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Training, Training, Training. Anas Al Khalifa schaffte nach kurzer Zeit die Qualifikation für Tokio.

© imago images/Eibner

Geflüchteten-Team bei den Paralympics: Der Syrer Anas Al Khalifa schaffte es über den SV Halle nach Tokio

Anas Al Khalifa gehört bei den Paralympics in Tokio zum Geflüchteten-Team – der Kanute aus Syrien lebt und trainiert seit vier Jahren in Halle.

Seit der ersten gemeinsamen Übungsstunde war seine Trainerin von Anas Al Khalifa überzeugt. „Sie hat mir schon ab dem ersten Tag gesagt: Du schaffst es nach Tokio“, erzählt der syrische Athlet, der für das Geflüchteten-Team bei den Paralympics im Para-Kanu antritt. Mit einem Schmunzeln schiebt er hinterher: „Ich war verwirrt, ich wusste gar nicht ... was ist dieses Tokio und warum soll ich dahin?“

Weltweit gibt es schätzungsweise 82 Millionen flüchtende Menschen – und laut UNHCR haben zwölf Millionen von ihnen eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung. Um diesen Teil der Weltbevölkerung auch im Sport ein Gesicht zu geben, werden sie in Tokio von dem so genannten Refugee-Team vertreten. Erstmalig trat dieses internationale Team 2016 bei den Olympischen Spielen und den Paralympics in Rio de Janeiro an.

In Tokio gehen sechs Athletinnen und Athleten an den Start – sie alle wurden von weltweit bekannten Persönlichkeiten in einem Auswahlverfahren nominiert. Der Fußballspieler Asmir Begovic vom FC Everton hatte Anas Al Khalifa aufgestellt. Der Syrer lebt seit vier Jahren in Halle an der Saale.

Seit Ende 2020 ordnete der 28-Jährige der Qualifikation für die Paralympics alles unter. Gemeinsam mit seiner Trainerin Ognyana Dusheva, dem Deutschen Ruderverband und seinem Heimatverein, dem SV Halle, gelang es Al Khalifa, die geforderten Zielzeiten zu erreichen und sich bei den Weltcups im Mai 2021 in Szeged zu behaupten. „Er wird in Tokio in zwei Disziplinen starten können, was uns sehr gefreut hat“, sagt Trainerin Dusheva dem Tagesspiegel.

Vor vier Jahren kam Anas nach Deutschland

Vor vier Jahren kam Al Khalifa aus Syrien nach Deutschland. Zunächst arbeitete er als Handwerker für eine Firma, die Solarplatten montierte. Während seiner Arbeit auf einer Baustelle kam es zu einem Arbeitsunfall – und Anas trug eine schwere Wirbelsäulenverletzung davon. Während seiner Rehabilitation kam er über seine Physiotherapeutin zum Paddel-Sport. Mit anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern von der Physiotherapie probierte sich Al Khalifa erstmalig im Winter 2019 im Kajak aus.

„Der Grund für Ogys Enthusiasmus war, dass ich nicht aufgegeben habe“, erinnert sich Al Khalifa an die Anfänge mit seiner Trainerin: „Das erste Mal ins Boot – und ich bin direkt umgekippt. Aber ich sagte immer: Ich will nochmal und nochmal. Der Rest ist Geschichte.“

Anas Al Khalifa und seine Trainerin Ognyana Dusheva freuen sich auf den Auftritt in Tokio.

© promo

Anfänglich sei das Kajakfahren für den Syrer nur ein Hobby gewesen, erzählt er dieser Zeitung, so zum Spaß, dass ihm während seiner Rehabilitation weitergeholfen habe. Das änderte sich jedoch schnell: „Nach etwa zwei Monaten haben wir erstmals auf der Saale trainiert, und ich habe den Sport wirklich lieben gelernt. Mit Ogys Unterstützung ging es immer weiter vorwärts.“

Anas Al Khalifa ist einen weiten Weg gegangen, um an diesem Donnerstag an der Startlinie in Tokio zu stehen. Erst durch die Verschiebung der Paralympics ist eine Teilnahme für ihn möglich geworden – doch die Folgen der Pandemie schränkten natürlich auch die Möglichkeiten beim SV Halle ein. „Wir haben zwischenzeitlich alles online durchgeführt. Vor etwa einem halben Jahr, als klar war, dass Anas Chancen auf eine Aufnahme ins IPC-Team hat, haben wir unabhängiger trainieren können. Trotz der Umstände erzielen wir seitdem sehr gute Ergebnisse“, sagt Dusheva.

Anas Al Khalifa ist seiner Trainerin sehr dankbar für ihre Bemühungen. „Ogy hat mir wirklich ihre ganze Zeit gegeben. Ganz egal ob am Wochenende, einen Nachmittag lang oder abends zur späten Stunde. Wir haben immer trainiert, wenn es gerade möglich war.“

Dabei sein ist für Al Khalifa alles

Trotz aller Widrigkeiten ist das Sportler-Trainerin-Gespann vom SV Halle von seiner Vorbereitung auf die Spiele überzeugt. „Andere Athletinnen und Athleten haben mehrere Jahre – und wir eben ein halbes Jahr zur Vorbereitung“, sagt Ognyana Dusheva, die von den Leistungen von Al Khalifa schwärmt: „Der Junge fühlt das Wasser. Ich denke, Anas wird in Tokio – angesichts seiner Entwicklung über die letzten 18 Monate – persönliche Bestleistungen an den Tag legen.“ Hoffnungen auf Medaillen machen sich die beiden aber erstmal nicht – wobei die Paralympics 2024 in Paris schon auf der Agenda stehen.

Unabhängig von den Erfolgsaussichten bedeutet Anas Al Khalifa allein die Teilnahme einfach alles: „Mit dem Start in Tokio kann ich zeigen, das nichts unmöglich ist. Irgendwann kann man seinen Traum für sich gewinnen, wenn man ihn im Auge behält und richtig dafür kämpft. Anfänglich ist es immer schwer.“ Und seit er dieses „Tokio“ endlich kennt und sogar nun auch dahin reist, hat er den Geist der Paralympics für ihn und die übrigen Teilnehmenden schon ganz verinnerlicht: „Die Athletinnen und Athleten zeigen die gesamte Breite von Behinderung – und da bin ich froh mit meiner Geschichte ein Teil von zu sein.“

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier. Alle aktuellen Entscheidungen und Entwicklungen lesen Sie in unserem Paralympics Blog. 

Nils Wattenberg

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