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Volle Tribünen am Tag der Einheit: Zum Renntag in Hoppegarten sind 8000 Zuschauer zugelassen.

© imago images/Galoppfoto

Renntag der Einheit in Hoppegarten: Der einige Geist

In Hoppegarten sind Ost und West schneller zusammengewachsen als andernorts. Allerdings ist das Vorkrisen-Niveau kaum mehr erreichbar.

Der Fokus der internationalen Galoppsport-Szene wird am kommenden Sonntag nicht auf Hoppegarten gerichtet sein. In Paris-Longchamp treten die besten Rennpferde, darunter mit Torquator Tasso auch ein deutscher Hengst, zum Prix de l’Arc de Triomphe an, das als wichtigstes Galopprennen der Welt gilt. Das Preisgeld beträgt fünf Millionen Euro, bei keinem Rennen in Europa wird mehr ausgeschüttet.

Das ändert allerdings nicht daran, dass viele deutsche Fans, ganz speziell die aus der Region, dem kommenden Renntag in Hoppegarten entgegenfiebern. Zum 31.Mal wird kurz hinter der Berliner Stadtgrenze der Preis der Deutschen Einheit ausgetragen. Insgesamt sind neun Rennen für diesen Tag angesetzt, der ganz im Zeichen der Deutschen Wiedervereinigung steht. „Wir haben das einzige sportliche Großereignis in Deutschland, das jedes Jahr am 3. Oktober stattfindet“, sagt Rennbahn-Eigner Gerhard Schöningh.

Obwohl beispielsweise der Große Preis von Berlin sportlich eine deutlich größere Rolle spielt, „kommen viele Fans noch lieber zum Tag der Einheit“. Weil er auch abseits des Wettkampfs der Rennpferde viele Emotionen freisetzt. Das gilt auch noch 30 Jahre nach der Premiere dieses Renntages.

Simon Crisford, der in der englischen Turf-Hochburg Newmarket Pferde trainiert, kann sich noch gut an den 3. Oktober 1991 erinnern: „Ich bin über 40 Jahre im Rennsport tätig. Dieser Tag zählt zu den bedeutsamsten meiner Karriere.“ 1991 betreute er für Besitzer Scheich Muhammad bin Raschid al Maktoum, den heutigen Herrscher von Dubai, den siegreichen Hengst George Augustus. „Es war ein tolles Gefühl, an diesem besonderen Tag dann auch noch auf dem Podium zu stehen.“

1868 wurde die Galopprennbahn gegründet

Als sich Crisford damals in das Flugzeug nach Berlin setzte, wusste der Mittzwanziger nicht, was ihn im frisch wiedervereinten Deutschland erwartet. „Ich war zum ersten Mal in Berlin und unglaublich aufgeregt“, erinnert er sich. Neben den Sehenswürdigkeiten war er vor allem gespannt auf eine Rennbahn, die sich nach Jahren der Teilung nun endlich wieder der internationalen Galoppszene offenbarte. „Ich wusste nicht so viel über diese Anlage, mir war nur klar, wie viel Geschichte sich dahinter verbirgt. Als ich die Rennstrecke dann gesehen habe, war ich wirklich beeindruckt.“ Bereits 1868 wurde die Anlage gegründet.

Auch für Erika Mäder, heute 73 Jahre alt, nimmt der Renntag der Einheit eine Sonderstellung ein. Was allerdings weniger daran liegt, dass sie in Brandenburg unbekanntes Terrain kennenlernte. Wie schon am 31. März 1990, als der erste deutsch-deutsche Renntag vor rund 28.000 Zuschauern ausgetragen wurde, kehrte sie vielmehr an den Ort zurück, der ihre Galoppsport-Karriere maßgeblich prägte. Wie ihr Mann Lutz, den späteren dreifachen Jockey-Champion, wurde sie hier ausgebildet.

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Mitte der Siebzigerjahre kehrten beide der DDR den Rücken, nachdem sie zuvor wegen Republikflucht verurteilt wurden und ihre Strafen im Frauengefängnis Hoheneck, beziehungsweise im Zuchthaus Cottbus absaßen. 1975 heiratete das Paar und baute das Galopp-Unternehmen in Krefeld auf. „Dieser Renntag 1991 war ein riesiges Erlebnis“, sagt Mäder.

Nach Jahrzehnten der Trennung trafen die Mäders wie schon anderthalb Jahre zuvor Weggefährtinnen und Weggefährten wieder. „Wir sind ja eine große Rennsportfamilie, endlich waren wir wieder vereint.“ Ehemann Lutz ritt auf Bin Shaddad auf Platz drei. „Natürlich hätte ich gerne gewonnen, aber das stand nicht Vordergrund“, sagt Erika Mäder. Vielmehr prägte die Aufbruchstimmung die Szenerie in Hoppegarten.

Gerhard Schöningh kauft die Anlage 2008

Diese ergriff auch Jungunternehmer Schöningh, der in Krefeld neben der dortigen Rennbahn aufgewachsen war und deshalb seit jeher mit einer Rennsport-Leidenschaft infiziert war. Sowohl zum deutsch-deutschen Renntag als auch zum ersten Renntag der Einheit reiste er nach Hoppegarten. „Man sah schon damals, dass Hoppegarten eine tolle Hardware hat, aber dass es durch die politischen Umstände sein Potenzial nicht entfalten kann.“

Schon früh spürte Schöningh den Wunsch, den Standort Hoppegarten voranzubringen, allerdings war er beruflich stark in London eingebunden, wo der Fondsmanager auch heute noch wochenweise lebt. Der Kauf des Areals erfolgte schließlich 2008, zwei Jahre nach der Privatisierung. Auch wenn vor Ort über die Jahre einiges an Aufbruchstimmung verlorengegangen war, spürte Schöningh den Esprit, den er an den Renntagen unmittelbar nach dem Mauerfall aufgesaugt hatte. Und so sagt er unmittelbar vor diesem Renntag der Einheit: „Am Tag der Einheit kommt viel zusammen, was meine Motivation betrifft, das Projekt Hoppegarten anzugehen.“

Dabei versuchte der inzwischen 60 Jahre alte Eigner die Fehler zu vermeiden, die in vielen anderen Lebensbereichen dafür sorgten, dass sich ostdeutsche Bürger übergangen fühlen. „Diese Rennbahn ist schon damals ganz wesentlich getragen worden von Fans und Engagierten aus Brandenburg“, sagt Schöningh. Die Expertise und Leidenschaft all jener aufzugreifen, die sich auch in schweren Zeiten für den Rennsport aufgeopfert haben, sollte einfließen in die Strategie, die natürlich auch zum Ziel hatte, die Rennbahn für weitere Kreise zu erschließen. Und auch vom Berlin-Boom zu profitieren.

Der Plan ist aufgegangen. Hoppegarten hat sich zu einem Ort entwickelt, der Besucher jeglicher gesellschaftlichen Couleur anlockt. Führungskräfte aus der Wirtschaft fühlen sich auf der Rennbahn genauso wohl wie Familien und Großstadt-Hipster. Und was ganz entscheidend ist. „Ost und West spielen wirklich keine Rolle mehr“, sagt Erika Mäder, die zwar sportlich in Krefeld beheimatet ist, aber auch eine tiefe Zuneigung nach Hoppegarten verspürt.

Das sportliche Niveau hat sich verbessert

Auch sportlich hat sich das Niveau über die Jahre stark verbessert. Namhafte Galopper aus aller Welt konnten die Gäste bei den Topevents bestaunen. Simon Crisford, der im britischen Newmarket die edelsten Pferde aus bester Zucht betreut und diese auf den Top-Rennbahnen Europas an den Start bringt, sagt: „Es macht wirklich Spaß zu sehen, wie sich diese Rennbahn entwickelt hat.“ Der Kölner Erfolgstrainer Peter Schiergen erlebte als Reiter den ersten Renntag der Deutschen Einheit. Wenn immer das Rennangebot passt, schickt er heute seine Pferde auf die Reise quer durchs Land. „Hier wurde wirklich viel vorangebracht.“

Obwohl Schiergens Stute Chilly Filly beim Preis der Einheit läuft, kann er diesmal nicht persönlich vor Ort sein. Die aussichtsreichsten Kandidaten stehen ohnehin in anderen Ställen. Grocer Jack, ein vierjähriger Hengst, der von Waldemar Hickst trainiert wird, gilt als Topfavorit. Der Hengst gewann in Mailand ein Rennen der sogenannten Gruppe III, der gleichen Kategorie also wie die Veranstaltung in Hoppegarten am Sonntag.

In Rennen der Gruppe II und Gruppe I, die noch höher bewertet werden, belegte er dreimal zweite Plätze. Hoch im Kurs liegen zudem Only The Brave (Trainer: Henk Grewe) und Stute No Limit (Andreas Suborics). Auch Stex, die von Roland Dzubasz in Hoppegarten betreut wird, hat Außenseiterchancen.
Rennbahn-Eigner Schöningh hofft auf eine ähnliche Stimmung wie im vergangenen Jahr. Immerhin lassen die Corona-Bestimmungen bis zu 8000 Zuschauer zu. 2020 war gerade mal die Hälfte erlaubt. Allerdings feierten die Anwesenden am 3. Oktober vor einem Jahr nicht nur diesen besonderen Renntag, es war auch eine Art Wiederauferstehung nach Monaten der Geisterrennen. „Da kamen viele Hardcore-Fans an die Rennbahn, die für den doppelten Applaus sorgten“, erinnert sich Schöningh.

Pferdesport durch Online-Wettangebote nun zugänglicher

Nach zunächst düsteren Prognosen überstand die Galoppszene die besonderen Umstände durch die Pandemie überraschend gut. Der Pferdebestand im Training hat sich kaum reduziert, obwohl die Rennpreise massiv gesunken sind. Gerade die Rennbahnen haben massiv mit Einnahmeverlusten zu kämpfen, weil Wetteinsätze an der Bahn und Umsätze durch die Gastronomie entfallen sind. Online-Wettangebote und hochwertige Übertragungen haben den Pferdesport wesentlich zugänglicher gemacht.

Was allerdings die Gefahr birgt, dass das Vorkrisen-Niveau auf der Bahn nur schwer wieder erreicht wird. Zumal eine wichtige Einnahmequelle in Hoppegarten, nämlich die Vermietung des Areals an Veranstalter von Messen oder Konzerten, pandemiebedingt ebenfalls versiegte. 13 Jahre nach dem Kauf der Rennbahn hat Schöninghs Tatendrang dennoch nicht nachgelassen. Gerade in diesen Tagen, wenn der Geist der Wiedervereinigung über die Rennbahn schwebt und die Branche ergreift. Simon Crisford in Newmarket und Erika Mäder in Krefeld werden am Sonntag vor allem gebannt in Richtung Paris zum Prix de l’Arc de Triomphe schauen. „Aber natürlich sind wir mit dem Herzen in Hoppegarten“, sagt Mäder stellvertretend für zwei aus der Szene, die vom Preis der Einheit nachhaltig beeinflusst wurden.

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