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Im Gleichschritt zum Erfolg. Renate Hilgert und Max-Ulrich Busch gewannen in den Siebzigerjahren reihenweise Titel. Nun leiten sie eine Tanzschule. Foto: promo/Tanzschule Finck

© Georg Moritz

Sport: Die Kapellmeister

Der deutsche Tanzsport wird 100 Jahre alt. Renate Hilgert und Max-Ulrich Busch waren das Traumpaar der Siebzigerjahre. Sie erinnern sich an eine Karriere voller Brüche und Aufbrüche.

Berlin - Siebzig Mal findet man Renate Hilgert und Max-Ulrich Busch in der „Hall of Fame“ des Deutschen Tanzsportarchivs. In 100 Jahren Tanzsport in Deutschland hat wohl niemand so eifrig Welt-, Europa- und deutsche Meistertitel gesammelt. Zwischen 1976 und 1981 schienen sie den deutschen Meistertitel im Standardtanz abonniert zu haben. „Die anderen Paare wurden schon ungeduldig, weil wir die vorderen Plätze blockiert haben“, erinnert sich Hilgert lachend an die Zeit, als sie und Busch das Traumpaar der deutschen Tanzszene waren.

Was sich heute nach einem schillernden Leben anhört, war für die beiden West-Berliner Studenten mit Einschränkungen und anstrengenden Fahrten quer durch die beiden Republiken verbunden. Auch durch die Tanzszene zog sich der Eiserne Vorhang, ein Auftritt in Moskau etwa sei unmöglich gewesen. „Da gab es keinen Austausch, da gab‘s einfach nur die Mauer“, erzählt Renate Hilgert. Im VW-Käfer fuhren der Medizinstudent und die angehende Englisch- und Sportlehrerin zu Turnieren in Westdeutschland und oft in derselben Nacht wieder zurück, weil sie sich kein Hotel leisten konnten. Als der Erfolg kam, seien sie zwar auch nicht reich geworden, aber man habe ihnen Trainingsaufenthalte ermöglicht. Und als der Käfer auf dem Weg nach England in der ’Zone’ den Geist aufgab, sprang die Deutsche Sporthilfe ein und bezahlte ihnen ein Flugticket. „Das waren damals nicht 19 Euro, das kostete 1900 Mark“, sagt Renate Hilgert.

Trotzdem wagten die beiden den ungewöhnlichen Schritt nach England. Mit Unterstützung ihres Trainer Heinz Georg Finck, in dessen Tanzschule sie 1979 die ersten Schritte aufs Parkett legten, gingen sie bei englischen Trainern in die Lehre. Während der Semesterferien lebten sie mit anderen Tanzeleven aus ganz Europa in einem billigen Londoner Mietshaus. So perfektionierten sie nicht nur Tanzstil und Sprachkenntnisse, sondern arbeiteten sich über Turniererfahrung im „Mutterland des Tanzsports“ auch langsam an die Weltspitze. Busch und Hilgert waren der Überzeugung, dass man alle englischen Titel gewinnen müsse, um einen WM-Titel erreichen zu können – wegen der harten Punktrichter auf der Insel. Deshalb sei ihr Lieblingserfolg auch nicht der Weltmeistertitel im Standardtanz aus dem Jahr 1982, sondern der Sieg bei den Open British Championships im selben Jahr.

Im Jahr darauf spaltete das deutsche Paar das Prestigeturnier in zwei Lager. Nicht wegen ihrer Tanzperformance, sondern aufgrund eines modischen Stilbruchs: Waren die Tänzerinnen zuvor mit bauschigen, knielangen Tüllröcken aus 30 bis 40 Meter langen Stoffbahnen angetreten, tanzten Hilgert und andere Tänzerinnen 1983 mit langen Kleidern und starteten damit eine Grundsatzdiskussion. Konnte man erlauben, dass die Damen ihre Fußtechnik und Beinarbeit vor den Richtern verbargen? Man konnte.

Einen Vorteil verschaffte ihnen ihr Sportstudium. Als eines der ersten Paare trainierten Busch und Hilgert auch abseits vom Parkett und gingen vor den Turnieren joggen, für ihre Ausdauer. Das war ein Kuriosum in den Siebzigern, aber ein Vorteil bei Disziplinen wie dem Kombinationstanz, bei dem die Paare über alle zehn Standard- und Lateintänze durchhalten müssen.

„Do it yourself“ war die Devise – auch bei der Musik. Für ihre Kür zu „Lili Marleen“ schnitt Busch die Musik selbst auf einer Audiokassette zusammen. In den Siebzigern war es noch üblich, dass eine Livekapelle die Tänze begleitete. Komponisten schrieben neue Walzer, Slowfox-Lieder, Tangos und Quicksteps eigens für die Standardtanzturniere. Das vermisst Hilgert, die mittlerweile mit ihrem Tanzpartner die Tanzschule Finck weiterführt. „Es fehlt typische Tanzmusik“, findet die 60-Jährige. Außerdem würden immer mehr Tanzräume schließen, bedauert sie und erinnert sich an Bälle, bei denen in mehreren Sälen die Nacht durchgetanzt wurde.

Auch das Nachwuchsproblem macht ihr Sorgen. In den Siebzigerjahren habe es jedes Wochenende ein Turnier in Berlin gegeben. Das habe dramatisch abgenommen. Die Hemmschwellen ihrer 68er-Eltern hätten die meisten Jugendlichen aber überwunden, so Hilgert, die heute sowohl Turniertänzer als auch Neueinsteiger unterrichtet. „Tanzen gehört zur Bildung dazu“, findet sie, „und es ist auch einfach eine schöne Möglichkeit, sich zu treffen.“

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