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Einspielen für Wimbledon: Die Hundekehle ist ein neuer Sehnsuchtsort des Frauentennis

Das Rasenturnier in Berlin ist trotz einiger Absagen stark besetzt und kann dabei helfen, dem Frauentennis einen weiteren Schub zu verleihen.

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Der Höhepunkt des Tennisjahres steigt in gut zwei Wochen in Wimbledon. Was das Teilnehmerinnenfeld angeht, ist das Rasenturnier der Frauen auf der Anlage des LTTC Rot-Weiß an der Hundekehle jedoch mehr als eine Vorbereitungsveranstaltung. Auch wenn nach und nach die besten Drei der Weltrangliste, Iga Swiatek, Anett Kontaveit und Paula Badosa sowie die früheren Weltranglisten-Ersten Naomi Osaka und Wiktoria Asarenka ihre Teilnahme abgesagt haben, sind immer noch zahlreiche sehr starke Spielerinnen aus den Top 20 dabei.

„Diese Absagen sind natürlich schade, aber das Starterfeld ist dennoch sehr stark“, sagt die ehemalige Weltklassespielerin Barbara Schett, die das Turnier als Expertin für Servus TV Deutschland begleitet. Täglich von 11 bis 18 Uhr überträgt der Sender ab Montag die Spiele, zudem die Halbfinals und Finals am Wochenende. „Kurz vor Wimbledon ist Berlin eine gute Möglichkeit, sich an den Rasen zu gewöhnen. Nach dem letzten Jahr hat sich herumgesprochen, was für ein super Turnier das ist“, sagt Schett.

Die Österreicherin kennt die Anlage noch aus der Zeit, als hier auf Asche gespielt wurde – zum letzten Mal 2008. Dass die aktuelle Generation ebenfalls gerne nach Berlin reist, hat für Schett ganz unterschiedliche Gründe. Neben der günstigen Terminierung vor Wimbledon sprechen für Schett das Preisgeld (823 000 US-Dollar, also rund 775 000 Euro) und die Attraktivität der Stadt für das Turnier in Berlin. „Es hängt von der jeweiligen Spielerin ab, wie sehr sie fokussiert ist und was für ein Typ sie ist. Als Spielerin ist man in der Regel interessiert daran, in verschiedene Restaurants zu gehen und zumindest mal kurz ein paar Sehenswürdigkeiten zu sehen“, sagt die 46-Jährige.

Und nicht zuletzt sei es von Vorteil, dass Barbara Rittner die Veranstaltung als Direktorin leitet. „Wenn eine ehemalige Spielerin Turnierdirektorin ist, fühlt man sich als Athletin gleich viel mehr hingezogen, beziehungsweise verstanden, weil man sich auf gleicher Ebene unterhält“, sagt Schett, die ehemalige Nummer sieben der Welt.

Ausgerechnet Deutschlands beste Spielerin Angelique Kerber reist nicht nach Berlin. Nach ihrem Drittrunden-Aus bei den French Open hatte Kerber mangelnde Wertschätzung seitens der Berliner Organisatoren als Grund dafür genannt, nicht in der Hauptstadt antreten zu wollen. „Wir haben nach Paris telefoniert und das ausgeräumt. Es gab in der Tat ein Missverständnis aufgrund einer unglücklich formulierten Email“, sagte Turnier-Direktorin Barbara Rittner der Deutschen Presse-Agentur. Dennoch konnte sich die dreimalige Grand-Slam-Turniersiegerin Kerber nicht zu einem Start in Berlin durchringen.

Neben Sabine Lisicki, die nach anderthalb Jahren Pause in Berlin an der Qualifikation teilnimmt und am Samstag ihr erstes Spiel 6:4, 6:4 gegen Asia Muhammad (USA) gewann, richtet sich der Fokus aus deutscher Sicht vor allem auf Andrea Petkovic, die für das Hauptfeld dank Wild Card gesetzt ist. „Es ist für die Stimmung bei einem Turnier schon wichtig, dass man Spielerinnen aus dem eigenen Land dabei hat“, weiß Schett. Aktuell sieht es in der Spitze nicht so gut aus beim Deutschen Tennis-Bund. Umso wichtiger sei die Qualität des Feldes.

Wie wichtig Turniere wie das in Berlin sind, um Werbung für das Frauentennis zu machen, wurde in den vergangenen Tagen einmal mehr deutlich. Ausgerechnet Amelie Mauresmo, die ehemalige Weltranglistenerste und mehrfache Gewinnerin von Grand-Slam-Turnieren, sorgte als Turnierdirektorin der French Open für Diskussionen. Indem sie eine später relativierte Aussage tätigte, dass Spiele der Männer „derzeit mehr Anziehungskraft und Attraktivität“ besäßen.

Nur Alize Cornet und Jelena Ostapenko hatten in der beliebten Night-Session in Paris auf dem großen Court Philippe Chatrier gespielt. Alle anderen Ansetzungen waren den männlichen Kollegen vorbehalten. „Wenn ein Männermatch vier Stunden dauert und ein Frauenmatch nur eine, dann verstehe ich schon, dass die Zuschauer vielleicht wegbleiben“, sagt Schett. „Aber es zeigt sich einfach, dass zur Gleichberechtigung noch ein großes Stück fehlt.“

Bei den Grand-Slam-Turnieren bekommen Frauen und Männer seit 2007 zwar die gleichen Preisgelder. Allerdings „haben wir auf der WTA-Tour bei weitem nicht so viele Möglichkeiten zu spielen und Geld zu verdienen wie die Männer bei der ATP“, sagt Schett. Vor allem verweist die TV-Expertin auf das grundsätzliche Ansehen des Frauentennis. „Seitdem ich mit dem Tennisspielen begonnen habe, hatte ich immer das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen, dass ich als Frau Tennis spiele.“

Schett hält es allerdings nicht für zielführend, sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, dass Frauenmatches in der Regel kürzer sind, weil eben nur drei statt fünf Gewinnsätze gespielt werden. „Um an die Spitze zu kommen, müssen Frauen mindestens so viel investieren wie die Männer, also sechs bis sieben Stunden trainieren pro Tag.“

Wie groß der Druck sein muss, zeigt sich daran, dass in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Spitzenspielerinnen Probleme seelischer Art offenbarten: Naomi Osaka leidet immer wieder an Depressionsschüben, Coco Gauff, die mit 18 Jahren erst am Anfang einer vermutlich großen Karriere steht, äußerte sich ebenfalls über psychische Probleme. Simona Halep erlitt bei den jüngsten French Open eine Panikattacke auf dem Platz und Ashleigh Barty hatte im März als 25-Jährige ihre Karriere beendet. Sie sprach davon, „verbraucht zu sein“.

Barbara Schett sieht mehrere Ursachen dafür. Anders als früher gebe es weniger Scheu, die Herausforderungen des Profisports anzusprechen. Zudem glaubt Schett, dass sich viele Spielerinnen in der Coronakrise intensiver hinterfragt und kennengelernt hätten. „Viele merken im Lauf der Zeit, wie sehr sie in ihrem Leben unter Strom stehen. Als Tennisprofi reist du zehn Monate im Jahr um die Welt.“

Die aktuelle Generation an Topspielerinnen zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihre Berühmtheit nutzt, auf globale Missstände hinzuweisen. Gauff protestierte nach dem Amoklauf in Texas gegen Waffengewalt. Osaka setzt regelmäßig Zeichen gegen Rassismus, auch weil sie selbst immer wieder Erfahrungen damit machen muss. Obwohl in den kommenden Tagen die sportlichen Leistungen im Vordergrund stehen, können diese Facetten helfen, Werbung für das Frauentennis und seine Protagonistinnen zu machen.

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