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Fußball-Legende Günter Netzer in seiner aktiven Zeit: "Vereinstreue fiel uns früher viel leichter"

© dpa

Vor dem Champions-League-Finale: Günter Netzer: „Heute ist zu viel Geld im Fußball“

Rekordgehälter und gefährliche Oligarchen - längst hat das Geld den Fußball im Griff, sagt Günter Netzer. Im Interview spricht er über den Geist guten Fußballs - und über das Champions-League-Finale zwischen Bayern München und Borussia Dortmund.

Herr Netzer, welches Unternehmen hat den Finalsieg nötiger, Bayern oder Dortmund?

Die Differenz zwischen Titel und Niederlage liegt bei nur 3,5 Millionen Euro. Beide Vereine haben dafür gesorgt, dass der Sieg für sie nicht lebensnotwendig ist. Die Kampagne in der Champions League war für beide enorm erfolgreich. Es geht mehr um die Reputation. Wer siegt, geht in die Geschichte ein. Und er kann in der Vermarktung im nächsten Jahr höhere Sponsoring-Einnahmen erzielen.

Das Finale ist auch ein Spektakel der Sponsoren: Ford, Unicredit, Mastercard, Heineken. Muss ein Fußballfan der Wirtschaft dankbar sein?

Ohne die Unternehmen wäre ein solches Ereignis nicht möglich. Diese Entwicklung und Professionalisierung in den vergangenen Jahren hätte es ohne sie nicht geben können.

Fließt in den nächsten Jahren noch mehr Geld in den Fußball, oder ist irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht?

Grundsätzlich ist zu viel Geld im Fußball involviert. Nicht von den Sponsoren her, sondern was das Engagement von Personen betrifft, die sich Vereine als Hobby und Spielzeug halten. Da sind die moralischen Grenzen teilweise überschritten. Da werden Unsummen gezahlt und immer noch überboten. Ich weiß nicht, ob diese Verrücktheiten noch zu steigern sind. Man kann es nicht voraussagen, aber wir sind ziemlich oben an der Fahnenstange angelangt. Dieses Mäzenatentum ist sehr gefährlich. Es kann sein, dass diese Leute irgendwann die Lust am Fußball verlieren.

Ein großer Teil des Geldes fließt direkt in die Taschen der Spieler.

Ich freue mich für sie, dass sie heute so viel verdienen können. Das hätten wir früher auch genommen. Aber dadurch ist die Macht in die falschen Hände geraten. Sie liegt nicht mehr bei den Vereinen, sondern bei den Spielern. Das ist nicht gesund.

Die neuen Financial-Fairplay-Regeln der Uefa sollen ab 2015 dafür sorgen, dass kein Klub mehr ausgibt, als er einnimmt. Bringt das die Wende?

Die Regeln sind gut und vernünftig. Aber ich befürchte, dass einige Leute schon seit der Bekanntgabe Schlupflöcher suchen, und sie werden sie finden. Ich hoffe nicht, dass das im großen Stil gelingt. Es wäre schön, wenn die Uefa diese Exzesse einschränken kann. Ganz herunterschrauben kann man sie nicht, das zu glauben wäre blauäugig.

Gibt es zu viele Menschen, die im Fußball-Geschäft Geld verdienen?

Das Wesen der Spielerberater und -vermittler ist ausgeufert. Das ist ein sehr lukrativer Markt geworden, der der Bundesliga Millionen entzieht. Das ist mit großer Besorgnis zu sehen, weil die Berater teilweise in einem Verein mehrere Spieler unter Vertrag haben, das kann eine gewisse Macht bedeuten.

Während die Spieler nach noch höher dotierten Verträgen schielen, glauben viele Fans noch immer an die Legende von den elf Freunden, die sich für ihren Verein zerreißen. Ist das Volksverdummung?

Fußball wäre nicht möglich ohne das Fanwesen. Das haben die Vereine erkannt. Sie verlangen von den Spielern, auf die Fans zuzugehen und die Fankultur zu unterstützen. Sie lassen da nichts brachliegen. Aber diese Vereinstreue fiel uns früher viel leichter als den heute Aktiven.

Sie haben als Profi nur zweimal gewechselt, von Mönchengladbach zu Real Madrid, dann zu Grasshopper Zürich.

Wenn man in einem Verein war, wie ich in Mönchengladbach, gab es nicht viele deutsche Klubs, die mir mehr bezahlt hätten. Das Niveau war in etwa gleich, mit leichten Vorteilen bei Bayern. Heute kann man woanders Millionen mehr verdienen als beim Heimatverein. Diese Chance muss ein Fußballer nutzen in den zehn Jahren, die er für seine Karriere hat. Ich finde die Transfers nicht verwerflich.

Für den bislang teuersten Bundesliga-Spieler, Javier Martinez, haben die Bayern 40 Millionen Euro bezahlt. Wird es bald um dreistellige Millionensummen gehen?

Das kann ich mir in absehbarer Zeit nicht vorstellen. Ich habe aber auch früher 40 Millionen für unmöglich gehalten. Nun ist der FC Bayern eine Ausnahme, der kann sich das erlauben, ohne seine Existenz zu gefährden. In den meisten anderen Fällen, vor allem im Süden Europas, verschulden sich die Vereine, um sich teure Spieler zu leisten. Damit marschieren sie in eine ungewisse Zukunft. Wir müssen dankbar sein, dass die Deutsche Fußball-Liga darauf achtet, dass es wirtschaftlich vernünftig bleibt.

Viele halten Konzern-Manager für überbezahlt, aber die Millionengehälter der Fußballer stören kaum jemanden. Woher kommt diese Diskrepanz?

Das resultiert aus den südlichen Ländern der früheren Jahre. Die Menschen dort waren stolz, dass sich ihre Vereine teure Spieler geleistet haben, und sie haben diesen Luxus mit ihren Eintrittsgeldern gerne mitfinanziert. Heute liegt es am Zugehörigkeitsgefühl der Fans zum Verein. Sie verlangen Erfolge von den Spielern. Dann ist für sie die Welt in Ordnung, und sie übersehen die hohen Gehälter.

Wo können die Vereine noch neue Einnahmen generieren, welche Felder sind noch nicht beackert?

Das ist von Verein zu Verein verschieden. Aber nehmen Sie den FC Barcelona: Die sind bis unter die Decke voll vermarktet. Mit jedem Titelgewinn konnten sie nur noch die Preise anheben. Das Stadion ist immer ausverkauft, alles, was Geld bringt, haben sie gemacht. Trotzdem klafft ein dickes Minus in der Kasse.

Bayern und Dortmund dominieren die Liga, aber in Frankfurt, Stuttgart oder Hamburg ist auch eine große Wirtschaftskraft vorhanden. Warum schaffen es diese Vereine nicht, das Potenzial zu nutzen?

Diese Vereine müssen sich vorwerfen lassen, dass sie die großen Unternehmen in ihren Städten nicht für den Fußball begeistern können. Es müsste doch das Ziel der Verantwortlichen sein, ihre Vereine zu entwickeln, um den Unterschied zu Bayern und Dortmund nicht allzu groß werden zu lassen. Aber da beißt sich meist die Katze in den Schwanz – einem erfolgreichen Verein schließt man sich gerne an, einem schwachen nicht.

Der Erfolg des Fußballs beruht auch auf dem Trend zur Eventkultur in den vergangenen Jahren. Was ist, wenn diese Entwicklung einmal rückläufig sein sollte?

Das glaube ich nicht. Der Fußball hat eine immense gesellschaftliche Bedeutung gewonnen. Man muss dabei sein, sonst kann man nicht mitreden. Die Unternehmen haben erkannt, dass das eine gute Plattform ist, dass man am Rande eines attraktiven Spiels kultiviert geschäftliche Dinge besprechen kann. Das ist ein gefragtes Marktsegment und wird sich nicht zurückentwickeln.

Zurück zum Spiel: Wer ist Ihr Favorit?

Der Ausfall von Mario Götze war auch für mich ein kleiner Schock. Das tut den Dortmundern sehr weh und ist eine enorme Schwächung. Der kluge Jürgen Klopp wird sich darauf einstellen. Die Bayern waren für mich schon vorher leichter Favorit, jetzt ist diese Rolle noch deutlicher geworden. Die Bayern sind so selbstsicher, so unbeirrt, so souverän durch die gesamte Saison marschiert. Es gibt keine Anzeichen, dass es ausgerechnet jetzt zusammenbricht. Es kann passieren, ich glaube es aber eher nicht.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup.

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