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Das deutsche Spiel steht und fällt mit Toni Kroos.

© Odd Andersen/AFP

Fußball-WM 2018: Bei der Nationalelf hängt alles an Toni Kroos

Bisher war Toni Kroos eher verschlossen, inzwischen sucht er bewusst die Öffentlichkeit. Warum das ein Zeichen seiner Klasse ist.

Vor gut zehn Tagen, das WM-Turnier hatte noch nicht begonnen, saß Toni Kroos im deutschen Camp in Watutinki auf der Bühne. Bemerkenswert daran war, dass er quasi um diesen Auftritt im Rahmen der Pressekonferenz gebeten hatte. Sonst gilt Kroos auch im Kreis der Nationalmannschaft als leicht einzelgängerisch und nicht sonderlich mitteilsam. Interviewwünschen begegnete er in der Vergangenheit eher mit einem „Ach, lass mal“, als dass er sich freiwillig dazu meldete. Was ihn genau dazu antrieb, darüber kann man nur spekulieren. Aber vielleicht ahnte er damals schon, was bei dieser WM überdeutlich geworden ist: Kroos ist der wichtigste deutsche Spieler. Spielt Kroos gut, spielt Deutschland gut. Leider gilt das auch umgekehrt.

Wie so vieles, was bei dieser Weltmeisterschaft zu Tage getreten ist, war auch das in dieser Form nicht zu erwarten. Noch vor drei Monaten galt Deutschland als Team, das derart mit Weltklassespielern gesegnet ist, dass so was wie Startum keine Rolle mehr spielt. Inzwischen hat man jedoch das Gefühl, dass jeder Spieler irgendwie zu ersetzen ist, nur Kroos nicht. Man erkennt das auch daran, mit wie viel Verve darüber debattiert wird, wer ihm im Mittelfeld am besten assistiert. Wie Netzer einst seinen Wimmer hatte, braucht Kroos seinen Rudy, Gündogan oder Khedira, der sich wahrscheinlich am meisten wundert, auf einmal daran gemessen zu werden, wie gut er als Domestike des Stars funktioniert. Wo Khedira sich doch selbst als einer sieht.

Im modernen Fußball ist das Domestikenwesen im Prinzip abgeschafft, aufgelöst in einer arbeitsteilig verwobenen Spielidee. Doch bei der Weltmeisterschaft kehrt es wenig überraschend zurück. Es gibt eben Mannschaften, deren bester Spieler so viel besser ist als der Rest, wie man das im Ligafußball nicht erlebt. Man denke nur an den Ägypter Mo Salah, seinen Liverpooler Mannschaftskameraden Sadio Mané im senegalesischen Team und Gylfi Sigurdsson bei Island.

Star zu sein muss man auch können

Diese drei haben sich brav in den Dienst ihrer Mannschaft gestellt. Das argentinische Team hingegen ist ein gescheiterter Versuch, die Hilfsarbeitertruppe für Lionel Messi zu geben. Oder auch nicht, denn Trainer Jorge Sampaoli ließ die Mannschaft nicht in Messis Wunschformation spielen. Inzwischen bräuchten die beiden vielleicht auch deshalb einen Paartherapeuten. Dass der Trainer öffentlich darüber klagte, Messi habe eine WhatsApp-Nachricht zwar gelesen, aber nicht beantwortet, klang wie die am Nebentisch aufgeschnappte Klage über eine abgerockte Beziehung. Der beste Spieler der Welt war passenderweise ein Schatten seiner selbst. Oft sah es aber so aus, als würden die Domestiken ihm einfach mit besten Wünschen den Ball zuspielen: „So, jetzt mach mal ein Wunder!“

Vielleicht hätte Messi darauf so reagieren sollen wie Robert Lewandowski, der nach dem unverhofft frühen Ausscheiden der Polen zu dem schlichten Schluss kam, dass er zwar gut war, aber seine Mitspieler Mist. Auch Neymar wäre solchem Egoismus zweifellos aufgeschlossen, ist der Brasilianer doch der überspannteste Spieler dieser Weltmeisterschaft. Seine Wunderwelt als Fußball-Diva spielt sich zwischen seltsamen Extremen ab, zwischen Tränenausbrüchen auf dem Platz und dem Haarstyling durch seinen Friseur, den er eigens aus Brasilien einfliegen lässt. Außerdem kultiviert er auf dem Platz eine Fallsucht, die sogar in der Heimat die Comedy-Produktion florieren lässt.

Star zu sein, muss man eben nicht nur wollen, sondern auch können. Selbst Cristiano Ronaldo beginnt unter dem selbstauferlegten Druck zu ächzen, seinem Größenselbst fortwährend entsprechen zu wollen. In den ersten beiden Spielen der Portugiesen schoss er zwar vier Tore, im dritten hätte er aber bei etwas bösem Willen vom Platz gestellt werden können, zudem vergab er einen Elfmeter. Portugal verpasste so den Gruppensieg und hat nun den deutlich schwereren Weg durchs Turnier erwischt.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Sein Real-Mannschaftskamerad Toni Kroos ist der Superstar-Neurosen weitgehend unverdächtig. Aber vielleicht gehört es einfach zu seiner Klasse, dass er erkannt hat: Diesmal hängt es von mir ab.

Christoph Biermann

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