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Sensationsmeister. Piast Gleiwitz narrte in Polen die gesamte Konkurrenz.

© Imago/Newspix

Ein schlesisches Märchen: Wie Abstiegskandidat Gleiwitz völlig überraschend Meister in Polen wurde

Das Meistermärchen von Abstiegskandidat Gleiwitz in Polen weckt Erinnerungen an den Titelgewinn von Leicester City.

Thomas Hateley wählte einen großen Vergleich. „Wir haben Leicester City nachgemacht“, sagte der englische Mittelfeldspieler. Leicester City gewann 2016 sensationell die englische Fußball-Meisterschaft. Und Hateley sieht sich nun völlig zu recht als Teil einer ähnlichen Sensation – in Polen.

Denn in der polnischen Ekstraklasa hat ein kleiner Klub triumphiert, der als Abstiegskandidat in die Saison gegangen war: Piast Gleiwitz. Der Verein aus der 185 000-Einwohner-Stadt in Schlesien setzte sich im Duell um die Meisterschaft völlig überraschend gegen Polens lange dominierenden Klub Legia Warschau durch – auf dramatische Art und Weise.

Denn Ende März, zehn Spieltage vor Saisonende verlor Gleiwitz gegen den damaligen Tabellenführer Lechia Danzig mit 0:1 und verspielte damit eigentlich die letzte Chance auf den Titel. Zehn Punkte Rückstand hatte Hateleys Team, das mit seinen Möglichkeiten nun mit Platz drei das Maximum herausgeholt zu haben schien. Doch Gleiwitz gab nicht auf.

Noch vier Spieltage vor Schluss wirkte der Kampf um die Meisterschaft für sie wie ein hoffnungsloses Unterfangen. Legia Warschau war gerade durch einen Sieg gegen Danzig auf Rang eins gezogen und ging mit vier Punkten Vorsprung auf Gleiwitz in das direkte Heimduell. Es schien, als nähme alles seinen gewohnten Lauf in Polen. Aber Gleiwitz gewann. „Nachdem wir Legia in Warschau geschlagen haben, hat jeder begonnen daran zu glauben, dass wir es schaffen können“, sagt Hateley.

Und Warschau brachte die Niederlage völlig aus der Spur. Von den verbleibenden drei Spielen gewann der Titelverteidiger keines mehr, während Gleiwitz mit zwei Siegen und einem Unentschieden die Sensation gelang: Seit vergangenen Sonntag ist Piast nun Polnischer Meister.

Parzyszek und Hateley statt Vardy und Mahrez

Doch wie bei Leicester City stellt sich die Frage: Wie ist das überhaupt möglich?

Anders als Englands Überraschungsteam von 2016 hat Piast Gleiwitz keinen überragenden Torjäger wie Jamie Vardy oder Spielgestalter wie Riyad Mahrez. Der beste Torschütze hört auf den Namen Piotr Parzyszek und hat neun Treffer in 37 Spielen erzielt. Die große Stärke der Gleiwitzer war, dass sie nur schwer auszurechnen waren. Die Mannschaft wurde von der Geschlossenheit getragen.

Titelgarant. Tom Hateley (l.) ist der Mittelfeldstratege beim Überraschungsmeister Piast Gleiwitz.
Titelgarant. Tom Hateley (l.) ist der Mittelfeldstratege beim Überraschungsmeister Piast Gleiwitz.

© Björn Larsson/dpa

Wenn doch einer hervorzuheben wäre, dann Hateley. Der 29-Jährige ist der zweikampfstarke Organisator vor der besten Defensive der Liga. Lediglich 33 Treffer kassierte das Team und damit im Durchschnitt pro Spiel weniger als ein Gegentor. Hateley zog es 2014 nach Polen, zwei Jahre spielte er für Breslau. Ein estnischer Teamkollege in Großbritannien hatte ihm die polnische Liga empfohlen. Von August 2017 bis Anfang 2018 war Hateley jedoch vereinslos, ehe er nach Gleiwitz kam. Dort hinterließ er sofort bleibenden Eindruck. Denn er hatte großen Anteil daran, dass Piast überhaupt in der ersten Liga verbleiben konnte.

Im Mai 2018 entkam Gleiwitz dem Abstieg in die Zweitklassigkeit erst am letzten Spieltag durch einen 4:0-Sieg gegen den direkten Konkurrenten. Auch deshalb wurde der Mannschaft, die aus unbekannten Spielern wie Hateley oder Parzyszek besteht, vor der Saison nicht viel zugetraut. Doch der erfahrene Trainer Waldemar Fornalik, ehemaliger Nationalcoach Polens, schaffte das schlesische Märchen – auch weil die größeren Mannschaften patzten. Nach der Vorrunde lag Gleiwitz noch auf Rang drei – in Polen wird die 16 Teams umfassende Liga in eine Meister- und Abstiegsrunde geteilt. Und in der Meisterrunde war Piast dann extrem effizient, gewann zwölf von 16 Partien.

Anders als mit Effizienz ist der Erfolg mit Blick auf die Zahlen auch kaum möglich. Gleiwitz rangiert mit einem Etat von 6,8 Millionen Euro im unteren Mittelfeld der polnischen Liga. Legia Warschau, der Polnische Abo-Meister der vergangenen Jahre, hat einen Etat von mehr als 37 Millionen Euro. Damit ist Legias Budget fast doppelt so hoch wie das des Teams mit dem zweithöchsten Etat, Lech Posen. Und eben gegen Posen holte Gleiwitz seinen ersten Meistertitel. Mit einem 1:0-Erfolg. Parzyszek traf mit seinem ersten und einzigen Torschuss. Effizienter geht es kaum.

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