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Ratlos in Wembley (I). Roberto Mancini verlor unter der Woche in London 0:3 mit Italiens Nationalmannschaft gegen Argentinien.

© IMAGO/Gribaudi/ImagePhoto

Nationalmannschaft trifft auf den Europameister: Die Krise ist jetzt ein Italiener

Seit der EM vor einem Jahr haben das deutsche und das italienische Team gegenläufige Entwicklungen erlebt. Jetzt treffen sie in der Nations League aufeinander.

Hansi Flick kam mit einiger Verspätung zur Arbeit. Das Aufwärmprogramm der deutschen Fußball-Nationalmannschaft näherte sich bereits seinem Ende, und trotzdem wäre es natürlich trügerisch, daraus auf mangelnden Eifer des Bundestrainers zu schließen. Kaum hatte Flick seine Mitarbeiter begrüßt und seinen Blick einmal über das Feld schweifen lassen, da hallte auch schon seine Stimme über den Platz.

„Jamal!“, rief Flick dem jungen Münchner Jamal Musiala zu. „Was soll das denn für ein Kopfball sein?“ Dem Bundestrainer entgeht nichts.

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„Hansi vermittelt Spaß am Fußball, Spaß am Siegen. Mit Lockerheit, Freude und Freiheit“, hat Nationalspieler Thomas Müller in einem Interview mit dem „Kicker“ gesagt. „Aber bei der Arbeit auf dem Platz verlangt er den vollen Fokus.“ Es ist diese Mischung aus Ernsthaftigkeit und Lockerheit, mit der Flick die deutsche Nationalmannschaft aus dem Tal der schlechten Laune wieder ins Licht geführt hat.

Wie stabil die gute Stimmung schon wieder ist, das wird sich womöglich erst in den nächsten elf Tagen erweisen, wenn Flick und seine Mannschaft – in dieser Reihenfolge – auf Italien, England, Ungarn und erneut Italien treffen.

An diesem Samstag (20.45 Uhr, live bei RTL) beginnt mit dem Auswärtsspiel in Bologna die neue Nations-League-Saison. Hätte man im vergangenen Sommer gesagt, dass in diesem Duell eine Mannschaft voller Selbstbewusstsein auf eine mit nagenden Selbstzweifeln trifft, dann wäre das keine Überraschung gewesen. Nur hätte man gedacht, dass es sich bei der selbstbewussten Mannschaft um Europameister Italien handeln würde.

Es ist genau umgekehrt.

Das Team gefällt mit seiner Mentalität

Seitdem Hansi Flick im Spätsommer 2021 Joachim Löw als Bundestrainer abgelöst hat, hat die deutsche Nationalmannschaft noch kein Spiel verloren. Nach acht Siegen zum Start hat sie erst Ende März beim 1:1 gegen die Niederlande in Amsterdam erstmals nicht gewonnen. Und auch wenn Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Katar – dank eher mäßiger Gegner – nur eine Formsache war: „Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie einfach zu 100 Prozent alles bringen will“, sagt Flick. „Diese Mentalität, diese Einstellung kommt an.“ Es ist vor allem der Bundestrainer, der für diese Haltung steht. „Wir haben mit Hansi ein neues Kapitel aufgeschlagen“, sagt Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft.

Das gilt auch für den Europameister, nur fällt das aktuelle Kapitel bei den Italienern eher düster aus. Am Mittwoch ist die Mannschaft von Trainer Roberto Mancini 324 Tage nach dem Finalsieg bei der EM an den Ort ihres Triumphs zurückgekehrt. Diesmal aber war das Wembley-Stadion keine Stätte der Freude und des Stolzes. In der sogenannten Finalissima, dem Supercup der Kontinentalmeister aus Europa und Südamerika, war die Squadra Azzurra Argentinien fast schon bemitleidenswert unterlegen.

Am Ende hieß es 3:0 für die Argentinier. „Es bleibt trotz allem ein schöner Moment in unserer Karriere“, sagte Mancini nach der Partie. Weil die Teilnahme an diesem Duell noch einmal an den Höhepunkt im vergangenen Jahr erinnert hat. Seitdem aber durchleben die Italiener schwere Zeiten. Weil sie in den Play-offs zur Weltmeisterschaft in Katar an Nordmazedonien scheiterten, nehmen sie zum zweiten Mal hintereinander nicht an einer WM-Endrunde teil.

Ratlos in Wembley (II). Vor gut einem Jahr endete in London die Zeit von Joachim Löw als Bundestrainer. Seitdem geht es mit der Nationalelf wieder bergauf.

© imago images/ULMER Pressebildagentur

„Wir unterschätzen den amtierenden Europameister trotzdem nicht“, sagt der deutsche Nationalspieler Serge Gnabry vor dem Duell in der Nations League. Bei der EM vor einem Jahr waren die Italiener noch das Maß aller Dinge, der Titelgewinn galt als Triumph von Technik, Taktik, Talent und Teamgeist.

Selbst Flick hat sich am Freitag vor der Abreise nach Bologna als Fan dieser italienischen Mannschaft zu erkennen gegeben. „Die Art, wie sie Fußball gespielt haben, war bemerkenswert“, sagt er. „Sie waren sehr mutig, haben sehr hoch agiert, den Gegner unter Druck gesetzt und hatten auch im Ballbesitz immer gute Lösungen.“

Doch das Hochgefühl des italienischen Sommers ist längst verflogen. „Nach der EM haben wir uns sehr schwer getan mit dem Toreschießen. Wir müssen dafür Lösungen finden, schneller sein“, sagt Nationaltrainer Mancini. „Aber es wird nicht einfach sein, eine Mannschaft aufzubauen, die uns kurzfristig zufriedenstellt.“ Das Reservoir an jungen Spielern, die nachrücken, ist überschaubar, die wenigsten spielen schon in der Serie A. Trotzdem erklärte Mancini nach der Niederlage gegen Argentinien: „Ich habe immer noch Enthusiasmus.“

Mit dem 37 Jahre alten Giorgio Chiellini hat am Mittwoch in London eine der prägenden Figuren dieser italienischen Fußballgeneration seine internationale Karriere nach 117 Länderspielen beendet. Der Cavaliere hat die Mannschaft zusammengehalten, gerade bei der EM vor einem Jahr.

Wie das neue Team aussehen wird, wer es anführen wird – all das, muss sich erst noch herausschälen. Roberto Mancini darf sich erneut an dieser Aufgabe versuchen – so wie er es auch schon nach der verpassten Weltmeisterschaft 2018 getan hat. „Er hat eine fantastische Arbeit geleistet“, sagt Hansi Flick. „Und er wird das Gleiche wieder versuchen.“ Vielleicht beginnt die Zukunft schon an diesem Samstag in Bologna.

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