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Das Augenlicht am Armband. Der erblindete Henry Wanyoike (r.) mit seinem Begleitläufer Joseph Kibunja beim Training in Kikuyu.

© imago

Blinder Langstreckenläufer aus Kenia: Henry Wanyoike: "Wer behindert ist, wird versteckt"

Der blinde Langstreckenläufer Henry Wanyoike kämpft in seiner Heimat Kenia gegen Aberglaube und Vorurteile. Anregungen für die Förderung von Menschen mit Behinderung holt er sich regelmäßig in Berlin.

Henry Wanyoike hat Schnupfen. Aber was ist das schon gegen die Hüftprobleme, die den Marathonläufer bei den Paralympics in London 2012 zur Aufgabe zwangen? Die Enttäuschung war groß, nach jahrelangem Training, auch für seinen Begleitläufer Joseph Kibunja. Jetzt aber zeigt der blinde Kenianer Wanyoike mit der Sonnenbrille wieder sein Strahlemannlächeln. Schließlich hatte der Langstreckenspezialist und vierfache Paralympics-Medaillengewinner bei seinem jüngsten Berlin-Besuch allerlei zu feiern. Er ist der erste paralympische Spitzensportler, der für ein gesellschaftspolitisches Amt in seinem Heimatland Kenia von der Regierung berufen wurde.

Zu den Erfolgen des Leichtathleten gehören dreimal Gold bei den Spielen in Sydney und Athen, einmal Bronze in Peking, unzählige Rekorde und Gewinne und Weltbestzeiten über 5000 sowie 10 000 Meter und die Marathonstrecke. Und jetzt kommt noch der Titel des ersten Behindertenbeauftragten der Kommunalversammlung des Landkreises Kiambu dazu. Wanyoike hat die lokale Regierung jetzt unter anderem dazu angeregt, eine Wohneinrichtung zu bauen, in der Menschen mit Behinderungen gefördert und betreut werden. Anregungen dafür holte sich Wanyoike gemeinsam mit einer Delegation aus Kenia auf einer Inklusions-Erkundungstour in Berlin, der 40-Jährige war kürzlich auf Dienstreise in der deutschen Hauptstadt. Mit ihm waren Fachleute unter anderem für Gender-Gleichstellung, für die Förderung der Jugend, der Arbeit, für Sozialleistungen und von Menschen mit Behinderungen aus Kenia auf Berlin-Exkursion.

Henry Wanyoike erblindete in jungen Jahren nach einem Schlaganfall. Erst blieb ihm kaum Lebensmut – das zeigt auch der Dokumentarfilm „Gold – Du kannst mehr als Du denkst“ mit Wanyoike als einem der Protagonisten. Doch bei Laufwettkämpfen lockten den Jungen aus einfachen Verhältnissen dann Essen und Softdrinks als Siegprämie. Später waren es die Reisen ins Ausland, die Anerkennung und auch der Gewinn durch Medaillenprämien und Sponsorenförderung. An den Erfolgen hat Joseph Kibunya einen erheblichen Anteil, sein sehender Guide, der Wanyoike an einem lockeren Armband über Stock und Stein in der Savanne und die Asphaltstrecken in den Marathon-Städten dieser Welt führt. „Joseph ist mein Augenlicht, er beschreibt mir alles, was er sieht“, sagt Läufer Henry Wanyoike.

Doch alles, was er bekommt, gibt der Paralympics-Star in seiner Heimat sogleich zu Teilen auch an andere Menschen weiter. Er gründete früh die „Henry Wanyoike Foundation“ für behinderte Menschen, für Arme, für Waisenkinder. Um die Armut in seiner Heimat zu bekämpfen, vergibt er beispielsweise Rinder an Familien in Kikuyu. So haben die Menschen Milch, können das Vieh züchten. „Zuletzt habe ich gerade an 150 Familien Hühner verteilt“, berichtet der wohltätige Leichtathlet einmal, „wir haben jeweils zwei Hühner und einen Hahn ausgegeben, damit später Küken kommen.“

Um die Kleinwirtschaft in seiner Heimat zu fördern, vergibt Wanyoike auch Kleinkredite. Ist der Gönner jemals ausgenutzt worden? Nein, sagt der vierfache Vater, Ehemann und Leistungssportler: „Wer Geld haben möchte, muss mir etwas Erspartes vorweisen können. Den Betrag verdreifache ich dann, und der Kredit muss mir mit einem Prozent Zinsen zurückgezahlt werden.“

Immer wieder nehmen Henry Wanyoike und Joseph Kibunja auch an Benefizevents teil. So kommt er am 25. Mai wieder nach Berlin, zum „Run of Spirit“ zugunsten von Menschen mit Behinderung beim Evangelischen Johannesstift.

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"Es gibt bei uns keine Alten mit Behinderung, die Menschen werden oft vernachlässigt und sterben"

Diesmal hat Wanyoike mit der Delegation aus Kiambu in Berlin integrative Bildungs- und Wohneinrichtungen sowie Sportanlagen besucht. „Es ist faszinierend, wie gut Berlin und Deutschland ihre Behinderten integrieren“, sagt Wanyoike. In seiner Heimat Kenia, wo er beim Training schon mal an Giraffen vorbeisprintet, verstecken allzu viele Familien noch ihre Angehörigen mit einer Behinderung zu Hause – weil viele Menschen annehmen, auf der Familie laste ein Fluch. „Es gibt bei uns auch keine Alten mit Behinderung, die Menschen werden oft vernachlässigt und sterben“, berichtet Reisekomitee-Mitglied Alice Wamuhu Mbugua. Alle Besucher aus der Berlin-Reisegruppe schauten sich auch das Olympiastadion an. Wanyoike findet es schade, dass es mit einer Bewerbung für Olympia und Paralympia in Berlin nichts wird. Er selbst trainiert jetzt für Rio 2016 – „für Brasilien mit seiner entwicklungsfähigen Infrastruktur werden die Spiele aber eine Herausforderung“, sagt der Athlet. Er kennt auch die Sportarenen und Strecken etwa in Singapur, Boston, Japan und Kairo.

Auf seiner Rückreise nach Nairobi hatte er schweres Gepäck bei sich. Am 6. Juni veranstaltet Wanyoike daheim nämlich den nächsten Benefizlauf „Run for Hope“, da kann jeder mitmachen. Der geht über 7,5 Kilometer, zuletzt waren 10 000 Menschen dabei, auch viele Kinder und Menschen mit Behinderungen. Die Berliner Druckerei „Printjob24“ hat ihm jetzt die Urkunden dafür gedruckt, 15 000 Stück, die fliegen zusammen mit den vielen Eindrücken aus der integrativen Sportstadt Berlin nach Kenia zurück.

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