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Chinas Nationalmannschaft (r., Chi Zhongguo) feierte bislang keine großen Erfolge. Hier eine Szene aus dem Länderspiel gegen Syrien Mitte Oktober.

© dpa

Dutzende Spieler abkommandiert: Beispiellose Wettbewerbsverzerrung in Chinas Profiliga

China will im Fußball hoch hinaus. Bis jetzt hat das nicht geklappt. Nun greift das Sportministerium zu einer Maßnahme, die Fans und Experten schockiert.

Das bevölkerungsreichste Land der Welt wird international nicht unbedingt als Fußballnation wahrgenommen. Zuletzt hat es ein enttäuschendes 0:0 gegen Indien auf den Rasen gebracht. Dennoch hört man in regelmäßigen Abständen etwas aus dem chinesischen Fußball. Mal weil die Profiklubs irrsinnige Ablösesummen oder astronomische Gehälter zahlen. Ein anderes Mal weil der Staatschef der Volksrepublik den Gewinn des WM-Titels zum Ziel erklärt. Jetzt schockiert das Sportministerium des Landes Fans und Experten gleichermaßen.

Anfang Oktober wurden 55 chinesische Spieler unter 25 Jahre aus dem laufenden Spielbetrieb der ersten und zweiten Profiliga abkommandiert und in ein knapp dreimonatiges Trainingslager kaserniert. Ziel soll es sein, den Unterbau der A-Nationalmannschaft weiterzuentwickeln. Neben Fußball steht Disziplin auf dem Lehrplan. In sozialen Medien kursiert ein Bild, wie die Spieler in militärischer Tarnkleidung und Einheitshaarschnitt gemeinsam das Länderspiel gegen Indien verfolgen.

"Todestag des chinesischen Fußballs"

Fans und Medien reagierten entsetzt und riefen den „Todestag des chinesischen Fußballs“ aus. Denn fünf Spieltage vor Schluss der Chinese Super League wird der Ausgang der nationalen Meisterschaft beispiellos verzerrt. „Es liegt ein langer Schatten über der Liga. Die Glaubwürdigkeit und Legitimität des Profifußballs im Land stehen auf dem Spiel“, sagt der Journalist Cameron Wilson, der seit neun Jahren über die CSL und Chinas Nationalmannschaft berichtet. Ob der Weltverband Fifa in der Zwangsrekrutierung einen Verstoß gegen seine Stauten erkennt, bleibt trotz Nachfrage bislang unkommentiert. Beobachter glauben, die Fifa scheue es, China zu sanktionieren, weil sie sich den Zugang zum riesigen Konsumentenmarkt mit Hunderten Millionen Fans nicht verschließen will. Doch Fans kündigten schon an, auf Stadionbesuche fortan zu verzichten.

Allein aus der ersten Liga wurden 48 Spieler abgezogen. Betroffen sind alle 16 Vereine, darunter auch das von Ex-Bundesligatrainer Roger Schmidt betreute Beijing Guoan. Das Tream bestreitet das Pokalfinale und darf sogar noch vom Meistertitel träumen. Der Konkurrenz geht es nicht besser. Der zweite Pokalfinalist Shandong Luneng, der mal von Felix Magath trainiert wurde, muss fünf Kaderstellen neu besetzen.

Die staatliche Propaganda-Agentur Xinhua meldete vor wenigen Tagen, dass die Vereine die Einberufung der Profis unterstützten. Das ist jedoch nur schwer vorstellbar, denn die Vereine zahlen die Gehälter der Spieler natürlich weiter. Dennoch gibt es öffentlich kaum Widerstand, weil es sich kein Klub mit der Politik verscherzen will. Pekings Vereinschef Zhou Jinhui machte als einziger seinem Ärger Luft, als er sagte: „Die riesengroße Mehrheit der Leute versteht, dass die Probleme auf der administrativen Ebene kreiert werden.“

Experiment in Deutschland schnell beendet

Das Ministerium ist offenbar von dem Wunsch getrieben, die Qualität des chinesischen Fußballs kurzfristig zu erhöhen, um der Sehnsucht von Staatspräsident Xi Jinping nach einem Gewinn der Weltmeisterschaft Nahrung zu geben. Die 55 Spieler sollen vermutlich in zwei Kader aufgeteilt und dann unter bislang unbekannten Bedingungen gegen die Profiklubs der ersten und zweiten Liga spielen. Für Dezember, drei Wochen nach dem Saisonende, ist offenbar zunächst eine mehrwöchige U-23-Liga geplant. Alle Profiklubs seien eingeladen, daran teilzunehmen, hieß es. Auch werde im Ministerium darüber nachgedacht, eine chinesische Auswahl in eine osteuropäische Profiliga zu integrieren. Doch ein vergleichbares Konstrukt im Ausland ging schon einmal schief. Chinas U20 sollte im vergangenen Jahr außer Konkurrenz gegen alle Vereine der deutschen Regionalliga Südwest spielen. Schon beim ersten Test schwenkten Besucher Tibet-Flaggen, und das Experiment wurde eingestampft.

Ob Testspiele gegen CSL-Klubs überhaupt zielführend sind, ist zudem zweifelhaft. „Die Klubs würden in solchen Spielen sicher nicht ihre besten Leute aufbieten, sondern selbst vielen Bankspielern Einsatzzeit verschaffen“, sagt der Frankfurter Lars Isecke, ehemaliger U-19-Nationaltrainer der Chinesen und inzwischen Trainerausbilder in der Volksrepublik. „Spieler lernen am meisten in der Kombination von gutem Training und regelmäßigen Spielbetrieb unter Wettkampfbedingungen. Wenn man eher außerhalb des normalen Wettbewerbs spielt, sind Intensität, Zweikämpfe und der Erfolgsdruck nicht vergleichbar.“

Doch beim Sportministerium ist man offenbar anderer Ansicht. Statt auf Geduld zu setzen, wenden die Funktionäre gerne brachiale Mittel an. Wenige Wochen vor Beginn der vergangenen Saison reduzierte der Verband in enger Abstimmung mit der Politik die Zahl der Ausländer pro Klub – ohne dabei zu berücksichtigen, ob Vereine ihre Kaderplanung bereits abgeschlossen hatten. Auf die Resultate der Nationalmannschaft hat diese Maßnahme allerdings noch keinen positiven Effekt gehabt. Also hat man sich nun die nächste harte Methode gesucht.

Marcel Grzanna

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