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Die Vorfreude auf die EM in England ist riesig.

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EM als nächster Quantensprung: Der Frauenfußball soll in England noch größer und besser werden

In England hat sich der Fußball zuletzt rasant entwickelt. Das liegt auch an der neuen Trainerin Sarina Wiegman. Die EM soll die Begeisterung noch steigern.

Ramona Petzelberger zählt nicht unbedingt zu den größten Stars des deutschen Fußballs. Die 29-Jährige hat noch kein Länderspiel bestritten und gehört auch bei der EM in diesem Sommer nicht zum deutschen Kader. Doch ihr Gesicht kennt mittlerweile jeder in Großbritannien, der zuletzt einmal das BBC-Fernsehen eingeschaltet hat.

Petzelberger, die seit zwei Jahren bei Aston Villa in der englischen Women's Super League (WSL) spielt, ist eine von mehreren Spielerinnen, die in einem aktuell allgegenwärtigen Werbespot des britischen Senders für die bevorstehende Fußball-EM erscheint. „Wir kennen unseren Platz“ lautet da der Slogan. Eine augenzwinkernde Rüge für den früher latenten Sexismus, der den Frauenfußball auch auf der Insel jahrelang begleitet hat.

Damit soll jetzt langsam Schluss sein – und gerade auch in diesem Sommer. Am Mittwochabend bestreitet Gastgeber England das Eröffnungsspiel der EM gegen Österreich (21 Uhr, live in der ARD). Die Engländerinnen spielen nicht nur um den bestmöglichen Start ins Heimturnier, sondern auch um die Fortsetzung einer zuletzt rasanten Entwicklung im englischen Frauenfußball.

„Wenn diese Mannschaft einen großen Titel im eigenen Land gewinnen kann, wird es sowohl für die Spielerinnen als auch für den Sport alles verändern“, schrieb die ehemalige Nationalspielerin Karen Carney vor dem Turnier in der Tageszeitung „Guardian“. Die frühere Torjägerin hofft 2022 auf einen ähnlichen Wendepunkt wie 2005, als England zum letzten Mal EM-Gastgeber war.Damals schoss Carney als 17-Jährige im ersten Gruppenspiel ein Siegtor in der Nachspielzeit, und sorgte damit für einen historischen Moment in der englischen Fußballgeschichte.

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Die Liga hat sich vollständig professionalisiert

Siebzehn Jahre später steigt das Eröffnungsspiel schon wieder in Manchester, doch statt in einem halbvollen City-of-Manchester-Stadion wird nun vor über 70.000 Zuschauern im ikonischen Old Trafford gespielt. Denn in der Zwischenzeit hat der englische Frauenfußball einen unglaublichen Schub erhalten.

Die Liga hat sich vollständig professionalisiert, die Einschaltquoten erreichen immer neue Rekorde, und auch im Journalismus findet ein längst überfälliger Kulturwandel statt. Fast jede große englische Zeitung berichtet nun ausführlich über die WSL, bei dieser EM überträgt die BBC nahezu alle Spiele live im Free-TV.

Perfekt ist dennoch längst nicht alles. Auch bei dieser EM mussten sich die Organisatoren den Vorwurf gefallen lassen, den Frauenfußball kleiner verkauft zu haben, als er tatsächlich ist. Vor allem die Entscheidung für kleinere Spielstätten wurde scharf kritisiert. Große Arenen wie Old Trafford und Wembley sind schon seit Monaten ausverkauft und trotzdem finden andere Spiele bei diesem Turnier in Stadien mit einer Kapazität von weniger als 15 000 Plätzen statt.

Von „mangelnder Ambition“ war bei manchen Kritikern die Rede. Die isländische Nationalspielerin Sara Bjork Gunnarsdottir sprach sogar von „einem Schritt zurück“.

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Doch trotz der Kritik überwiegt in England die Vorfreude auf diese EM – und vor allem auf einem möglichen Titelgewinn. Denn unter der neuen Trainerin Sarina Wiegman gehört England zu den Topfavoriten. Die Niederländerin, die 2017 im eigenen Land den EM-Titel mit dem Gastgeberteam holte, hat nach ihrem Amtsantritt im vergangenen Sommer für eine neue Ruhe im englischen Lager gesorgt, die nach den Skandalen der vergangenen Jahre dringend benötigt wurde.

Unter der neuen Trainerin Sarina Wiegman gehört England zu den Topfavoritinnen.
Unter der neuen Trainerin Sarina Wiegman gehört England zu den Topfavoritinnen.

© AFP

2017 wurde der damalige Nationaltrainer Mark Sampson nach Rassismus-Vorwürfen entlassen. Sein Nachfolger Phil Neville war trotz seines Erfolgs auch umstritten, unter anderem, weil er sich gleich bei seiner Amtsübernahme für sexistische Tweets entschuldigen musste. Bei Wiegman hingegen steht der Fußball im Vordergrund und da läuft es außerordentlich gut.

Unter der 52-Jährigen sind die „Lionesses“ nun seit vierzehn Spielen ungeschlagen, in der Vorbereitung gab es hohe Siege gegen die Schweiz und die Niederlande. „Wiegman steht für Fortschritt“, schrieb zuletzt die Daily Mail, und lobte die Trainerin für ihren Pragmatismus und ihre Kaltschnäuzigkeit.

An internationaler Erfahrung mangelt es auch nicht

Jene Tugenden hat sie auch bei ihrer Kadernominierung gezeigt, vor allem mit dem überraschenden Verzicht auf Legionärin Steph Houghton und die Beförderung der relativ unerfahrenen Leah Williamson zur Kapitänin. Das Ergebnis ist eine gut ausbalancierte Mannschaft mit bekannten Namen wie Lucy Bronze und Ellen White, aber auch jungen Talenten wie Manchester Citys Lauren Hemp.

An internationaler Erfahrung mangelt es auch nicht: Bronze spielt in Barcelona, Rachel Daly bei Houston Dash, und Georgia Stanway wechselte vor einigen Wochen zum FC Bayern München.

Vor dem Turnierstart bemühen sich die Verantwortlichen aber vor allem darum, die Erwartungen zu dämpfen. „Wir sind aktuell in sehr guter Form, aber wir können uns immer verbessern“, sagte Wiegman unlängst. Während die Defensive auch ohne Houghton als verlässlich gilt, gibt es noch Fragezeichen im Angriff, wo Star-Spielerin Fran Kirby seit Monaten um ihre Fitness kämpft.

Trotzdem überwiegt der Optimismus. Denn auch, wenn es nicht für den großen Titel reicht, soll dieser Sommer ein weiterer Quantensprung nach vorne sein. „Es ist eine sehr spannende und wichtige Zeit für den Frauenfußball“, schrieb die BBC-Expertin und frühere Nationalspielerin Alex Scott am vergangenen Freitag. „Und es wird nur größer und besser werden.“

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