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Mitten in Los Angeles. Dort ging die Mitlaufgelegenheit Freiberg im letzten Herbst gemeinsam laufen. Am Sonntag waren Läufer:innen in Berlin dabei.

© Mitlaufgelegenheit Freiberg

Integration über das gemeinsame Laufen: Die Freiberger Mitlaufgelegenheit beim Halbmarathon

Alles begann 2015 in Freiberg in Sachsen mit einem Lauftreff für geflüchtete Menschen. Mittlerweile ist viel mehr daraus geworden. Über Los Angeles ging die Reise schließlich nach Berlin

Wie kommt eine Laufgruppe aus Sachsen auf die Idee, in Los Angeles laufen zu gehen und anschließend am Berliner Halbmarathon teilzunehmen? Alles fing mit der Flüchtlingskrise 2015 an, als hunderttausende Menschen im Sommer nach Deutschland kamen. Auch in die sächsische Kreisstadt Freiberg mit 40.000 Einwohnenden zog es an die 2000 Flüchtlinge und Asylbewerber:innen. Die Heime waren voll, eine Turnhalle wurde zum Notquartier umfunktioniert.

Zu dieser Zeit machte sich Stefan Benkert Gedanken, wie man eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung auf die Beine stellen könnte für die geflüchteten Menschen und gründete unter anderem mit Cornelia Skovgaard-Sörensen den sogenannten Refugee-Lauftreff. „Wir haben gedacht, dass Sport eine gute Möglichkeit ist. Und dann haben wir diesen Lauftreff ins Leben gerufen und Flüchtlinge zu uns eingeladen“, erzählt Benkert. „Wir waren erst zu zwölft etwa, damals noch mit Jeans und Straßenschuhen, und sind dann einfach losgelaufen.“

Mittlerweile ist daraus vielmehr geworden und die Gruppe ist stetig gewachsen, inzwischen sind Läufer:innen aus 35 Nationen mit dabei. Was bei der ganzen Sache nie im Vordergrund stand, war der sportliche Erfolg. „Wir hatten nie das Ziel, eine Wettkampfgruppe zu werden“, sagt Benkert. Vielmehr sei es um Integration gegangen. „Die Leute kommen, weil sie sich wohlfühlen. Es wird geredet, es wird sich gegenseitig geholfen, ob bei einem Umzug oder der Wohnungssuche.“

Der Langsamste bestimmt das Tempo

Das führte irgendwann zu einer Namensänderung des Lauftreffs, wie Benkert erzählt. Aufgrund der nachlassenden Anzahl an geflüchteten Menschen und dem Umstand, dass die Gruppe zu diesem Zeitpunkt so groß und divers wurde mit Sportler:innen aus allen Altersschichten, hieß der Lauftreff schließlich Mitlaufgelegenheit Freiberg. „Viele waren dann so integriert, dass man dieses ‚refugee‘ nicht mehr herausheben musste“, erklärt Benkert. Der neue Name passte dann auch zum Motto, denn jeder, der möchte und kann, darf mitlaufen. Unabhängig vom Fitnesslevel oder der Geschwindigkeit. „Der Langsamste bestimmt das Tempo, ist unsere Devise“, sagt Benkert.

Die Laufgruppe vereinbarte feste Zeiten, jedoch ganz ungezwungen und nach dem Gedanken, wer kommt, der kommt. „Wir laufen, egal wie das Wetter ist, und gucken, dass wir alle mitbekommen, die da sind. Wenn jemand Langsames dabei ist, dann passen wir uns dem langsamen Tempo an“, erzählt Benkert. „Das hat sich so dann immer weiter und besser entwickelt und dann waren wir in Lübeck beim Marathon und in Berlin beim Halbmarathon 2018. Dort waren auch 30 bis 40 Leute dabei.“

Was mit zwölf Menschen begann, ist mittlerweile um ein Vielfaches gewachsen. Inzwischen sind 35 Nationen in Freiberg vertreten.
Was mit zwölf Menschen begann, ist mittlerweile um ein Vielfaches gewachsen. Inzwischen sind 35 Nationen in Freiberg vertreten.

© Mitlaufgelegenheit Freiberg

Im letzten Jahr kam es schließlich zu einer Reise nach Los Angeles, die Benkert heute als bisherigen Höhepunkt der Mitlaufgelegenheit bezeichnet. Inspiriert wurde der Trip von dem auf einer wahren Begebenheit beruhenden Film „Skid Row Marathon“, bei dem der Strafrichter Craig Mitchell im Obdachlosenviertel Skid Row in Los Angeles einen Laufklub gründet, um unter anderem ehemalige Drogenabhängige und Alkoholiker:innen für internationale Marathon-Wettbewerbe zu trainieren.

Drei Flüchtlingen wurde die Einreise in die USA verweigert

Zu dieser Geschichte sah Benkert in gewisser Weise Parallelen beim Freiberger Lauftreff und so entstand die Idee, nach Los Angeles zu fliegen und Mitchell sowie dem Laufklub einen Besuch abzustatten. „Das haben wir im Endeffekt tatsächlich so umgesetzt und sind voriges Jahr nach LA geflogen, haben den Richter dort getroffen, sind mit der Laufgruppe zweimal gelaufen und haben in der Obdachlosenhilfe unterstützt“, sagt Benkert.

Doch die Reise hat bis heute einen bitteren Beigeschmack. Denn ursprünglich sollten drei Läufer:innen, die aus Afghanistan ebenfalls nach Freiberg geflüchtet waren, mitfliegen nach Los Angeles. Nach unzähligen Anträgen und einem immensen organisatorischen Aufwand wurde ihnen das Visum letztlich verwehrt. „Einer davon ist Iman Gizabi, der als Schüler mit seinen Eltern zusammen über den Iran hierherkam und mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft hat“, sagt Stefan Benkert. „Er hat hier sein Abitur gemacht und studiert jetzt Pharmazie in Marburg. Am Ende konnte aber selbst das deutsch-amerikanische Institut nichts tun und hatte keinen Einfluss auf die zuständigen Sachbearbeiter. Das war auf jeden Fall eine traurige Sache und hat ein wenig die Reise überschattet.“

Kurz vor dem Start beim Berliner Halbmarathon. Der Freiberge Lauftreff um Gründer Stefan Benkert (2. v. r.).
Kurz vor dem Start beim Berliner Halbmarathon. Der Freiberge Lauftreff um Gründer Stefan Benkert (2. v. r.).

© Mitlaufgelegenheit Freiberg

Ganz so einfach wollte das Benkert aber nicht auf sich sitzen lassen und organisierte Iman Gizabi sowie seinem Bruder und seinem Vater drei Startplätze beim Berliner Halbmarathon. Am Sonntag gingen sie zu sechst an den Start, alle in den eigens für die Los-Angeles-Reise angefertigten T-Shirts, um der ganzen Geschichte einen schönen Abschluss zu bereiten. Neben der Gizabi-Familie gingen auch Benkert selbst, Cornelia Skovgaard-Sörensen und eine weitere Läuferin an den Start.

Die Entscheidung fiel auf den Halbmarathon in Berlin, weil dieser laut Benkert ein Highlight in der Laufszene ist. „Die Stimmung ist schon besonders in Berlin.“ Also ging es am Sonnabend los, die Startunterlagen wurden abgeholt und auf Richtung Brandenburger Tor und Siegessäule. Dabei blieben die sechs Läufer:innen ihrem Motto treu. „Wir wollen das genießen und es geht nicht darum, eine Bestzeit aufzustellen. Das ist auch nie unser Anspruch, wir laufen eigentlich nur aus Spaß an der Sache“, sagt Benkert. Darum ging es noch nie in Freiberg, sondern um die Gemeinsamkeit und den Sport, der Integration möglich macht.

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