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Die alte Freude am Spiel. Joachim Löw wirkt plötzlich nicht mehr leer und verbraucht, er scheint noch einmal den Spaß an seinem Job wiedergefunden zu haben – und auch an einem Fußballer wie Amin Younes, der erstmals seit mehreren Jahren wieder für die Nationalmannschaft nominiert worden ist.

© Schüler/Imago

Fußball-Nationalmannschaft: Joachim Löw verbreitet plötzlich wieder frischen Mut

Erstmals seit seiner Rücktrittsankündigung hat Joachim Löw das Nationalteam um sich versammelt. Und der Bundestrainer wagt sogar noch einmal etwas Neues.

Joachim Löw hat sich mit der fernen Vergangenheit nicht mehr lange aufgehalten. Dabei gäbe es aus seinen bald 15 Jahren als Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gewiss einiges zu erzählen, Gutes, aber auch noch viel Besseres. Doch bei der Neujahrsansprache an seine Spieler hat sich Löw auf „einen ganz kurzen und kleinen Rückblick über die vielen Jahre“ beschränkt.

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Am Montag hat sich die Nationalmannschaft in Düsseldorf versammelt, an diesem Donnerstag (20.45 Uhr, live bei RTL) trifft sie im nahen Duisburg auf Island. Aber für Löw ist dieses Spiel mehr als nur der Start in die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Für ihn ist es das erste Mal, dass er sein Team wieder um sich hat, seitdem er vor etwas mehr als zwei Wochen seinen Abschied vom Amt des Bundestrainers angekündigt hat. Es ist auch das erste Mal, dass die Mannschaft nach dem 0:6-Debakel gegen Spanien wieder zusammengekommen ist. Und zugleich ist es die letzte Zusammenkunft, bevor Löw seinen Kader für die Europameisterschaft in diesem Sommer bestimmen muss.

So vermischen und überlagern sich in diesen Tagen die Zeitzonen: die ferne und die nahe Vergangenheit, die Gegenwart jetzt und die Gegenwart in diesem Sommer, aber auch die Zukunft, die demnächst tatsächlich ohne Joachim Löw stattfinden wird. Doch bevor er geht, scheint er dem deutschen Fußball mit der erstmaligen Nominierung der blutjungen Mittelfeldspieler Florian Wirtz, 17, und Jamal Musiala, 18, noch ein Vermächtnis hinterlassen zu haben. „Ich glaube“, hat Löw gesagt, „dass der deutsche Fußball an diesen Spielern in den nächsten Jahren noch viel Freude haben wird.“

Undenkbar ist es jedenfalls nicht, dass der dann 39 Jahre alte Wirtz im Sommer 2042 nach der politisch umstrittenen WM in China als Rekordnationalspieler mit 168 Länderspielen seine internationale Karriere beenden wird. Mit großer Verwunderung werden sich alle noch einmal ins Gedächtnis rufen, dass Wirtz ja damals tatsächlich noch unter Jogi Löw, 82, sein Debüt gegeben hat.

Die dunklen Erinnerungen sind fürs Erste vertrieben

Doch schon mit seiner Abschiedsankündigung hat es der Bundestrainer geschafft, den Fokus wieder mehr nach vorne zu richten und nicht zu sehr nach hinten. Unter anderen Umständen wäre es in diesen Tagen vermutlich noch einmal ausdauernd um das letzte Länderspiel des vergangenen Jahres gegangen, um das entlarvende 0:6 in Sevilla, aus dem Nationalspieler Emre Can vor allem einen Schluss gezogen hat: „So dürfen wir uns nie wieder zeigen.“

Die dunklen Erinnerungen sind fürs Erste vertrieben. Kurz vor dem Ende der Ära Löw erlebt die Nationalmannschaft fast so etwas wie einen Neubeginn, mit einem Bundestrainer, der plötzlich nicht mehr leer und verbraucht wirkt, sondern frischen Mut verbreitet. Oliver Bierhoff hat Löw als Manager der Nationalmannschaft vom ersten Tag beim Deutschen Fußball-Bund begleitet. „Eine gewisse Lockerheit“ hat er zuletzt wieder beim Bundestrainer wahrgenommen: „Ich habe ihn in den letzten Tagen und Wochen sehr enthusiastisch gesehen, mit großer Vorfreude, aber auch nicht überschwänglich entspannt.“

Diese Beobachtungen decken sich mit den Wahrnehmungen der Nationalspieler. „Er ist auf jeden Fall sehr, sehr motiviert“, sagt der Dortmunder Emre Can. Löw als Lame Duck, als lahme Ente, die zum Ende seiner Amtszeit nicht mehr die Kraft für entschlossene Entscheidungen aufbringt? „Da kann ich sofort widersprechen. Er will unbedingt. Das hat man in seiner Ansprache gemerkt“, sagt Kapitän Manuel Neuer. „Auch für ihn ist es sehr wichtig, wie er als Bundestrainer aufhört. Das ist ein gutes Zeichen für die nächsten Tage und auch für den Sommer.“

In all den Jahren als Bundestrainer war Löw immer dann gut und erfolgreich, wenn er klar war: klar mit sich, klar mit seinen Spielern, klar in seinen Entscheidungen. Diesen Eindruck vermittelt er auch jetzt wieder. Der Bundestrainer muss keine Rücksicht mehr nehmen, weder auf andere, noch auf sich und seinen Ruf.

„Ich denke noch mal über alles nach“, sagt er. Darüber zum Beispiel, ob Thomas Müller und Mats Hummels der Mannschaft bei der EM nicht vielleicht doch helfen können. Oder darüber, Joshua Kimmich wieder aus dem zentralen Mittelfeld als Rechtsverteidiger in die Abwehr zurückzuziehen, weil ihm für diese Position eine vollauf befriedigende Lösung fehlt. In der Vergangenheit hat Löw diese Variante genauso vehement ausgeschlossen wie die Rückkehr von Hummels und Müller.

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Der Bundestrainer als Umfaller? Das interessiert Löw nicht mehr. Es geht allein um den Erfolg bei der EM und einen krönenden Abschluss seiner Amtszeit. „Wir wollen ihm ein großes Geschenk machen“, sagt Manuel Neuer. „Er hat es verdient, mit einem Höhepunkt aufzuhören.“

Löw wirkt jetzt wieder ein bisschen grundsätzlicher, nachdem ihn die Entwicklung und die Erfolge der Nationalmannschaft zwischenzeitlich zu der Ansicht verleitet hatten, seine Spieler brauchten keine ordnende Hand von außen mehr. Das klingt bei ihm jetzt wieder anders, ein bisschen wie zu Beginn seiner Amtszeit, als er sich explizit als Fußballlehrer verstanden hat. „Wir müssen wieder an den Basics arbeiten, konsequent und rigoros dranbleiben“, sagt Löw mit Blick auf die EM. „In der Vorbereitung gnadenlos … gnadenlos … die Basics.“

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