mehrmals gehen. Game over.

Beim Zieleinlauf gebe ich mir nicht einmal mehr die Mühe, fürs Foto zu lächeln. 17 Minuten habe ich für die erste Runde gebraucht, 23 Minuten für Kilometer vier bis acht. Was für ein Einbruch. Eigentlich müsste ich wütend auf mich sein, doch alles, was ich spüre, ist Erleichterung, dass es endlich vorbei ist. Gezeichnet schleppe ich mich zurück auf den Hof der Familienfarm. Am Eingang hängt noch immer der Zettel. „Der Berg ist hart, vielleicht auch grausam, aber ehrlich und gerecht. Keiner hat einen Vorteil.“

Heute war nicht der Berg das Problem, sondern ich. Lektion gelernt: Demut vor jedem Lauf. Als ich am Abend nach Hause komme, checke ich direkt das Profil des Berlin-Marathons. Weniger als 50 Höhenmeter, keine spürbare Steigung, breite Straßen. Lockere Nummer! Noch 86 Tage bis zum Berlin-Marathon.

Lesen Sie auch: Noch 100 Tage bis zum Berlin-Marathon: Einfach mal Pause machen!

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