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Grenzüberschreitender Protest? Ultra-Gruppen sehen das anders.

© dpa

Nach Schmäh-Plakaten gegen Dietmar Hopp: Jetzt wird gegen Union-Fans ermittelt

Fans des 1. FC Union solidarisieren sich mit den Protesten. Der Klub steckt nun in einer Zwickmühle, weil er allen gerecht werden möchte – auch den Ultras.

Von David Joram

Der Presseraum des 1. FC Union kommt vielen Bundesliga-Gästen vor wie der gesamte Klub, einzigartig und gewöhnungsbedürftig. Nicht, weil er besonders klein wäre (das auch), sondern weil die Trainer ihre Statements im Stehen herunterspulen müssen. An anderen Standorten wird normalerweise im Sitzen darüber referiert, wer denn nun den Sieg mehr oder weniger verdient habe.

Der vergangene Sonntag, als der VfL Wolfsburg im Stadion An der Alten Försterei gastierte, brachte eine weitere Besonderheit mit sich. Mindestens genauso gefragt wie die Trainer Glasner (Wolfsburg) und Fischer (Berlin) war Unions Stadionsprecher Christian Arbeit, zugleich Pressesprecher des Vereins.

Arbeit musste deshalb ran, weil nach einer Einschätzung verlangt wurde, wie denn der Verein den Fast-Spielabbruch wegen der offensiv vorgetragenen Fan-Proteste gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp und den Deutschen Fußball-Bund werte. „Wir kommen jetzt in eine Situation, in der alles durcheinander gerät“, sagte Arbeit. Man befinde sich im Bereich einer „symbolischen Auseinandersetzung“, die sich von den ursprünglichen Kontexten löse. „Wir werden alle zu tun haben in den nächsten Wochen, damit umzugehen.“

Möglicherweise werden es auch Monate sein, weil der Umgang des Klubs mit den Fans in der Causa Hopp weitere, essentielle Fragen aufwirft. Zum Beispiel, wie der Klub grundsätzlich gegenüber den Verbänden auftritt? Kritisch, wie man das bisher gerne nach außen getragen hat? Oder hörig, weil es die Branche so verlangt? Und wie viel Macht räumt das mitgliedergeführte Union seinen Fans ein?

Offenbar wurde diesem Spieltag, wie tief die Hopp-Frage den deutschen Fußball spaltet – den 1. FC Union scheint das im Speziellen noch stärker zu betreffen. Vieles, was den Klub ausmacht, geht auf seine Anhängerschaft zurück. Es gibt kaum einen Bundesliga-Trainer, der nach einem Auftritt im Stadion An der Alten Försterei nicht von der einmaligen Atmosphäre schwärmt. Auch am Sonntag war die Stimmung eine besondere, nur anders als von den Offiziellen gewünscht.

Berliner Polizei ermittelt gegen unbekannt

Wie auch andernorts hatten die Union-Fans auf der Waldseite, wo die kundgebungsfreundlichen Ultras beheimatet sind, die inhaltliche Kritik rhetorisch derb verpackt. „Hurensohn“, war unter anderem zu lesen, bezugnehmend auf Hopp und den Spielabbruch von Hoffenheim. Ein Fadenkreuz mit Hopps Konterfei präsentierten sie ebenfalls. Die Ultras wollten auf diese Weise dokumentieren, dass sie ganz und gar nicht damit einverstanden sind, mit welchem Maß der DFB misst. Hopp würde beim Verband hofiert, plakatierten sie etwa.

Auf der Internetseite der Ultra-Gruppe „HammerHearts“, die neben dem „Wuhlesyndikat“ hauptsächlich den Ton in Unions Fankurve angibt, erschien noch während des Spiels eine Erklärung zu den Protesten – auch zu jenem Doppelhalter, auf dem sich Hopp im Visier eines Fadenkreuzes befindet. Inzwischen ermittelt die Berliner Polizei gegen unbekannt „wegen des Verdachts der Bedrohung im Zusammenhang mit einem Spruchband und einem Porträtplakat“.

Es werde unter anderem untersucht, ob die Plakate den Tatbestand der Bedrohung erfüllen würden und wer die Plakate gezeigt sowie angefertigt habe, hieß es weiter. Dazu werde unter anderem das zur Verfügung stehende Videomaterial ausgewertet.

Eine Morddrohung sei der Doppelhalter nicht, rechtfertigten sich die HammerHearts. „Er ist aber ganz klar provokant und kritisiert eine Person und eine stetige Entwicklung. Heute steht er jedoch vor allem entgegen schleichender Zensur und für die Ausdrucksfreiheit in den Kurven.“

Das war eine Meinung. Gegenmeinungen und Proteste gab es etliche, auch von den anderen Zuschauern im Stadion. „Aufhören, aufhören“, skandierten viele Fans auf der Gegengerade und pfiffen gegen die eigene Ultra-Szene. Funktionäre und Spieler verurteilten die Aktionen. „Das hat im Fußball nichts zu suchen. Das gehört einfach nicht ins Stadion, das gehört nirgendwo hin“, sagte Marvin Friedrich, dessen erstes Bundesliga-Tor beim 2:2 gegen die Wolfsburger zum Randaspekt geriet.

Plakate und Beleidigungen gegen Offizielle, führte Friedrich aus, „das geht nicht“. Das hätten die Spieler auch den Fans vermitteln wollen, als Schiedsrichter Bastian Dankert das Duell unterbrochen hatte. „Man versucht die Verantwortlichen, die Capos (die Vorsänger der Ultra-Szene, d. Red.) zu erreichen“, sagte Friedrich, denn „so eine Scheiße“ habe im Stadion nichts zu suchen. Kapitän Christopher Trimmel und Trainer Urs Fischer drückten sich gewählter, aber in der Richtung ähnlich aus.

Sie wollen Fußball spielen, Unterbrechungen stören da nur, wie Fischer deutlich machte. „Es war wirklich sehr unangenehm für die Jungs“, sagte er. Speziell mit der zweiten Unterbrechung habe er seine Mühe gehabt, „das kann ein Spiel in eine ganz andere Richtung lenken.“

Wie reagiert der Klub, wenn weitere Plakate auftauchen?

Mehr Zuspruch, teils auch von offizieller Seite, gab es für die erste Plakataktion der Ultras, als Wortwahl und Form wesentlich milder gestaltet waren. Er habe durchaus Verständnis, wenn die Fans Kollektivstrafen kritisieren würden, sagte etwa Manager Oliver Ruhnert. Und Präsident Dirk Zingler ließ sich noch am Abend auf der Internetseite des Vereins so zitieren: „Das Recht zur freien Meinungsäußerung ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft, das auch vermeintliche Geschmacklosigkeiten einschließt.“ Selbstverständlich dürften „kritikwürdige Zustände des Fußballs“ angesprochen werden. Die Diffamierung von Menschen verurteile er allerdings „aufs Schärfste, so etwas ist nicht tolerierbar.“

Allerdings ruhte das Bundesliga-Spiel gegen Wolfsburg nach einer halben Stunde trotz weitgehend sachlicher Kritik – was selbst das Sitzplatzpublikum auf der Haupttribüne nicht tolerieren wollte. Pfiffe und Buhrufe hallten durchs Stadion, gepaart mit Armbewegungen, die sehr energisch aussahen. In diesem Moment war das Feindbild klar, die „Fußballmafia DFB“, wie es durchs Stadion dröhnte. Doch als der Ball ein zweites Mal ruhte, drehte sich das Blatt. Nun standen die Ultras am Pranger – weil für viele der Ton („Hurensohn“) nicht mehr zur Musik passte.

In diesem Spannungsfeld ringt Union um eine Position, die möglichst allen gerecht wird. Den Spielern und Trainern, denen es rein um den Sport geht; den Ultras, denen es um viel grundsätzlichere Dinge geht und die laut HammerHearts „laut, frech und provokativ“ auf Missstände aufmerksam machen; und natürlich all den anderen Fans, die ein gewisses Maß an Kritik tolerieren, aber bitteschön jugendfreundlich. Das ist die innenpolitische Seite der „symbolischen Auseinandersetzung“.

Nach außen hin, den Verbänden gegenüber, ist Union ebenfalls gefragt. Wie reagiert der Klub, wenn weitere Plakate auftauchen? Streitet er in der Sache um Kollektivstrafen mit seinen treuesten Fans? Mit jenen, die den Verein überall hin begleiten, die (wie Dietmar Hopp) soziale Projekte anschieben, die Stimmung im Stadion organisieren – und einst sogar beim Stadionbau mithalfen.

Mit Anhängern also, die das Bild des Klubs entscheidend mitprägen, aber keinerlei Lobby in den Verbänden haben. Oder macht auch Union sich die rigorosen Konsequenzen zu eigen, die Funktionäre wie Bayerns Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge fordern? In den kommenden Spielen könnte Christian Arbeit noch des Öfteren gefragt sein.

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