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Heißer Schmerz: Maximilian Schachmann brach sich bei der vergangenen Tour de France beim Zeitfahren in Pau den Mittelhandknochen und drei Finger, fuhr jedoch trotz des Sturzes noch ins Ziel.

© imago images / Panoramic Interna

Spektakuläres Comeback: Der Berliner Radprofi Schachmann will nach schwerer Verletzung wieder angreifen

Bei der Tour de France stürzte der Berliner Radprofi Maximilian Schachmann schwer. Nach seinem Comeback hat er nun große Ziele für die neue Saison.

Aus einer Wunde am Knie läuft Blut, den Lenker hält Maximilian Schachmann an der linken Hand nur mit Daumen und Zeigefinger. Das Gesicht verzerrt, er schüttelt mit dem Kopf. Es sind wenige Meter bis ins Ziel, für den Berliner sind es die letzten bei seiner ersten Tour de France im vergangenen Jahr.

Auf der 13. Etappe, einem Einzelzeitfahren in Pau, war Schachmann gestürzt. Er bricht sich dabei den Mittelhandknochen und drei Finger. Trotzdem steigt er wieder aufs Rad und kämpft sich durch. „Ich wusste gleich, dass es etwas Ernstes ist. Brüche fühlen sich anders an. Das ist so ein heißer Schmerz“, erinnert sich der 25-Jährige.

Stürze zählen für Maximilian Schachmann zum Geschäft

Rund sechs Monate sind seither vergangen. Schachmann ist umgezogen, wohnt seit dem vergangenen Jahr auf der Schweizer Seite des Bodensees und konnte nach seinem Sturz mehr Zeit als gedacht in seinem neuen Zuhause verbringen. „Sonst bin ich ja im Sommer nie da, deswegen habe ich das dann auch ein Stückweit genossen, weil ich die Situation in dem Moment nicht ändern konnte.“

Stürze gehören für Schachmann zum Berufsrisiko. Er ist Realist, sein Fokus nach vorn gerichtet. Noch immer sehen seine Finger leicht verbogen aus, er sagt: „Die Verletzung merke ich bis heute, es fehlt jetzt auch einfach die Zeit, richtig Reha zu betreiben.“ Die Vorfreude auf die neue Saison bei ihm ist spürbar. Er will angreifen, an sein herausragendes vergangenes Frühjahr anknüpfen.

Als deutscher Radsportler des Jahres ist er 2019 zum deutschen Team Bora-hansgrohe gewechselt und fährt dort an der Seite von Emanuel Buchmann und des dreifachen Straßenweltmeisters Peter Sagan. Der Start lässt sich gut an, er gewinnt insgesamt fünfmal bei einem Eintagesrennen in Italien und Rundfahrten in Spanien. Kurz vor der Tour de France sichert er sich den deutschen Meistertitel und fühlt sich gewappnet für sein Debüt beim größten Radrennen der Welt.

Im Rennen ist für Maximilian Schachmann alles anders

Nach zwölf Etappen liegt Schachmann im vorderen Mittelfeld der Gesamtwertung, für das Zeitfahren in Pau rechnet er sich einiges aus – dann schleudert es ihn in einer Kurve vom Rad: „Vorher habe ich noch einen Fahrer überholt. Ich weiß noch, wie ich gedacht habe, die Kurve musst du anbremsen.“ Er erinnert sich, dass sie im Training noch so weit aussah.

Doch im Rennen ist alles anders. „Man muss sich vorstellen, man fährt durch einen Tunnel, die eigentliche Kurve sieht man gar nicht, weil die Absperrgitter die Sicht blockieren“, sagt er. Die Orientierungslosigkeit währt nur Sekundenbruchteile, aber das ist schon zu lang: „Ich weiß noch, dass ich mich erschrocken habe, weil es mit einem Male so eng wurde. Dann ist mir das Vorderrad weggerutscht. Ich wollte noch aussteuern. Aber man ist nun mal an die Physik gebunden.“

Zur 14. Etappe kann Schachmann nicht mehr antreten. „Man muss so viel investieren, hat so viele Entbehrungen, ist in Trainingslagern unterwegs. Dann hat man die Form und kann nicht fahren, weil man sich verletzt.“ Immerhin muss er sich nicht lange mit Schmerzen plagen, aber so ein Sturz kann auch psychische Narben hinterlassen.

Sieger: 2018 gewann Schachmann, damals noch für das Team Quick Step, eine Etappe beim Giro d'Italia.
Sieger: 2018 gewann Schachmann, damals noch für das Team Quick Step, eine Etappe beim Giro d'Italia.

© dpa

Schachmann will so bald wie möglich wieder mit dem Training anfangen. Und das klappt schneller als gedacht: „Wir haben ein sehr gutes Ärzte-Team. Die haben mich zusammengeflickt und dann habe ich mich sechs Tage später wieder auf die Rolle gesetzt. Ich wollte ja noch zur Weltmeisterschaft.“

Nebenbei verfolgt er die letzte Tour-Woche, sieht, wie sein Teamkollege Emanuel Buchmann um einen Platz auf dem Siegerpodest kämpft. „Natürlich wäre ich gern dabei gewesen, auch um Emu zu helfen. Dafür hatte ich mich ja vorbereitet“, erzählt er. Schachmann versucht, nicht lange zu hadern und sein Schicksal hinzunehmen. Nach einem Monat auf der Rolle steigt er wieder aufs Rad. Am Anfang sei das ein bisschen schwierig gewesen, weil der Bruch noch nicht ganz verheilt ist. Der Berliner nimmt es pragmatisch: „Ich darf einfach nicht durch Löcher fahren.“

Für Schachmann beginnt ein einsamer Kampf. Ab und an melden sich Teamkollegen und fragen, wie es ihm geht. Ein Coach gibt ihm einen detaillierten Trainingsplan mit auf den Weg. Zuweilen denkt Schachmann an den Sturz zurück, wobei ihn immer wieder eine Frage beschäftigt: „Ich hätte gerne geklärt, ob es mein Fehler war oder höhere Gewalt.“

Radprofis brauchen ein gutes Gedächtnis

Er schaut sich die Übertragung der Etappe noch einmal an, aber er sieht nichts. „Am Ende geht es vielleicht um 30 Zentimeter. Im Training fährt man den Kurs einmal ab und danach heißt es dann nur noch: Jetzt gebt mal Vollgas!“ Ein Radprofi braucht ein gutes Gedächtnis und er kommt auch nicht wie ein Fahrer in der Formel 1 jedes Jahr auf den gleichen Kurs zurück.

„Wir haben genau eine Gelegenheit, uns die ganze Strecke einzuprägen. Das ist eine große Herausforderung“, erklärt Schachmann. Er merke sich deshalb immer nur die gefährlichen Stellen, die ominöse Kurve in Pau zählt Schachmann nicht dazu. „Sie entsprach im Training meiner Erwartungshaltung, also habe ich sie abgehakt.“

Die WM kommt für Schachmann schließlich zu früh, eine Viruserkrankung setzt ihn einige Zeit außer Gefecht, die Rennen in England finden im September ohne ihn statt. „Ich dachte, das kann jetzt nicht wahr sein. Habe ich vielleicht einen großen Fehler gemacht und bin nachts bei drei Grad mit freiem Oberkörper durch die Stadt gerannt? Aber das habe ich natürlich nicht getan.“ Die Welt scheint sich gegen ihn verschworen zu haben.

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Anfang Oktober ist es dann soweit, bei den Herbstklassikern in Italien gibt Schachmann nach drei Monaten Pause sein Comeback. „Ich habe mich echt gefreut, wieder Rennen fahren zu können. Ich war voll motiviert. Dann kam erst mal wieder so ein bisschen Ernüchterung, weil man gesehen hat, dass die anderen richtig schnell fahren.“ Lange dauert es nicht, bis er wieder in Form kommt. Doch dann ist die Saison schon vorbei.

Anfang Dezember beginnt das Team Bora-hansgrohe die Vorbereitung auf die neue Saison, Maximilian Schachmann ist in Mallorca wieder dabei. Mit seinem Formaufbau liegt er voll im Plan. Seiner Verletzung kann er auch sportlich inzwischen etwas Positives abgewinnen, denn „nach einer langen Saison sackt man am Ende so ein bisschen ab. Bei mir wurde das ja abrupt unterbrochen, so dass ich gar nicht alle meine Ziele erfüllen konnte“.

Also hat er sich neue gesetzt. Schachmann wird 2020 den Giro d’Italia und die Vuelta fahren. Zwischendurch steht Olympia als ganz besonderer Höhepunkt an. Der Sturz und die verpasste zweite Saisonhälfte dienen dafür als zusätzliche Motivation. „Dass ich mit so einem Pech aufhören musste, hat mich richtig gewurmt. Aber daran zerbreche ich nicht, sondern will es nächstes Jahr einfach noch besser machen.“

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