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Nicht zu fassen. Bei Hertha BSC hadern sie mit dem Schicksal.

© dpa

Nach fünf Niederlagen aus sieben Spielen: Hertha BSC richtet sich im Konjunktiv ein

Sportchef Fredi Bobic spricht nach dem 1:2 gegen den SC Freiburg von einer gefühlten Krise – aber die Probleme von Hertha BSC sind durchaus real.

Christian Streich brauchte nur wenige Sätze, um den misslichen Zustand von Hertha BSC perfekt zu analysieren. Der Trainer des SC Freiburg hielt eine kurze, aber heftige Lobrede auf seine eigene Mannschaft, und man musste sich einfach nur das genaue Gegenteil vorstellen, um zu wissen, woran es derzeit bei Hertha hapert.

„Die Mannschaft zeigt sich sehr stabil“, sagte also Streich nach dem 2:1-Sieg seines Teams in Berlin. „Wir haben eine sehr homogene Mannschaft mit vielen Spielern, die schon lange bei uns sind, vier Jahre, fünf Jahre. Und vor der Sozialkompetenz kann ich nur den Hut ziehen.“

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Hertha hingegen: instabil, weder eingespielt noch eingestimmt, mit vielen Neuen, daher nicht nur fußballerisch immer noch in der Findungsphase. Und während Freiburg als einzige Mannschaft neben den Bayern in der Fußball-Bundesliga weiterhin ungeschlagen ist, versinkt der ambitionierte Hauptstadtklub im unteren Mittelmaß. Tendenz: eher fallend.

Das Duell der beiden Teams am Samstagnachmittag folgte nach Ansicht der Berliner zumindest einer gewissen Logik. „Das musst du nicht verlieren, aber du verlierst es halt“, sagte Herthas Sportchef Fredi Bobic. Weil auf der einen Seite eine Mannschaft stand, die einen Lauf hat. Und auf der anderen Seite eine, die ebenfalls einen Lauf hat – nur eben in die andere Richtung. Eine, „die ein bisschen in einer gefühlten Krise ist“, wie Bobic sagte.

Trainer Dardai hadert mit dem Fußballschicksal

Fünf Niederlagen aus sieben Spielen: Dass die Krise nur ein Gefühl sein soll, erzählt einiges über Hertha und über Herthas Probleme mit der Realität. „Uns hat jetzt das sogenannte Fußballschicksal erwischt“, sagte Trainer Pal Dardai. „Die engen Spiele gehen auf die andere Seite. Da muss man einfach ruhig sein.“ Denn das Schicksal ist, wie jeder weiß, ein flatterhafter Geselle, der seine Gunst mal diesem, mal jenem gewährt. „Irgendwann muss sich das drehen“, sagte Dardai. „Irgendwann werden wir auch ein Spiel erleben, wo wir flanken, Tor – und keiner versteht: Warum haben wir das gewonnen?“

So, wie sie selbst nicht verstehen, warum sie zum Beispiel am zweiten Spieltag gegen Wolfsburg verloren haben. Wieder und wieder bemühen die Berliner die angeblich unglückliche Niederlage gegen den VfL am 21. August; und so hartnäckig wie sie das tun, scheinen sie tatsächlich zu glauben, sie könnten das Spiel durch Reden doch noch irgendwie gewinnen.

Hertha macht es sich gemütlich im Konjunktiv, beschäftigt sich damit, was gewesen sein könnte, wozu das Team in der Lage sein könnte und läuft dabei Gefahr, die Wirklichkeit aus dem Blick zu verlieren. Doch die Probleme sind weder eingebildet noch eingeredet. Sie sind sehr real.

Der Kader ist nicht ausgewuchtet

Denn was hilft es, auf dem Papier einen anständigen Kader mit großen Namen beisammen zu haben? Auf dem Platz hat Hertha ihn nicht – was nicht zuletzt, aber eben nicht ausschließlich an der Verletzungsmisere von geradezu biblischem Ausmaß liegt. Der Kader ist nicht ausgewuchtet, die wenigen Wünsche des Trainers (schnelle Spieler für die Außenbahn) sind im Sommer unerfüllt geblieben: Bei Hertha stehen jetzt mehr Torhüter unter Vertrag als Flügelspieler.

Wichtige Spieler sind im Sommer gegangen; einige wie Matheus Cunha sind sogar erst gegangen, als Pal Dardai längst mit ihnen plante. Die neuen wiederum sind zum Teil noch später gekommen, so dass Herthas Trainer jetzt zu einer Art Vorbereitung im laufenden Betrieb gezwungen ist. „Wann wird es eine richtige Einheit sein?“, fragt sich nicht nur Dardai.

Eine Stammelf hat Herthas Trainer bisher noch nicht gefunden. Seine Aufstellungen erinnern eher an das Prinzip von Versuch und Irrtum. In jedem der vergangenen vier Spiele hat Dardai in der Pause mindestens einmal gewechselt. Insgesamt waren es sechs Wechsel in der Halbzeit – kein anderer der übrigen 17 Bundesligisten kommt auf mehr als vier.

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„Ich kann nicht mit fünf Spielern ins Spiel gehen, von denen ich weiß, dass sie ausgewechselt werden müssen“, hat Dardai nach der Niederlage gegen Freiburg gesagt. „Wir hatten schon drei oder fast vier.“ Kevin-Prince Boateng, Stevan Jovetic und Ishak Belfodil sind von ihrem körperlichen Grundzustand her bis auf Weiteres nur als Teilzeitkräfte einzuplanen; hinzu kommen die diversen Rekonvaleszenten, die schneller wieder gebraucht werden, als es ihrer Gesundung eigentlich zuträglich wäre.

„Es ist schwer, dass wir so basteln müssen“, sagt Dardai. „Wenn du nicht diese Einzelqualität hast, musst du als Mannschaft arbeiten. Aber dieses Jahr haben wir so viele verletzte Spieler, dass es sehr schwierig ist, etwas einzustudieren.“

Unabhängig davon war es jedoch eine grundsätzliche Fehleinschätzung, dem Rückkehrer Boateng mit seinen inzwischen 34 Jahren und seinem malträtierten Körper eine Schlüsselrolle anzuvertrauen – und an dieser Idee offenbar auch weiterhin festzuhalten. Auf Kritik am trägen Spielaufbau seiner Mannschaft entgegnet Dardai: „Kevin kann das. 20 Minuten läuft der Spielaufbau immer sehr gut. Jedes Spiel sieht es 20 Minuten gut aus – solange Kevin die Kraft hat.“ Mehr muss man über Hertha BSC im Herbst 2021 eigentlich nicht wissen.

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