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Jamie Bynoe-Gittens hat erst vor zwei Wochen mit den Profis des BVB gegen Hertha BSC gespielt. An diesem Sonntag trifft er mit Dortmunds U 19 auf die Berliner.

© IMAGO/RHR-Foto

Hertha BSC im U-19-Finale gegen den BVB: Mit der Logik einer Aktiengesellschaft

Die U 19 von Hertha BSC trifft im Finale um die Meisterschaft auf den übermächtigen Gegner Borussia Dortmund. Genau das ist die Chance für die Berliner.

Nico Willig ist die Seitenlinie entlanggetrippelt, immer weiter Richtung Tor, und als der große Jubel losbricht, macht er die passende Geste dazu. Willig, der U-19-Trainer des VfB Stuttgart, reißt beide Arme senkrecht in die Luft. Auch der Rest der Bank ist aufgesprungen. Dabei geht es nur die Grätsche eines Stuttgarter Verteidigers, die einen vielversprechenden Konter von Borussia Dortmund unterbunden hat.

Es ist das DFB-Pokalfinale der U 19 vorige Woche in Babelsberg. Der VfB, als vermeintlich chancenloser Außenseiter in dieses Spiel gegangen, führt Mitte der zweiten Hälfte mit 2:1, und tatsächlich scheint eine Sensation möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Dortmund drückt, Dortmund drängt – und immer mehr nimmt die Auseinandersetzung etwas von einem Klassenkampf an.

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„Ich finde es schon extrem, dass selbst eine Mannschaft wie Stuttgart nur auf Konter spielt“, sagt Dortmunds dänischer Trainer Mike Tullberg nach dem Finale und der 1:3-Niederlage seiner Mannschaft. „Aber im Endeffekt spricht das auch dafür, dass wir irgendwas richtig gemacht haben.“

Die U 19 des BVB genießt einen Ruf wie Donnerhall – spätestens nachdem sie das erste Halbfinale um die deutsche Meisterschaft gegen Schalke 04 mit 5:1 für sich entschieden hatte. Tullberg und seine Mannschaft hatten in diesem Jahr die historische Chance, als erste A-Jugend überhaupt das Double zu gewinnen. Nach dem verlorenen Pokalfinale vor einer Woche aber bleibt ihnen nun nur noch die Meisterschaft. Im Endspiel tritt der BVB an diesem Sonntag im Amateurstadion bei Hertha BSC an (13 Uhr, live bei Sky).

Die Niederlage gegen den VfB war für die Dortmunder schon die zweite nacheinander, nachdem sie bereits das Halbfinalrückspiel gegen Schalke 0:1 verloren hatte. „Klar nimmt das die Mannschaft mit – auch weil die Jungs solche Enttäuschungen nicht gewohnt sind“, sagt Trainer Tulllberg. „Die sind auf einer Welle geflogen, haben fast jedes Spiel gewonnen, in der Youth League top performt, sind mit elf Punkten Vorsprung Westdeutscher Meister geworden.“

Der BVB hat eine internationale Top-Mannschaft

Dortmunds U 19 verfügt über eine individuelle Qualität, die im deutschen Jugendfußball aktuell ihresgleichen sucht. „Aufgrund der vielen ausländischen Transfers ist der BVB eine internationale Top-Mannschaft im U-19-Bereich“, sagt U-19-Nationaltrainer Hannes Wolf. Jamie Bynoe-Gittens, von Manchester City ins Ruhrgebiet gewechselt, hat schon für die Profis in der Bundeliga gespielt, genau wie Tom Rothe, den der BVB im vergangenen Sommer vom FC St. Pauli verpflichtet hat.

Bradley Fink ist aus Luzern gekommen, Julian Rijkhoff von Ajax Amsterdam, Filippo Calixte Mané von Sampdoria Genua, und die beiden Franzosen Abdoulaye Kamara und Soumaila Coulibaly sind in der Jugend von Paris Saint-Germain ausgebildet worden. „Die wollen die Toptalente weltweit holen“, sagt Stuttgarts Trainer Willig über die Dortmunder. „Das ist ihre Strategie, und die ist legitim. Auch wenn sie für den deutschen Nachwuchsfußball vielleicht nicht optimal ist.“

Es sei nicht mehr der A-Jugendfußball wie man ihn von früher kenne, sagt Willig, liege aber eben auch an der allgemeinen Preisentwicklung im Fußball. Wenn ein 19-Jähriger zehn Millionen koste, „dann holst du den vielleicht schon mit 16 für 100.000“, sagt er. „So rechnen mittlerweile Aktiengesellschaften. Deswegen macht das aus deren Sicht Sinn.“ Auch U-19-Nationaltrainer Wolf will das Geschäftsmodell des BVB nicht kritisieren, sondern eher als Motivation begreifen, „unsere Ausbildung zu verbessern, so dass unsere Spieler ebenfalls dieses Niveau erreichen. Wir wissen, dass wir an der Stelle Nachholbedarf haben.“

Zumal der Weg des BVB kein gänzlich neuer ist. Auch der Däne Jacob Brunn Larsen, der Engländer Jadon Sancho sowie der US-Amerikaner Christian Pulisic sind für vergleichsweise kleines Geld in den Dortmunder Nachwuchs geholt worden, ehe sie später für zum Teil astronomische Ablösen weiterverkauft wurden.

Auch die Dortmunder sind fehlbar. Vor einer Woche verloren sie das Finale um den DFB-Pokal gegen den VfB Stuttgart.
Auch die Dortmunder sind fehlbar. Vor einer Woche verloren sie das Finale um den DFB-Pokal gegen den VfB Stuttgart.

© IMAGO/Matthias Koch

Doch so paradox es klingt: Gerade dieses Modell könnte sich für das Spiel gegen Hertha als nachteilig erweisen – weil Titel bei den Junioren nicht das vorrangige Ziel für die Dortmunder sind. Das hat sich auch VfB-Trainer Willig für das Pokalfinale zunutze gemacht. „Wir haben gesagt: Wir können einen Traum leben, einen Traum wahr werden lassen“, erzählt er. Bei den Dortmundern hingegen gehe es nicht um Träume, „bei denen geht es um die Zielsetzung“.

Viele der Dortmunder Spieler sind der U 19 schon entwachsen. Der 17 Jahre alte Bynoe-Gittens zum Beispiel hat gerade erst gegen Hertha gespielt – am letzten Spieltag der Bundesligasaison gegen die Profis.

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Dortmunds U-19-Trainer Tullberg erzählt, dass er seinen Spielern im vergangenen Sommer gesagt habe: „Wir wollen es schaffen, dass man über euch spricht.“ Jetzt werde über viele Spieler gesprochen, weil sie schon bei den Profis oder bei der U 23 in der Dritten Liga zum Einsatz gekommen sind.

„Das ist unser Auftrag: Spieler nach oben bringen“, sagt der 37 Jahre alte Ex-Profi Tullberg. Aber wenn man dann wieder für die U 19 spiele, müsse man verstehen, dass es um die Mannschaftsperformance gehe: „Alle, die oben waren, waren da, weil die Mannschaft funktioniert hat, nicht weil sie alle alleine auseinandergenommen haben.“

Herthas Trainer Hartmann verabschiedet sich

Genau diese Haltung wird auch Hertha den Dortmundern entgegenzusetzen versuchen. Da „sprechen wir über eine richtig gute Truppe mit Körperlichkeit, Mentalität und individueller Qualität, die – genau wie der VfB im Pokalfinale – dem BVB wehtun kann“, sagt U-19-Nationaltrainer Hannes Wolf über die Berliner. Hertha wird zwar auf den verletzten Anton Kade verzichten müssen, trotzdem erwartet Mike Tullberg ein Duell auf Augenhöhe: „Ich finde, Hertha spielt sehr, sehr erwachsen, mit einer gewissen Härte. Das wird eine schwere Aufgabe für uns.“

Für die Berliner und ihren Trainer Michael Hartmann ist es eine ähnliche Herausforderung, wie vor drei Jahren in der Youth League gegen Paris Saint-Germain. Die individuelle Klasse der Franzosen konterte Hertha mit Mentalität und Leidenschaft. Am Ende hieß es 2:1 für die Berliner.

„Es ist nur ein Spiel. Und in einem Spiel ist alles möglich“, sagt Hartmann über das Finale gegen die Dortmunder, das für ihn nach neun Jahren das letzte Spiel als Trainer von Hertha BSC sein wird. Im Sommer wechselt er zum FC Bayern München. „Die müssen uns auch erst einmal schlagen“, sagt er über den BVB. „Ich habe keine Angst davor.“

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