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Sha’Carri Richardson verblüffte ihre Konkurrentinnen über 100 Meter.

© REUTERS/Dylan Martinez

Drogen, Drama und unendlich viel Talent: Die Verwandlung der Sha’Carri Richardson

Sha’Carri Richardson ist die talentierteste Sprinterin der Welt. Tragödien überdeckten dies zuletzt. In Budapest siegte sie auf der unvorteilhaftesten Bahn.

Man kann Sha’Carri Richardson nur wünschen, dass sie es heute fühlt. Die Freude darüber, dass sie die schnellste Frau der Welt ist. Es fühle sich alles surreal an, sagte die US-Amerikanerin am Montag nach ihrem fulminanten Sieg über 100 Meter bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Budapest. „Aber hoffentlich wache ich morgen auf und spüre es.“

In 10,65 Sekunden stürmte Richardson ins Ziel. Das Rennen war ein großes Spektakel. Richardson lag nach dem Start und bis zur Mitte der Strecke hinter den Jamaikanerinnen Shericka Jackson und Shelly-Ann Fraser-Price zurück. Die beiden schienen das Rennen unter sich auszumachen. Auch von den Zuschauern im stimmungsvollen „Nemzeti Atletikai Központ“-Stadion hatte Richardson kaum noch jemand auf der Rechnung.

Zumal sie auf der Außenbahn neun starten musste. Diese ist unter Sprinterinnen und Sprintern eigentlich verhasst, da man von dort während des Rennens kein Gespür für die Rennsituation bekommt.

Richardson war das offenbar völlig egal. „Ich war schon immer in meiner eigenen Welt, meinem eigenen Element“, sagte sie. „Deshalb war Bahn neun perfekt für mich.“ Und so behielt sie in bester Carl-Lewis-Manier das Beste für die letzten Meter auf. In einem fulminanten Schlussspurt raste sie an den Jamaikanerinnen noch vorbei, die mit offenen Mündern im Ziel auf die rechts von ihnen jubelnde Richardson blickten. „Ich habe schon zuletzt immer wieder gesagt, dass ich nicht nur zurück bin, sondern dass ich besser bin“, sagte die 23-Jährige.

10,65
Sekunden lief Richardson, so schnell war noch keine Frau bei einer WM über die 100 Meter.

Richardson ist wieder da, nachdem sie 2021 privat wie sportlich ihre bislang schlimmsten Erfahrungen machen musste. Im Juli hatte sie noch souverän bei den Ausscheidungswettkämpfen gewonnen und sich für die Olympischen Spiele in Tokio qualifiziert. Doch kurz darauf wurde sie gesperrt, weil sie positiv auf Marihuana getestet worden war. Richardson erklärte, dass sie wenige Tage vor dem Rennen erfahren habe, dass ihre leibliche Mutter gestorben war. Das habe ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Um damit umgehen zu können, habe sie Marihuana geraucht. 

Als Privatperson hatte Sha’Carri Richardson nichts Illegales getan. Im US-Bundesstaat Oregon, wo sie getestet worden war, ist der Konsum von Marihuana erlaubt. Als Sportlerin aber verstieß sie gegen die Regeln. Vielleicht hätte man ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl von den Sportverbänden in diesem besonderen Fall erwarten dürfen. So aber verpasste die wohl talentierteste Sprinterin im Feld das Großereignis in Japan.

Plötzlich kam die Verwandlung

Offensichtlich nahm die 1,55 Meter große Sprinterin das als Motivation für kommende Großtaten. Die laufende Saison begann sie mit windunterstützten 10,57 Sekunden. Anschließend besiegte sie bei den Diamond-League-Meetings in Doha und in Polen gleich zwei Mal ihre große Rivalin Shericka Jackson.

Ihr großer Auftritt folgte dann im Juli bei den US-Meisterschaften, wieder in Eugene. Richardson war wie damals mit unendlich langen Fingernägeln und ihrer mächtigen orangefarbenen Perücke am Start. Als der Stadionsprecher ihren Namen aufrief, kam plötzlich die Verwandlung.

Richardson legte ihr künstliches Haar ab, die Menge tobte. Das Rennen gewann sie in 10,82 Sekunden. „Letztes Mal war ich hier und hatte mein oranges Haar. Jetzt wollte ich euch zeigen, dass ich immer noch das Mädchen bin, aber ich bin besser und weiser“, sagte sie.

Die Bühne kann für Sha’Carri Richardson nicht groß genug sein, ihre Show verlangt danach. Am Montag hat sie endgültig bewiesen, dass ihr Programm auch sportlich sehr viel Substanz bereithält.

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