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Michael Schumacher: "Der Titel nächstes Jahr ist realistisch"

Formel-1-Rückkehrer Michael Schumacher spricht über seinen Teamkollegen Nico Rosberg, seinen Lernprozess, seine Alterserscheinungen und seine neue Lockerheit.

Herr Schumacher, Sie sagen, Sie machen nach Ihrer Rückkehr in die Formel 1 gerade einen Lernprozess durch. Was ist anders als 2006? 

Anders ist das falsche Wort. Ich muss mich einfach nach diesen drei Jahren Pause wieder in diesen konstanten Rhythmus und diese Nuancen einarbeiten. Dass ich das alles wieder im Detail spüren und fühlen kann im Auto. Und auch vorausschauend schon Veränderungen vornehmen kann, wo ich genau weiß, wie die Reaktion sein wird. Dafür bin ich sicherlich noch nicht weit genug mit diesem Auto. Veränderungen wirken nicht immer so, wie ich es erwarten würde. Und dann gibt es immer wieder neue Dinge, wo wir noch nicht so eingespielt sind und der Lernprozess, der Anpassungsprozess noch nicht abgeschlossen ist.

Was hat Sie bisher am meisten überrascht in Ihrer zweiten Karriere?

Definitiv überraschend sind die Reifen, die sehr gewöhnungsbedürftig und anders sind und vor allem sehr inkonstant trotz gleicher Mischung. Früher war es relativ geradeaus zu verstehen, warum ein Reifen besser oder schlechter war. Heute kann ich es mir selber nicht erklären, warum ich manchmal eine halbe Sekunde schneller oder langsamer bin. Das ist für uns ein großes Rätselraten. Das ist auch nicht nur bei uns so, das höre ich auch unter Fahrerkollegen sehr verstärkt. Und ich glaube nicht, dass es eine Fahrersache ist. Wenn es so wäre, hätte ich genug Erfahrung, da Einfluss zu nehmen. Ich hab es ja auch versucht, aber nichts was ich oder Nico (Schumachers Teamkollege Rosberg) machen können, hat wirklich Einfluss darauf.

 Wird heute in der Formel 1 härter gefahren als früher?

Was es definitiv gibt, ist, dass mehr Fahrer kompakter zusammen sind. Früher war es nicht unüblich, fünf, sechs Sekunden zwischen dem ersten und dem letzten zu haben und auch relativ große Abstände dazwischen. Heutzutage hast du ein sehr enges Feld vom Ersten bis zum 15., teilweise innerhalb einer Sekunde. Da ist man viel enger zusammen, und das wird bei Positionskämpfen auch genutzt. Aber wird es deswegen brutaler, wird härter gefahren? Nein, würde ich jetzt nicht behaupten.

 Sind Sie in Ihrem Lernprozess mit nun 41 Jahren immer noch so offen und lernwillig, wie Sie es mit 23 waren?

Definitiv, denn darum geht es. Du musst eigentlich zu jeder Zeit die Möglichkeit haben, auf die Situationen zu reagieren. Denn sie sind nie gleich, das ist schon während meiner gesamten Karriere so gewesen. Der Unterschied ist natürlich, dass ich ein wesentlich größeres Volumen an Erfahrungen habe. Aber dennoch stehe ich immer wieder vor Situationen, die ich so noch nicht kannte. Darauf muss ich reagieren und daraus neu lernen. Da darf man nicht die Einstellung haben: Das war früher so, das ist heute auch so. Das wäre falsch.

 Spüren Sie denn körperlich, dass Sie keine 23 mehr sind, sondern 41?

Meine Fitnesswerte sind uneingeschränkt hoch und gut. Das ist überhaupt kein Thema. Wo ich es spüre ist zum Beispiel beim Fußballspielen. Früher habe ich zwei, drei Stunden gespielt und konnte am nächsten Tag wieder. Heute zwickt es dann im Knie, das merkt man schon.

 Müssen Sie mehr trainieren als früher?

Ich trainiere bewusster und fokussierter. Ich teile mir auch meine Energie ein. Man wird ja nicht jünger und besser, ich muss schauen, wie ich meine Stärke und meinen Vorteil einteile.

 Sie haben den Titel für dieses Jahr abgehakt und ihn nun im nächsten Jahr zum Ziel erklärt. Was macht Sie denn so sicher, dass Sie dann im Duell mit Ihrem Teamkollegen Nico Rosberg vorn liegen werden? Auf dem Papier ist er derzeit besser als Sie.

Ja, auf dem Papier, richtig. Es gibt sicher genügend Anhaltspunkte, um zu sagen: Er ist besser. Aber ich weiß ja auch die Details: Warum war er wirklich besser, was hätte ich besser machen können und was kann ich wirklich? Und das stimmt mich eigentlich zuversichtlich genug, dass ich das noch hinkriegen werde.

 Und das Verhältnis dann nächstes Jahr umdrehen?

Es muss nicht umdrehen sein. Man muss ganz klar sagen: Nico ist auf Top-Niveau. Das darf man nicht unterschätzen. Ich würde schon behaupten, dass er der stärkste und schnellste Teamkollege ist, denn ich bis jetzt gehabt habe. Er hat nicht mehr viel Spielraum bei dem, was er aus dem Auto herausholt. Ich dagegen hole nicht immer 100 Prozent aus dem Auto heraus. Da bin ich mir aber sicher, dass das kommen kann und wird. Und dann sind es Nuancen, die für oder gegen mich entscheiden können. Aber da ist mein Selbstbewusstsein groß genug, um zu sagen: Das kriege ich hin.

 Hat es Sie überrascht, wie stark Rosberg wirklich ist?

Ja, in Anführungsstrichen. Weil es von außen gesehen nicht ganz so offensichtlich war, das muss man schon sagen. Dass er stark ist, war mir klar, aber nicht wie präzise und konstant er wirklich ist. Ohne die internen Informationen zu haben, kannst du von außen eigentlich keine vernünftige Analyse machen. Da habe ich dann genauso wie Sie jetzt, wenn Sie mich beurteilen, bei ihm mit offenen Fragezeichen dagestanden. Aber es war auch nicht wirklich wichtig, wie gut er ist. Das wichtigste ist: Was will ich, und wo will ich noch hin?

 Ärgert es Sie, wenn Sie ohne diese internen Informationen beurteilt werden und dann Fragen gestellt werden wie: Ist Schumacher noch schnell genug?

Nein. Wenn es gemein wird, stört es mich natürlich, aber wenn die Fragen realistisch-kritisch sind, kann ich eigentlich sehr gut damit umgehen. Ich bin ja mit mir selber auch kritisch. Man kann nicht erwarten, dass Details von außen erkannt oder verstanden werden können. Ich kann das ja selbst manchmal nicht sofort beantworten – wie soll sich dann jemand, der mit der Materie nicht so vertraut ist, ein Bild davon malen? Zwei, drei Rennen läuft es schlecht, und schon wird in Frage gestellt, ob du überhaupt noch Auto fahren kannst. Die berechtigte Kritik muss man annehmen und sich damit auseinandersetzen. Wenn es darüber hinausgeht - dafür bin ich lange genug dabei -, muss man sich eben auf seinen eigenen Plan konzentrieren.

 Wie sehr vermissen Sie denn die Möglichkeit, zwischen den Rennen zu testen? Sie sind ja 2006 zurückgetreten, weil Sie aus der Knochenmühle Formel 1 aussteigen wollten. Das ständige Testen war einer der Hauptfaktoren.

Auf der einen Seite fehlt es mir, um den Anschluss hinzukriegen. Das ist in meiner Situation nicht gerade hilfreich. Mir fällt keine andere Sportart auf so hohem Niveau ein, wo man im Jahr nicht trainieren darf. Auf der anderen Seite bin ich nicht böse drum. Nach jedem Rennen sofort wieder im Auto zu sitzen und Testrunden zu drehen, ich glaube, dafür würde es dann nicht drei Jahre reichen. Da würde ich vorher die Lust verlieren. Gar keine Tests sind natürlich auch extrem, das macht auch wenig Sinn. Ein paar Tests zwischendrin wären schon schön und hilfreich. 

Andere Teams behelfen sich mit Simulatoren. Haben Sie mittlerweile auch einen zu Hause?

Nein (lacht). Wir entwickeln gerade einen, aber den kann man sich nicht einfach so ins Haus stellen. Das ist ja praktisch ein kleines Haus für sich. Und da braucht man auch eine sehr intensive Betreuung, das geht nur im Werk.

 Wie haben Sie sich selbst denn im Vergleich zu vor zehn Jahren verändert? Wenn Sie heute kein gutes Ergebnis einfahren oder die Entwicklung des Autos nicht so vorangeht – wie reagieren Sie da? Beobachten Sie sich selbst?

Logisch. Und ganz klar ist, dass ich einfach lockerer mit der Situation umgehe. Ich kann gewisse Dinge beeinflussen und andere eben nicht. Ich konzentriere mich auf das, was wirklich wichtig für mich ist und bei dem anderen sagst du dir: Okay, (wirft eine Hand über die Schulter), lässt du halt so laufen. Ich war früher wesentlich verbissener. Die drei Jahre Pause haben mir sicherlich gut getan, was das angeht.

 Aber war diese Verbissenheit, alle Dinge kontrollieren zu wollen, nicht vielleicht auch Ihr Erfolgsrezept?

Nein. Früher habe ich schon noch versucht, irgendwelche Umfeldsituationen an der Rennstrecke zu beeinflussen, weil ich ein ehrlich denkender Mensch bin und nach Gerechtigkeit strebe. Aber da reibst du dich dann auf in Bereichen, die dich nicht schneller machen. Mittlerweile habe ich die Erfahrung zu sagen: Okay, das läuft jetzt einfach so, kannst du eh nicht ändern, mach dein Ding.

 Wenn Sie heute als Neunter nach Haus kommen wie beim vergangenen Rennen in Silverstone, sitze Sie dann genervt auf der Couch herum?

Nein. Ich habe natürlich eine Zeit, in der ich das ganze verarbeite und analysiere und mich frage: Wie geht’s beim nächsten Mal besser? Das war früher auch schon so. Aber dass ich dann Zuhause da vor mir hinkauere und grummele, nein. Ich bin jemand, der in der Gegenwart und in der Zukunft lebt. Die Vergangenheit interessiert mich nur zu dem Teil, dass sie mir in der Zukunft hilft. Und nicht anders herum.

 Wie schalten Sie ab?

Ich habe nicht unbedingt das Bedürfnis, den Schalter umlegen zu müssen. Ich muss keinen großen Cut haben. Es belastet mich nicht, ich bin ja in der Formel 1, weil es mir Spaß macht und es eine Herausforderung ist. Wenn ich Zuhause bin, ist es so wie es früher auch. Ich setze mich permanent mit mir und der Materie auseinander. Natürlich sitze ich auch mal mit der Familie zusammen und lege kurz den Schalter um, aber im Unterbewusstsein ist es eigentlich immer präsent.

 Was sagt denn die Familie zu Ihrem Comeback? Baut die Sie auf?

Ja, keine Frage. Die stehen zu 100 Prozent dahinter.

Dann wieder dienstlich: Werden Sie Ihren Dreijahresvertrag mit Mercedes in jedem Fall erfüllen?

Ja. Mein Ziel ist, innerhalb dieser drei Jahre die Meisterschaft zu holen. Realistisch gesehen könnte nächstes Jahr schon die Möglichkeit da sein, und wenn nicht, dann halt übernächstes.

Wenn Sie im nächsten Jahr Weltmeister werden, brauchen Sie also das dritte Jahr nicht mehr?

Nein, das habe ich nicht gesagt.

Das Gespräch führte Christian Hönicke.

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