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Zwei von drei. Tyson Gay (l.) und Asafa Powell (r.) sollen gedopt haben, bei Usain Bolt (Mitte) gibt es weiterhin nur Vermutungen.

© dpa

Kommentar zum Doping im Sport: Die Zeiten des unreflektierten Jubelns sind vorbei

Es liegt in der Natur der Sache, dass der Mensch seine Grenzen auf jede erdenkliche Weise zu verschieben versucht. Gerade im Sport. Unser Autor Christian Hönicke glaubt, dass im Umgang mit dem Thema Doping allerdings noch viel im Argen liegt.

Von Christian Hönicke

Es gibt im Wesentlichen drei Möglichkeiten, die Tour de France oder ein 100-Meter-Rennen zu sehen. Als euphorisierter Fan, der alle bösen Dopinggeschichten als Einzelfall abtut. Als aufgeklärter Sportinteressierter, der trotz zunehmender Resignation hofft, dass ein paar saubere Athleten dabei sind. Oder gar nicht, weil der Doping-Generalverdacht alle Illusionen zerstört hat.

Jacques Rogge gehört zur ersten Gruppe. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hat auf die pikanten Enthüllungen um die Sprinter Gay, Powell & Co. mit Enttäuschung reagiert, glaubt jedoch auch, dass „die Magie der Wettkämpfe“ die Menschen schon bald wieder gefangen nehmen wird. Rogge folgt damit der bekannten Sportpolitikerlogik, die auch der Radsport-Weltverband UCI perfekt verinnerlicht hat.

Dass Tour und Leichtathletik seit Jahrzehnten große Dopingprobleme haben, dass die Siegerlisten angesichts immer neuer Enthüllungen immer weiter ausgedünnt werden, das wollen die Macher im Hintergrund ausblenden, bis es gar nicht mehr anders geht. UCI-Präsident Pat McQuaid hielt bis zum Schluss an seinem Liebling Lance Armstrong fest; Ähnliches ist nun auch bei Usain Bolt zu erwarten. Gerade weil der außerirdischste aller Sprinter inzwischen völlig isoliert glänzt, werden das IOC und der Leichtathletik-Weltverband ihre Cashkuh mit allen Mitteln gegen Dopinggerüchte schützen wollen.

Doch das ist der falsche Ansatz. Die Zeiten des unreflektierten Jubelns gehen zu Ende, die Fraktion der Aufgeklärten unter den Zuschauern und Sportjournalisten wächst stetig. Inzwischen weiß man einfach genug, von Armstrong, Ullrich, DDR, China, Balco oder Baseball, um die Unschuldsvermutung noch aufrechtzuerhalten. Das Kreuzverhör gegen den neuen Tourüberflieger Froome markiert eine kleine Zeitenwende im Anti-Doping-Kampf: Die Beweislast kehrt sich um. Das bringt auch die Hintermänner in Erklärungsnot, die sich bislang einfach empört von aufgeflogenen Dopern abwandten und danach so weitermachten wie zuvor.

Sauber kriegen wird man den Sport nie, schon gar nicht die 100 Meter oder die Tour. Es liegt im Wesen des Menschen, dass er seine Grenzen auf jede erdenkliche Weise zu verschieben versucht. Aber die Verbände können nicht einfach ignorieren, dass ihr Produkt die Unschuld verloren hat. Sie müssen wenigstens einen offenen und halbwegs realistischen Umgang mit der wohl größten Nebenwirkung des Sports erlernen. Ansonsten werden sie bald nur noch ein Nischenprogramm für einige Unentwegte machen.

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