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Der Treffer von Raheem Sterling unter auf dem Platz ließ oben auf der Tribüne die Fans jubeln.

© IMAGO / PA Images

Raheem Sterling schießt England ins Achtelfinale: In der 75. Minute explodiert das Wembleystadion

Geradlinigkeit und Kaltschnäuzigkeit. Raheem Sterling setzt das um, was sich Joachim Löw von seiner Mannschaft gewünscht hatte und entscheidet damit das Spiel.

"Ich hab keine Ahnung, ob sie mich hören können“, leitet der ARD-Reporter das Interview mit Toni Kroos ein, der sich einen der beiden kleinen Kopfhörer ans Ohr drückt. Es ist 20 Uhr 41, das Spiel ist schon seit fast einer Stunde abgepfiffen, und dennoch ist es im Wembleystadion noch immer unglaublich laut. Im Interview mit Manuel Neuer wenige Minuten zuvor justierte die ARD gleich nach der ersten Frage die Lautstärke der Mikrofone nach oben, weil der deutsche Kapitän kaum zu hören war.

„Es ist echt auch geil, wenn 95 Prozent der Zuschauer gegen dich sind und dich verlieren sehen wollen“, hatte Bundestrainer Joachim Löw vor der Partie gesagt. Diese Abneigung wurde schon vor dem Anstoß deutlich. Die deutschen Nationalhymne wurde mit lauten Buhrufen begleitet. Während der Partie dann ein ähnliches Bild. Hat Deutschland den Ball, pfeift das Stadion – mal mehr und mal weniger.

Aus Pfiffen wird Jubel

In der 75. Minute erlöst der in London aufgewachsene Raheem Sterling die fast 45 000 Fans im Stadion. Jetzt dürfen die englischen Fans nicht nur buhen oder pfeifen, sondern auch feiern. Die wenigen Deutschen, die es tatsächlich ins Wembleystadion nach London geschafft hatten, gehen unter im englischen Jubel.

Sterling leitet seinen Treffer selbst ein. Er holt sich den Ball auf der halbrechten Seite von Mitspieler Walker. Der deutsche Innenverteidiger Antonio Rüdiger klebt ihm an den Fersen. Thomas Müller von vorne und Sechser Toni Kroos kommen dazu. Sterling scheint umzingelt. Der Stürmer von Manchester City tritt trotzdem an und nutzt den kleinen Korridor, der ihm sich Richtung Sechzehner bietet. Ein einfacher Fehler der Deutschen, ausgerechnet den direkten Weg zum Tor offen zu lassen. Am Strafraum spitzelt Sterling den Ball zu Kane, und Rüdiger verliert Sterling aus den Augen.

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Dabei ist es keine Situation die ganz neu ist. Schon im Gruppenspiel gegen Kroatien hatte Sterling auf diese Weise den einzigen Treffer erzielt. Überhaupt hat bei diesem Turnier bisher nur ein Engländer getroffen: Raheem Sterling

Trotzdem liegt der Ball wenige Sekunden später in deutschen Tor. Sterling dreht zum Jubeln ab. Im Strafraum befinden sich zu diesem Zeitpunkt fünf Engländer – und acht Feldspieler der deutschen Mannschaft. Dass Sterling nach der flachen Hereingabe von Linksverteidiger Luke Shaw trotzdem freisteht und trifft, liegt auch an der deutschen Verteidigung. Rüdiger bleibt weder an Sterling dran, noch läuft er zurück auf seine Position. Aber auch seine beiden Innenverteidigerkollegen sind nicht unschuldig. Wie schon der Ungar Adam Szalai nutzt auch Sterling die große Lücke zwischen Matthias Ginter und Mats Hummels. Niemand fühlt sich für ihn zuständig.

Deutsche Schwächen im Strafraum

Nach dem Spiel betont der nun scheidende Bundestrainer Joachim Löw noch einmal, wie wichtig es gewesen wäre, die Großchancen gegen England zu nutzen. Ihm war klar, dass es kein Spiel vieler Möglichkeiten werden würde. Seine Mannschaft scheiterte in Person von Thomas Müller und Timo Werner an diesem Vorhaben. Raheem Sterling aber gelingt genau das. Sein Abschluss aus kurzer Distanz ist ein Kinderspiel, allerdings auch weil die deutsche Mannschaft Fehler machte. Keine groben Schnitzer, aber eben deutliche Fehler.

Bastian Schweinsteiger sagt später über den Jubel nach dem 1:0, dass er eine solche Erlösung „noch nie erlebt“ habe. Das ganze Wembleystadion steht Kopf. Nicht nur in der 75. Spielminute, sondern bis zum Abpfiff und noch weit darüber hinaus. Im Stadion feiern Prinz William und Herzogin Kate genauso wie das andere englische Pärchen des Abends, David Beckham und Ed Sheeran. Wie bei jedem größeren Sieg wird gesungen, in London, in Wembley natürlich wie so oft „It’s coming home“. Ein Sieg über Deutschland, noch dazu bei einem großen Turnier, der kommt eben nicht so oft vor. Sondern nur höchst selten.

Luca Füllgraf

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