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Auf der Piste: Die Deutschen Bahnmeisterschaften fanden zuletzt im Berliner Velodrom statt.

© Monika Skolimowska/dpa

Radkolumne „Abgefahren“: Die Vergänglichkeit Berliner Radrennbahnen

Bei Bahnrad-Wettbewerben kann es zwischen den Rennen mitunter etwas gemächlicher zugehen. Unser Kolumnist nutzt die Pausen und begibt sich auf eine Zeitreise.

In der vergangenen Woche fanden im Berliner Velodrom die Deutschen Bahnmeisterschaften statt. Da einer meiner Fahrer dort mitfuhr, beschloss ich, wieder einmal radsportliche Hallenluft zu schnuppern. Das mit dem Schnuppern erwies sich als nicht ganz einfach. Die Halle war trotz der warmen Außentemperaturen offenbar beheizt. Auch als Zuschauer kam man, ohne sich groß zu bewegen, gut ins Schwitzen.

Aber egal, denn anders als beim Sechstagerennen mit seinem Showprogramm haben solche Meisterschaften eher etwas Meditatives. Dies gilt besonders für Zuschauer, die nur mit einem einzigen Sportler mitfiebern. Wegen der vielen Altersklassen, Disziplinen und Wettbewerbe hatte ich auf der Tribüne meist eins: sehr viel Zeit.

Hauptsache keine Langeweile

Die Veranstalter waren zwar bemüht, durch einen straffen Ablaufplan keine Langeweile auf der Bahn aufkommen zu lassen. Doch gibt es Rennen und Ereignisse, die einen nicht so interessieren oder den geregelten Ablauf unterbrechen. Mal muss das Rad in einer Startmaschine beim Zeitfahren neu justiert werden und der Fahrer darf noch einmal starten. Oder nach einem Sturz wird die Sturzstelle von den Haus-Handwerkern überprüft. Denn wenn die Holzlatten der Bahn dann beschädigt sind, ist eine Reparatur nötig.

Dann rücken die Handwerker mit der Schleifmaschine an. Oder es gibt einfach nur laut Reglement längere Erholungsphasen. Ich nutzte diese Pausen und machte kurze Zeitreisen zu den mir bekannten Berliner Radrennbahnen. Die erste ging zurück ins Jahr 1989. Dort, wo jetzt das Velodrom steht, befand sich bis 1992 die Werner-Seelenbinder-Halle.

Als junger Westberliner Sportjournalist durfte ich damals vom Sieg der westdeutschen Paarung Messerschmidt/Donike beim legendären ostdeutschen Winterbahn-Klassiker „1001 Runde“ berichten. Neben der kurzen steilen Bahn blieb mir besonders die gute Stimmung in der Werner-Seelenbinder-Halle in Erinnerung. Auch die Freiluftbahn in Weißensee habe ich Anfang der neunziger Jahre noch mal in Augenschein nehmen dürfen, bevor sie dann ebenfalls abgerissen wurde.

Die Erinnerung bleibt

Eine andere Zeitreise führte mich ins Jahr 1980. Am Sachsendamm bekam die Radrennbahn Schöneberg einen neuen Belag. Die alte Betonoberfläche, auf der ich kurz zuvor meine ersten Runden gedreht hatte, wurde entfernt. Dafür gab es ein neues und schnelles Lattenoval aus Afzelia-Holz. Auf das Dach wurde aus Kostengründen verzichtet. Die afrikanische Holzart galt als besonders wetterbeständig. Ein Originalholzstück mit Messingplakette von der Neu-Eröffnung steht noch auf meinem Schreibtisch. Das gute Stück sieht aus wie früher. Leider hatte man den Unterbau wohl mit anderem Holz bestückt. Die Bahn verwitterte langsam von innen und wurde irgendwann gesperrt.

Weil die Tribünen auch einsturzgefährdet waren und das Gelände verkauft wurde, kam 2005 die Abrissbirne. Heute steht anstelle der Bahn ein großes Möbelhaus, nur der Sprecherturm wurde erhalten. Deutlich steiler und kürzer war die Bahn in der Deutschlandhalle, wo ich 1978 mein erstes Sechstagerennen erlebte, verdammt lang her. Die Halle und die Bahn gibt es auch schon lange nicht mehr.

Die Stimme des Hallensprechers im Velodrom an der Landsberger Allee holte mich jäh aus den melancholischen Gedanken zur Vergänglichkeit der Radrennbahnen zurück: „Nun kommen wir zum Punktefahren der Männer.“ Ende der Zeitreisen, mein Fahrer war auf der Piste, höchste Konzentration.

Michael Wiedersich

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